Foto: APA/Robert Jäger

Ich bin beinahe ein Jahrgänger von Peter Pilz, also langsam am Abtreten aus dem beruflichen Geschäft, zumindest aus der ersten Reihe. Vom Alter her gesehen ist das also eine ganz normale Sache. Pilzens "Abwahl" war auch gar keine, die "Basis" hat ihm nur das Recht, sich den Platz selbst auszusuchen, verweigert, ihn aber – warum sonst die Standing Ovations des grünen Bundeskongresses – gewürdigt und hätte ihn auf einem anderen Platz gewählt. Was soll also das ganze Gezeter und Gejammer?

Gewaschener Skandal

Nun aber haben wir einen gewaschenen Parteiskandal, der die Grünen zu zerreißen droht. Einen großen Anteil daran haben auch die Journalisten landauf, landab: Selten habe ich das emsige Suchen nach dem Skandalon, nach dem Unrecht und nach einem "Opfer" – das lohnt sich immer – so einfach gestrickt erlebt wie in diesem Fall.

Peter Pilz wollte partout und nur auf diesen vierten Listenplatz: Eine Reißverschlusszacke dahinter hätte er problemlos den sechsten Platz haben können. Eitelkeit und die Idee eines "starken Mandats" in seinem Dickkopf (als ob im Untersuchungsausschuss jemand nach seinem Listenplatz fragte!) haben ihn scheitern lassen.

Stattdessen bekommt ein Junger, über den man denken kann, wie man will, diesen Platz. Pilz wird 64, und es ist wahrhaftig kein schlechtes Signal, angesichts dieser bis auf Ingrid Felipe alternden grünen Führungsriege einmal einen Jüngeren unter die ersten fünf zu reihen und selbst langsam zurückzustehen.

Konstruierende Journaille

Aber das geht offenbar nicht in die "Skandal-Sensations-Opfer-Such-Gehirne" der meisten Journalistinnen und Journalisten: mit welcher Beharrlichkeit etwa Tarek Leitner die grüne Spitzenkandidatin Lunacek in der ZiB 2 am 26. Juni auf einen Skandal, eine böse Abwahl, eine Bestrafung des aufmüpfigen Pilz festnageln wollte, ist schon ein Meisterstück von Konstruktion (Bravo, Frau Lunacek, wie Sie das pariert haben!). Als ob ein Umschalten vom offenbar vorbereiteten Konzept "Armer Peter Pilz als Grünen-Opfer" auf "Aha, vielleicht trägt er selbst Anteil daran" zu viel von einem ORF-Frontmann verlangt wäre.

Auch die Versuche des grünen Bundesvorstands, Pilz auf andere Weise als am dickköpfigen "starken Mandat" zu halten, reichen nicht aus, um der realitätsverzerrenden Konstruktionswut der Journaille Einhalt zu gebieten.

Auf diese ersten Meldungen folgten dann keine differenzierteren, sondern eine ganze Latte an ähnlich unrichtigen Schlagzeilen bis hinein in den ORF-Report am vergangenen Dienstag, der die Opfer- und Skandalstimmung undifferenziert weiterträgt. Insofern haben die Medien an der nun aufgetretenen Situation großen Anteil. Peter Pilz – wohl auch getrieben von allzu viel Opferverehrung durch die Medien – könnte eine eigene Liste gründen und mit dieser antreten: Lieber Peter Pilz, tu das lieber nicht und mach vor allem nicht morgen etwas, was du gestern noch andersrum gesagt hast (etwa Lunacek zu wählen ...). Das ist nämlich "altparteilich" wie nur was!

Unterdrücktes Unbehagen

Was aber jetzt passiert (und kein Wunder, dass da viele aufzuspringen und liebäugeln), ist auch die Folge jahrelang unterdrückten Unbehagens bei den Grünen. Dies ist nicht nur der Parteispitze anzulasten, sondern auch den nicht gerade kleinkalibrigen Leuten wie Pilz selbst: Sie haben offenbar zu viel geschluckt, was jetzt zu peinlichen Aburteilungen der bislang eigenen Partei führt.

Deshalb stellen sich kritische Fragen wie: Wäre Pilz auf dem vierten Platz gelandet, wäre dann die Partei weiterhin in Ordnung? Wäre sie dann keine vertrocknete "Altpartei", und wäre eine Bürgerbewegung nicht notwendig? Hätte Pilz dann nicht die "Nase voll vom alten politischen System"? Riecht das nicht alles nach gekränkter Eitelkeit?

Ich bin frei vom Verdacht, die grüne Führung in Schutz zu nehmen: An dieser Stelle habe ich vor Jahren die Ausgrenzung Johannes Voggenhubers scharf kritisiert (unter anderem wegen des sexistischen Tiervergleichs mit den "Silberrücken").

Abseits des Einzelkämpfertums

Vieles an dieser Partei gefällt mir nicht (die neue Bundessprecherin schon!). Ich kenne auch prominente ältere Grüne, die die bisherige Parteispitze für zu abgehoben und für zu präpotent halten. Das alles muss offen und öffentlich kritisiert werden. Niemand darf – wie Peter Pilz – wegen diskussionswerter Überlegungen wie mehr "Populismus" gegenüber den Wählerinnen und Wählern (ich würde in Abgrenzung gegen rechts besser "Popularismus" sagen), wegen Kritik an allzu "gutmenschelnder" Blauäugigkeit oder weil ihm/ihr nicht jedes Gender-Diktat passt, ins Abseits des Einzelkämpfertums geraten.

Wenn für diese Vielfalt kein Platz ist, dann bekommt eine Partei das irgendwann nachteilig zu spüren, auch wenn der Anlass ein an sich so lächerlicher ist wie in diesem Fall. (Josef Christian Aigner, 2.7.2017)