Sein erstes Wort lautete "Juicervose" – "Just a voice", eine Aussage, die er in einem Animationsfilm gehört hatte: "Life, Animated" erzählt die hoffnungsvolle Geschichte von Owen Suskind, dessen Liebe zu Disney-Filmen ihn aus dem Schweigen führte.

Foto: Polyfilm

Wien – Das wichtigste Wort im Leben des Autors und Pulitzerpreisträgers Ron Suskind bleibt für immer "Juicervose". Gehört hat Suskind diese Verballhornung zum ersten Mal von seinem damals fünfjährigen Sohn Owen. Es war das erste Wort, das dieser nach mehr als zwei Jahren absoluten Schweigens von sich gab.

Was der an Autismus erkrankte Owen aber eigentlich sagen wollte, war "Just a voice", ein Satz, den er unzählige Male in einem Disney-Zeichentrickfilm gehört hatte – und zwar ausgerechnet in jenem, der vom Wiedererlangen der Sprache erzählt: In Arielle, die Meerjungfrau bezahlt die rotschopfige Prinzessin mit ihrer Stimme dafür, ein Mensch werden zu dürfen.

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Ein Märchen, fürwahr, und in Disneys Version ein kitschiges obendrein, doch Roger Ross Williams' Dokumentarfilm Life, Animated kommt dieser glückliche Zusammenfall von Fantasie und Wirklichkeit gerade recht. Während die meisten Märchen nämlich einfach zu schön sind, um wahr zu werden, ist die Geschichte von Owen Suskind gerade der richtige Stoff für ein solches.

Amerikanische Idylle

Es sei damals so gewesen, als würde man Hinweise nach einer Entführung suchen, sagt Ron Suskind heute und meint damit das zunehmende Regredieren und Verstummen Owens im Alter von drei Jahren, als der Autismus diagnostiziert wurde. Williams schlägt in solchen, für ihn durchaus zweckdienlichen Momenten auf der Gefühlsklaviatur dramatische Töne an und greift dabei auf Archivaufnahmen zurück.

Dann sieht man, wie Vater und Sohn im Garten herumtollen, man wohnt in Cape Cod in Massachusetts, irgendwie scheint auf diesen Bildern immer Herbst zu sein. Peter Pan und Captain Hook kämpfen mit Holzstöcken als Degen, der junge Vater spielt den Verlierer. Amerikanische Idylle. Den drohenden Verlust illustriert Williams hingegen mittels bewegten Schwarz-weiß-Zeichnungen und Radierungen: feine, dünne Striche, die den Figuren kaum eine Kontur gönnen. Das sind dann die weniger märchenhaften Momente, nicht existierende Aufnahmen, etwa wenn Owen als kleiner Bub im Krankenhaus, wo die Entwicklungsstörung festgestellt wird, einen scheinbar endlos langen Gang in die Arme seiner weinenden Mutter läuft.

Moglis Konsorten

Das Märchen des Owen Suskind besteht darin, dass das "Juicervose"-Erlebnis eine zugegeben bemerkenswerte Erkenntnis lieferte: Owen, der mit seinem Bruder in der Disney-Filmwelt versank, lernte wieder sprechen – mithilfe auswendig gelernter Dialoge. Mogli, Schneewittchen, Der Glöckner von Notre-Dame, sie alle waren da und hatten etwas Passendes zu sagen. In der Gegenwart, Owen ist zum Zeitpunkt der Dreharbeiten bereits 25 Jahre alt, begleitet Williams den jungen Mann bei seinen ersten Schritten in ein selbstständiges Erwachsenenleben: Termine mit Sozialarbeitern, Betreuungseinrichtungen, von Owen organisierten Disney-Videoabenden (mit "Überraschungsgästen"). Das Wunder wird wahr.

Life, Animated ist einer jener Filme, die es darauf anlegen, mit dem Etikett "berührend" bezeichnet zu werden. Dafür ist es wichtig, in bestimmter Hinsicht alles richtig zu machen, und Williams gibt sich – auch dank seines einnehmenden Protagonisten – hier keine Blöße. Doch Williams erzählt keine Geschichte aus dem wahren Leben, sondern er bereitet sie uns auf – als eine Geschichte, die uns im Kino zeigen soll, dass es noch so etwas wie Hoffnung gibt da draußen und dass es wichtig ist, diese nie aufzugeben. Das hört und sieht man gerne, was diesem Film seine in dieser Hinsicht verdiente Oscar-Nominierung eintrug.

Das Leben sei kein Disneyfilm, meint die für Owen zuständige Sozialarbeiterin – ohne "leider". Wie wahr. Life, Animated zieht es vor, diese Möglichkeit immerhin nicht auszuschließen. (Michael Pekler, 4.7.2017)