Bild nicht mehr verfügbar.

Fingerhandschuh trifft auf Kopftuch: Die Präsentationen des Modehauses Dior 1959 in Moskau ließen zumindest die Städterinnen nicht kalt. Ein Forschungsprojekt aus Salzburg hat die Bedeutung von Mode für die Verhandlung ideologischer Diskurse in der Sowjetunion untersucht.

Foto: Howard Sochurek/The LIFE Picture Collection/Getty Images

Salzburg – Erfunden wurde er in London, bald war er überall – in Berlin, Wien und irgendwann auch in St. Pölten. Der Minirock, jenes provozierende, viel zu knappe Stück Stoff, legte Frauenbeine frei und eroberte die westliche Welt. Aber auch der Eiserne Vorhang konnte ihn nicht von seiner Verbreitung abhalten. "Westliche Modetrends tauchten mit nur wenig Verzögerung in den sowjetischen Modezeitschriften auf. Auch der Minirock war in der Sowjetunion natürlich ein Thema", erklärt Eva Hausbacher.

Die Leiterin des Fachbereichs Slawistik an der Uni Salzburg muss es wissen. Hausbacher leitete das fünfjährige, vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützte Projekt "Nadel und Faden. Transformationen des sowjetischen Kostüms". Mit ihr haben die Slawistin Julia Hargassner und die Kulturwissenschafterin Elena Huber den westlichen Einfluss auf die sowjetische Mode zwischen 1953 und 1985 in zwei Teilprojekten untersucht. Für die wissenschaftliche Spurensuche analysierte Huber systematisch sowjetische Frauen- und Modezeitschriften (wie "Die Sowjetische Frau oder Die Arbeiterin") und interviewte Zeitzeuginnen aus Moskau und St. Petersburg. Hargassner recherchierte und hob Filme und Literatur aus. Ziel des Projekts: die sowjetische Alltags- und Gesellschaftsgeschichte aus der Perspektive der materiellen Kultur zu betrachten.

Am meisten erstaunt habe sie nach Beendigung des Projekts die Wichtigkeit von Mode für die Verhandlung ideologischer Diskurse, schildert Projektleiterin Hausbacher – und auch wie groß die Bedeutung von Mode als Vehikel kulturellen Transfers gewesen sei. "Denn eigentlich", so die Wissenschafterin, "gab es das Bild von der bleiernen Zeit und vom grauen Alltag in der Sowjetunion, von Warendefizit und null Konsum. Das stimmt so nicht. Das war eine viel dynamischere Zeit. Die radikalen Veränderungen nach der Perestrojka kamen nicht aus dem Nichts. Da hat schon in den Jahrzehnten zuvor eine Entwicklung stattgefunden. Das Projekt "Nadel und Faden" war auf die Kleidermode während der Regierungsperiode von Chruschtschow und Breschnew fokussiert.

Trophäenmode

Der Transfer zwischen Ost und West begann allerdings schon früher. In der Nachkriegszeit importierten Soldaten Alltagsgegenstände, Modezeitschriften, französisches Parfum, Hüte, Schuhe aus den westeuropäischen Ländern in die UdSSR – und die Sowjetbürger entdeckten die sogenannte Trophäenmode für sich. Die Jugendsubkultur der sogenannten "Stiljagi" befüllte mit den Trophäen aus dem Westen zwischen Ende der 1940er- und Anfang der 1960er-Jahre ihre Kleiderschränke.

In der Tauwetterperiode unter Chruschtschow transportierten amerikanische Filmstreifen westliche Mode- und Konsumpraktiken in den sowjetischen Alltag, "Burda"-Magazine wurden auf dem Schwarzmarkt gehandelt, die femininen Silhouetten fanden über russische Delegationen, die Messen und Präsentationen besuchten, ihre Wege in den Osten, die wohlhabende, gesellschaftliche Elite reiste sowieso in den Westen.

Nicht zuletzt bahnte sich die Pariser Luxusmode ihren Weg in die Sowjetunion – doch nicht immer ganz ohne Verspätung. Der Dior'sche "New Look", schmale Taille, weiter wadenlanger Rock, bereits im Frühjahr 1947 von Christian Dior propagiert, war erst ein gutes Jahrzehnt später in der Sowjetunion populär. 1959 kam es in Moskau zum direkten Kontakt mit dem Pariser Glamour. Das französische Modehaus Dior zeigte unter der Leitung des jungen Designers Yves Saint Laurent ganze fünf Modenschauen – zuerst geladenen Gästen, dann der einfachen Bevölkerung auf dem Roten Platz. Die Models in den Etuikleidern und den ellbogenlangen Handschuhen sahen neben den Frauen in ihren einfachen Kittelkleidern und den Kopftüchern aus wie fremde Wesen von einem anderen Stern.

"Der überfeminisierte Dior-Look prallte auf das Konstrukt der vermännlichten Arbeiterin", sagt Hausbacher. Die verschwenderische Werbeoffensive von Dior in Moskau hatte Konsequenzen – für die Kleidermode wie auch für die Geschlechterbilder in der Sowjetunion.

Eigenständiges Modehybrid

Statt die Mode aus dem Westen einfach nur nachzuahmen, entwickelten die Städterinnen (sie standen im Fokus der Untersuchung) eigenständige Modehybride. In den 1950ern wurden damals populäre folkloristische Elemente mit Trends aus dem Westen vermischt.

Viele Frauen griffen dazu nämlich selbst zu Nadel und Faden. Einerseits blieb ihnen vor den Vorzeichen der sozialistischen Grundidee wenig anderes übrig. In der Leichtindustrie mangelte es seit den 1920er-Jahren an Materialien. Andererseits sei das DIY-Prinzip in der Sowjetunion nicht nur dem Mangel geschuldet, betont die Wissenschafterin: "Das Individuelle war ungleich wichtiger als im Westen." Die Handarbeit habe zwar bis in die 1980er-Jahre abgenommen, allerdings weniger signifikant als im Westen.

Mittlerweile ist das Forschungsprojekt "Nadel und Faden" abgeschlossen, und Projektmitarbeiterin Elena Huber beackert ein anderes Feld der materiellen Kultur. Sie setzt sich mit der Kulinarik in Russland auseinander. (Anne Feldkamp, 6.7.2017)