Wien – In England während des "Blitz" übernahmen auch Filme die Aufgabe, die Moral in der Bevölkerung zu heben: Eigens vom Informationsministerium produziert, dramatisierten sie den heroischen Kampf britischer Soldaten gegen die Deutschen, wobei Zivilisten die Rolle tatkräftiger Unterstützer innehatten.

Ein Schauspieler, der den Begriff Nebenrolle ignoriert: Bill Nighy in "Ihre beste Stunde".
Foto: Filmladen

Einer davon steht im Mittelpunkt von Lone Scherfigs Spielfilm Ihre beste Stunde (Their Finest), der mit komischem Understatement davon erzählt, wie der Krieg ungewohnte soziale Allianzen schafft. Mit Catrin Cole (Gemma Arterton) kommt einer Frau die integrative Rolle zu: Ihre Aufgabe lautet, den Film stärker auf eine weibliche Perspektive auszurichten. Weil sie aber auch sonst den richtigen Ton findet, leistet sie bald mehr als das. Beispielsweise den eitlen Schauspieler Ambrose zu umschmeicheln, als welcher Bill Nighy brilliert.

STANDARD: In "Ihre beste Stunde" spielen Sie einen Schauspieler, der schon etwas über den Zenit hinaus ist. Ist es ein besonderes Privileg, die eigene Profession zu ironisieren?

Nighy: Es ist in der Tat befriedigend. Ich würde allerdings bestreiten, dass Ambrose über seinen Höhepunkt hinaus ist. Er ist alt, aber das heißt nicht, dass er als Schauspieler wenig effektiv ist. Auf eine bestimmte Art ist er fraglos ein Idiot, weshalb er seine Augen komplett vor der Tatsache seines Alters verschließt. Lächerlicherweise glaubt er, er sollte immer noch junge Verführer spielen. Aber seine schauspielerischen Fähigkeiten sind nicht geschwunden, das ist letztlich sogar das einzige Halbbewundernswerte an ihm: Es ist sogar ein wenig berührend, wenn er einem jungen Amerikaner Unterricht gibt. Wie ich selbst hat er das Glück, noch immer gute Parts zu bekommen.

STANDARD: Sie hatten mehr "Glück" als er: Sie wurden mit dem Alter nur noch erfolgreicher.

Nighy: Sichtbarer. Ja, auch erfolgreicher. Ich hatte eine typische englische Karriere, bevor ich Love, Actually (Tatsächlich ... Liebe) machte. Der Film hat mich einem internationalen Publikum bekannt gemacht. Danach konnte man mich leichter besetzen, was eine ganze Palette von Jobs möglich machte. Ich war damals Mitte 50, glaube ich. Stimmt schon, ich bin ein Glückskind.

STANDARD: Selbstironie scheint Ihnen zu liegen – hängt das damit zusammen, dass Sie mit einer gewissen Reife an Rollen herangehen?

Nighy: Vielleicht. Ich werde recht oft angefragt, um Rollen zu spielen, die eine komödiantische Verantwortung tragen. Und alles, was ich tue, ist, diese zu erfüllen. In meinem Versuch, komisch zu wirken, oder sagen wir: amüsant, spielt Ironie immer mit. Doch ich denke darüber nicht bewusst, sozusagen von Witz zu Witz, nach.

STANDARD: Es gibt diesen Monolog von Ambrose, in dem er über eine recht heilige Auffassung des Schauspielens spricht. Sie denken darüber bestimmt pragmatischer, nicht wahr?

Nighy: Oh ja, es ist eine praktische Sache, keine Hexenwissenschaft. Es ist recht schwierig, auch harte Arbeit und vor allem trügerisch.

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STANDARD: Es gibt eine Szene, in der er "Wild Mountain Thyme" singt. Den Song gibt es auch von Dylan, den Sie ja sehr mögen ...

Nighy: Ja, aber auch in der Version von Van Morrison. Ich habe sie da ein wenig hingeschubst. Im Drehbuch hieß es nur: "Sie versammeln sich am Klavier." Lone Scherfig wollte das verstärken, um zu zeigen, wie die Schauspieler gemeinsam entspannen. Das ist etwas, was auf Sets tatsächlich passiert. Es geht darum, dass sie etwas Simples tun. Ich bin kein professioneller Sänger, aber ich kann einen Ton halten.

STANDARD: Sie haben ja auch schon in "Tatsächlich ... Liebe" gesungen. Das scheinen Sie zu genießen.

Nighy: Ich erwecke den Eindruck, als ob ich es genieße! Es fällt mir nicht leicht, aber ich freue mich immer sehr, wenn ich damit davonkomme.

STANDARD: Da der Film auch während des Krieges gedrehte Propagandafilme thematisiert: Haben Sie sich diese angeschaut?

Nighy: Stephen Wooley, unser Produzent, weiß enorm viel darüber. Er hat mir einige davon geschickt. Doch ich bin mit diesen Filmen auch aufgewachsen. Als wir endlich Fernsehen hatten, spielten sie diese Kriegsfilme ständig an Sonntagnachmittagen. Sie waren heroisch, romantisch, komisch – es gab aber auch beeindruckende darstellerische Leistungen. Wir wollten eine klangliche Idee davon übermitteln. Heute sprechen Menschen ganz anders als in den 1940ern – das war ein völlig anderer Akzent, je nachdem, ob man der Mittelklasse oder der Arbeiterklasse angehörte.

STANDARD: Sie kommen selbst aus der Arbeiterklasse. Was haben Ihnen Ihre Eltern von der Kriegszeit mitgegeben? Der Film erzählt ja auch davon, dass Gesellschaftsschranken überwunden wurden.

Nighy: Ich kann Ihnen eine Geschichte erzählen: Mein Vater war Mechaniker bei der R.A.F., er hat an Spitfire-Jagdfliegern gearbeitet, die aus sehr leichtem Holz gemacht wurden. Wenn man sie ohne Gewicht auf den Flügelspitzen gestartet hätte, wären sie umgefallen. Das gängigste Gewicht dafür waren junge Mechaniker, die die Flügel festhielten. Mein Vater hat davon eine doppelte Lungenentzündung bekommen. Als er dann in einem Sanatorium war, befand er sich in Gesellschaft von Offizieren, was völlig neu für ihn war. Einer von ihnen lehrte ihn, wie man einen Schal so trägt, als hätte man ihn gerade übergeworfen, also sehr beiläufig. Für meinen Vater waren diese "Unterrichtsstunden" eine große Sache.

STANDARD: Sie wiederum sind in Ihrer Auswahl sehr variabel: Komödien wie jene von Edgar Wright steht neben Science-Fiction-Horror wie der "Underworld"-Serie.

Nighy: Mir hat es sehr gefallen, der Vampir in Underworld zu sein! Als ich jung war, konnte ich mir schwer vorstellen, romantische Hauptrollen zu spielen – ich wurde von Agenten auch stets zu den anderen Parts geschickt. Manchmal bekam ich sie sogar. Was ich mir wirklich genau anschaue, ist die Qualität des Buches. Underworld etwa ist ein fantastischer Vampir-Werwolf-Film.

STANDARD: Sie haben auch viel Theater gemacht, u. a. mit Tom Stoppard oder Harold Pinter. Wie seltsam ist es dann, ein Wesen mit Tentakeln zu spielen wie in "Pirates of the Caribbean"?

Nighy: Schauspielerisch ist es das Gleiche, da ist egal, ob man Shakespeare auf der Bühne spielt oder so ein Wesen. Aber wenn man in diese Computerpyjamas gesteckt wird, mit diesen roten und weißen Bläschen, ist das ein eher einsamer Ort. Glücklicherweise sind der Crew schon in der zweiten Woche die Witze darüber ausgegangen. (Dominik Kamalzadeh, 5.7.2017)