Philipp Stix als Chauffeur Karl (li.) und Peter Matic als Baron Bubi (re.) sind eine bedrohliche Gesellschaft für Johanna Prosl als Christine.

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Reichenau/Rax – "Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu" – allein schon dieses schönen Satzes wegen gebührt Ödön von Hováth Ehre. 25-jährig hat er ihn geschrieben. Er liegt in "Zur schönen Aussicht", einem seiner ersten Theaterstücke, der Ada Freifrau von Stetten im Munde. Manch anderes brennt der Baronin zudem auf der Zunge. Etwa die Frage: "Liebst du mich? Nicht nur meine Reize. Auch meine Seele?"

Man verkennte die als Domina mit schwarzem Negligee und Reitgerte Auftretende (Therese Affolter), fände man sie böse. Erratisch sind die Figuren, die Horváth zeichnet. Denn wahrhaft Menschenfreund ist nur der, der nicht naiv ist. Nur er kennt nämlich den Menschen. Ada ist ja nicht einmal kalt. In ihr brodelt es. Einen Herkules und Siegfried nennt sie den Chauffeur (Philipp Stix), mit dem als einem von vielen sie schläft. Die Alte ist intensiv. Oder sehnt sich zumindest danach. Heraus aus einer tiefen Leere. "Sensationen, Sensationen", schreit sie.

Gestrandete

Sie ist der einzige Gast in der Welt, die Horváth "Zur schönen Aussicht" nennt. Das Hotel aufgrund von Wetterkapriolen, die die Gäste ausbleiben lassen, fast leer und gänzlich pleite, zeigt entgegen seinem Namen schändliche Einsichten in Menschen. Und ins Service: Über den Verbleib der Speisekarte weiß Kellner Nicolaus Hagg wenig. Es sammeln sich dort als Personal ja auch Angeschwemmte, Gestrandete.

Wie Treibgut hat auch Peter Loidolt die Kulissen über den Bühnenboden verteilt: Ein viersitziges Kleeblattsofa, einen Tisch, umgefallene Stühle, ein Schaffel zum Auffangen des Regenwassers, das durchs Dach kommt. Von der Decke hängen – eine Metapher für den Menschen und die Umstände? – in Käfigen gefangene Lichtlein. Neu Eintreffende bringen zudem Schirme (Kostüme: Erika Navas) mit, die sich in einer Ecke des Spielfeldes zu sammeln beginnen.

Einer von ihnen ist Adas Bruder Bubi. Peter Matić spielt den vom Spieltisch her verschuldeten, moralisch mehr tadeligen als adeligen Wurm mit Grandezza. Thomas Kamper will bedrohlich kreidebleich und vergebens die Schulden eintreiben. Als Letzte trifft ein junges Mädchen ein, das vorigen Sommer vom Direktor des Hauses geschwängert worden sein will. Seiner damit verbundenen Pflicht steht Strasser (David Oberkogler) jedoch unwillig gegenüber. Also wird ein Plan ausgeheckt. Die Runde verschwört sich schändlichst gegen Christine (natürlich-lieblich: Johanna Prosl).

Plötzlich jedermanns Geschmack

"Wie sieht sie aus?" – "Geschmackssache" So hat man deren Ankunft untereinander vermeldet. Als herauskommt, dass sie nicht nur ein Kind, sondern überdies eine Erbschaft gemacht hat, ist sie aller Geschmack. Doch das kommt Gott sei Dank zu spät. Sie ist brav, nicht dumm.

Der sogenannte Neue Spielraum des Loidolt'schen Theaters, diese schwarze Box, in der die Sitzreihen rund um die Spielfläche ansteigen, hat einen kalten Klang, der genial ist für die gellenden Schreie, donnernden Brüller und hysterischen Rufe, mit denen Horváths Personal seine Verkommen- und Gequältheit exerziert. Am Punkt ist die Regie Michael Gampes, der jeder Figur eigene Gesten eingeschrieben hat. Fantastisch präzis spielt das Ensemble. Bedrückend tun sich so Wirtschaftskrise, Unschuld, Gier und Einsamkeit auf. Großartig. (Michael Wurmitzer, 5.7.2017)