Mediales Victim Blaming konterkarriere Opferschutz, sagt Rosa Logar, Geschäftsführerin der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt.

Foto: Matthias Cremer

Wien – Doppelmord – so lautet der Vorwurf in einem Kriminalfall, der heute, Donnerstag, im Landesgericht Wien verhandelt wird. Laut Anklageschrift (sie liegt dem Standard vor) soll der 22-jährige Polizist Daniel L. am 2. Oktober 2016 seine 25-jährige schwangere Lebensgefährtin Claudia K. mit seiner Dienstwaffe per Kopfschuss getötet haben. Tags darauf dann habe er den gemeinsamen 19 Monate alten Sohn erwürgt.

Die Anklageschrift geht von Vorsatztaten aus. L. habe eine Beziehung zu einer zweiten Frau unterhalten und bereits ab Mitte September Tötungsarten gegoogelt. In Medienberichten, erst in Boulevardzeitungen, zuletzt vor eineinhalb Wochen in einer Coverstory in Profil, wird dem nicht widersprochen, jedoch: L. wird seinerseits als Opfer dargestellt. Mitschuld an seinen Taten hätten Charakter und Verhalten Claudia K.s gehabt.

Opfer als "schwierig" dargestellt

In Profil wird K., unter Berufung auf "Zeugen" und Familienangehörige L.s, als "krankhaft eifersüchtig", "schwierig", zu "Aggressionsausbrüchen" neigend geschildert. An einer Ausbildung zur Masseurin sei sie gescheitert, die gemeinsame Wohnung sei "ziemlich verdreckt" gewesen.

Daniel L. wiederum wird in dem Artikel von seiner Verteidigerin als "introvertiert, fast schüchtern" geschildert. Aus der Familie des Opfers wurde niemand befragt, weil diese, laut "Profil"-Redakteurin Angelika Hager, nicht an die Öffentlichkeit hätten gehen wollen.

Ruf post mortem geschädigt

Für die Wiener Anwältin mit Opferschutzschwerpunkt Irene Oberschlick kommt ein solcher Bericht einer Täter-Opfer-Umkehr – oder: Victim-Blaming – gleich. Der getöteten Claudia K. werde "nachgetreten", ihr Ruf post mortem geschädigt: ein "moralisch verwerfliches" Vorgehen.

Oberschlick vertritt Verbrechensopfer im Rahmen der laut Strafprozessordnung vorgesehenen juristischen Prozessbegleitung. Es sei eine nicht unübliche Verteidigerstrategie, den Stand eines Mandanten durch gezielte Informationen an Medien verbessern zu wollen, besonders im Fall von Geschworenenprozessen: "Für die Tatopfer oder, in diesem Fall, die Opferangehörigen ist derlei in der Regel retraumatisierend", sagt sie.

Rosa Logar, Geschäftsführerin der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt, teilt diese Ansicht. Mediale Täter-Opfer-Umkehr beobachtet sie häufig auch in Vergewaltigungscausen. Derlei konterkarriere den gesetzlichen Opferschutz. Denn müsse ein Verbrechensopfer damit rechnen, medial ausgerichtet zu werden, verzichte es vielfach auf eine Anzeige.

Finanzierung offen

Opfer und deren Angehörige bräuchten daher Rat im Umgang mit Medien, sagt Logar: "Neben der juristischen und der psychosozialen Prozessbegleitung sollte auch das öffentlich finanziert werden." Die Anwältin und Presserechtsexpertin Maria Windhager unterstützt dies. Eine solche Ausweitung sei schlicht eine Frage der Finanzierung.

Eine Lanze für offensive Verteidigerstrategien bricht Josef Weixelbaum, Vizechef des Rechtsanwaltskammertags: Anwälte hätten das Interesse ihrer Mandaten zu vertreten, "wenn auch ohne unbillige Härte in Bezug auf die Gegner" – zu denen im Verfahren auch die Verbrechensopfer gehörten. (Irene Brickner, 6.7.2017)