Sydney – Zu harten Bandagen greifen derzeit australische Forscher, die eine fast schon verschwundene Beuteltierart wieder großflächig ansiedeln wollen: Sie wildern die in Artenschutzzentren gehegten Tiere in Reservaten aus – aber nicht allein, sondern zusammen mit ausgerechnet jenen Raubtieren, die ihnen fast den Garaus gemacht hätten. Auf lange Sicht wird die paradox erscheinende Methode ihren Schützlingen nützen, sind die Forscher überzeugt.

Argloser Zeitgenosse: das Lesueur-Bürstenkänguru oder Boodie.
Foto: Hugh McGregor

Bei der bedrohten Spezies handelt es sich um das Lesueur-Bürstenkänguru (Bettongia lesueur), in Australien kurz Boodie genannt. Es ist ein etwa 40 Zentimeter langer Vertreter der Rattenkängurus mit bräunlichem Fell und weißem Bauch. Tagsüber verstecken sich die unscheinbaren Tiere gerne in unterirdisch angelegten Kleinkolonien – nachts kommen sie hervor, um Wurzeln oder Pilze auszugraben.

Boodies waren früher in weiten Teilen Australiens verbreitet, in Wäldern, Grasländern und Wüstenregionen. Heute gibt es sie nur noch in einigen kleinen Schutzgebieten und auf Inseln. Schuld daran sind Raubtiere, die die europäischen Einwanderer mitgebracht haben, insbesondere Rotfüchse und Katzen. Verwilderte Katzen haben sich mittlerweile auf über 99 Prozent des australischen Festlands ausgebreitet, berichtete eine Studie der University of Queensland Anfang des Jahres. Mehr als 20 einheimische Säugetierarten sollen sie bereits ausgerottet haben.

Tödliche Naivität

Schuld daran ist der Effekt der sogenannten Beute-Naivität: Die Beute(l)tiere erkennen neu eingewanderte Raubtiere nicht als Bedrohung, flüchten daher nicht rechtzeitig und fallen ihnen zum Opfer. Und diese Naivität hält sich leider gefährlich lange: 2016 stellten deutsche Forscher in Australien fest, wie schwer sich Nasenbeutler (Peramelemorphia) mit der Identifizierung von Katzen als Feinde tun – obwohl Katzen in manchen Regionen schon seit 200 Jahren leben.

Diesem Effekt will nun das Team um Katherine Moseby von der University of New South Wales entgegenwirken. Die Forscher setzten insgesamt 352 Boodies in einem 26 Quadratkilometer großen, eingezäunten Gelände aus. Dieses Gelände wurde auch zur neuen Heimat von vier Katzen: nicht genug, um die Population der Mini-Kängurus ernsthaft zu gefährden, doch ausreichend, um ihnen eine harte, aber notwendige Lektion zu erteilen. Damit sie sich nicht auch hier unkontrolliert vermehren konnten, waren die Katzen kastriert.

Anschließend studierten die Forscher über 18 Monate hinweg das Verhalten der Boodies: Wie schell sie bei Annäherung flüchteten, wie gut sie sich versteckten und wie wachsam sie an Futterstellen waren. Eine Kontrollgruppe wurde in einem ebenfalls geschützten Gelände ausgesetzt, in dem es keine Katzen gab.

Auch für Boodies gilt: Trau, schau, wem!
Foto: Thomas J. Hunt

Wie die Forscher im "Journal of Applied Ecology" berichten, konnten sie einen Trend feststellen, der Hoffnung macht: Die Boodies, die mit Katzen zusammenlebten, entwickelten im Vergleich zur Kontrollgruppe eine größere Fluchtdistanz, versteckten sich besser und zeigten Anzeichen für eine erhöhte Wachsamkeit beim Fressen. Studienkoautorin Rebecca West betont, dass für diese Ergebnisse die Anwesenheit echter Räuber notwendig war. Frühere Versuche unter Laborbedingungen hätten kein derartiges Resultat erbracht – erst recht nicht, wenn man zur sanften Methode gegriffen hatte, die Tiere nur mit Bildern ihrer Jäger zu konfrontieren.

West räumt ein, dass sich der hier gestartete Lernprozess über viele Generationen hinziehen kann. Immerhin werden Lesueur-Bürstenkängurus aber schon sieben Monate, nachdem sie den Beutel der Mutter verlassen haben, geschlechtsreif und ein Weibchen kann bis zu dreimal pro Jahr trächtig werden: Die Generationenfolge ist also relativ rasch.

Nicht dem Ansatz der Forscher um Katherine Moseby folgt dieses Großprojekt im australischen Outback: Die Australian Wildlife Conservancy richtet in der Nähe von Alice Springs ein großes Schutzgebiet ein, das durch einen Zaun zur katzenfreien Zone werden soll. In diesem Gebiet sollen dann mindestes zehn Spezies ausgewildert werden, die es nur noch auf Inseln und in Tierasylen gibt.
Foto: APA/AFP/AUSTRALIAN WILDLIFE CONS

Mittel- bis langfristig könnte das Überlebenstraining unter kontrollierter Anwesenheit einiger weniger Raubtiere die Chancen der Spezies also erhöhen. Wie sehr die "beschleunigte natürliche Selektion" die Überlebensfähigkeit der Spezies steigern kann, soll laut West in der nächsten Stufe des Projekts untersucht werden.

Gleichzeitig ist das Stimulieren des Lernprozesses aber auch ein Stück weit Ausdruck der Resignation, wie Moseby zugibt. Australien war in der Vergangenheit nie verlegen, was Ausrottungskampagnen betrifft. Die betrafen nicht nur weithin ungeliebte Arten wie Ratten oder Aga-Kröten, sondern auch solche, die Tierschützer auf den Plan riefen – etwa Dromedare oder eben auch Katzen.

Durchschlagenden Erfolg hatte das massenweise Töten aber allenfalls in abgeschlossenen Inselhabitaten, nicht auf dem Festland. Man müsse sich damit abfinden, dass man Katzen und Füchse in Australien wohl nie mehr loswerde, sagt Moseby. Daher sollte man besser deren potenzielle Opfer für den Überlebenskampf fit machen. (jdo, 9. 7. 2017)