ORF-Sportchef Hans Peter Trost: "Natürlich wünsche ich mir Ski Alpin, Ski Nordisch, die Bundesliga, die Formel 1 fix im Programm. Aber irgendwann muss es auch zu Traditionsbrüchen kommen."

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STANDARD: Die Rechte für die Champions League gehen ab 2018 verloren, die Zukunft der Formel 1 ist ab 2020 ungewiss. Besteht die Gefahr, dass dem ORF Sport bald nur noch die Restln bleiben?

Trost: Sicher. Man muss sich allmählich Alternativen überlegen. Wir haben zum Beispiel regionalen Fußball übertragen, da war die dritte, vierte, fünfte Klasse dabei. Das Match Pachern gegen den GAK sahen immerhin 70.000 Leute. Bei lokalen Ereignissen greifen die großen Player noch nicht zu. Ziel ist, in jedem Bundesland ein Regionalderby zu finden, das Emotion hat und wo es eine erdige Kantine gibt, egal in welcher Liga es stattfindet.

STANDARD: Pachern kann Madrid kaum ersetzen. Wir sehr schmerzt der Verlust der Champions League?

Trost: Der schmerzt sehr. Seit Jahren ist abzusehen, dass der Trend Richtung Bezahlfernsehen geht. Die Überraschung ist eher die Aggressivität, mit der in den Markt gegangen wird. Egal ob Sky oder Streamingdienste: Die haben alle das Geld. Bei diesen Summen können wir nicht mehr mit.

STANDARD: Warum kein Interesse an der Europa League, immerhin sind dort österreichische Klubs vertreten?

Trost: Faktum ist, dass öffentliches Geld sehr sparsam eingesetzt werden muss. Wir können uns nur die Rechte für einen Bewerb leisten. Entweder man bietet gar nicht für die Champions League und konzentriert sich auf die Europa League, oder eben umgekehrt. Mit Puls 4 gibt es einen Mitbewerber, der sich auch für die Europa League interessiert. Ich hätte gerne alles, aber das wird nicht funktionieren.

STANDARD: Früher war der ORF der größte Fisch im Teich, jetzt kommen viele andere Player. Facebook hat etwa die Rechte für die Champions League in den USA gekauft. Rüttelt das am Selbstverständnis?

Trost: Die Zeit ist doch lange vorbei, der ORF hat Mitbewerber ohne Ende. Das geht von Privatpersonen, die über Periscope übertragen, bis zu Facebook. Wir müssen uns ständig neu erfinden. Als Dienstleistungsunternehmen müssen wir eine Relevanz erzeugen, die sich über den Inhalt definiert. Ich sehe die Gefahr, dass der Sportjournalismus immer mehr in Bedrängnis kommt.

STANDARD: Inwiefern?

Trost: Bei Klubs und Verbänden arbeiten immer mehr Journalisten, die Öffentlichkeitsarbeit machen. In England gibt es bereits in der zweiten Liga Vereine, die sagen: Du machst kein Interview mehr, ich mache es selbst und verbreite es auf meinen Kanälen. Der kritische Journalismus, der nicht Teil der Inszenierung sein möchte und kann, steht auf der Kippe.

Trost: "Als Sportjournalist bist du Teil der Inszenierung."
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STANDARD: Ist der beim ORF in ausreichendem Maße vorhanden? Nicht selten wird kritisiert, dass nur mehr der Marcel und nicht mehr der Hirscher fährt.

Trost: Als Sportjournalist bist du Teil der Inszenierung. Beim Skifahren wird mir der Platz zugewiesen, an dem ich die Interviews führen muss. Da haben wir noch einen Heimvorteil, aber bei der Champions League sind wir einer von vielen. Da bringt uns der Pressebetreuer den Spieler, und wir haben genau eine Minute Zeit, um das Interview zu führen. Zum "Marcel": Oft kommt die Kritik, dass wir nicht so locker sind wie andere Sender. Bei uns gibt es die Direktive, dass bei Interviews niemand per du ist. Trotz Nähe muss eine kritische Distanz vorhanden sein. Dass man in manchen Fällen übertreibt und im Überschwang den Herrn Marcel feiert, ist klar. Aber was soll man bei so einem Ausnahmekönner groß kritisieren?

STANDARD: Oliver Polzer hat die Spiele von Dominic Thiem bei den French Open von Wien aus kommentiert. Ist das nicht bedenklich? Geht da nicht etwas verloren?

Trost: Ich finde das auch nicht optimal. Das Rundherum macht einen Unterschied, man sieht Sachen, die keine Kamera einfängt. Man muss aber einen Kompromiss finden. Zahlt man die Kommentatorenbox in Paris oder überträgt man stattdessen lieber Sportklub gegen die Vienna?

STANDARD: Dominic Thiem ist erfolgreich, im Besitz der Tennisrechte ist aber Sky. Was läuft falsch?

Trost: Wir hatten vor Jahren, auch in der Hoffnung auf Dominic Thiems Karriere, die 1000er- und 500er-Turniere im Programm. Die Rechteausschreibung danach haben wir gar nicht mitbekommen, da die nur in Deutschland gelaufen ist. Sky Deutschland ist zum Zug gekommen und hat die Rechte für Österreich gleich mitgekauft. Wir konnten gar nicht mitbieten. Sky wollte nicht kooperieren, dann haben wir nach den Rechten bei den Grand-Slam-Turnieren Ausschau gehalten. Bei Paris ist es uns gelungen, für die US-Open sieht es auch gut aus, Wimbledon geht sich nicht aus. Für uns ist das auch bitter. Dasselbe könnte beim Davis Cup passieren. Der Verband hat die Rechte an eine Agentur verkauft, bis heute weiß niemand, wer ihn produziert.

STANDARD: Ist der Markt unübersichtlicher geworden?

Trost: Ja, vor 20 Jahren bist du zum Rechteinhaber zu Ioan Tiriac gegangen, der hat dir dann den Thomas Muster verkauft, du hast auf einer Serviette unterschrieben, und die Geschichte war erledigt. Jetzt wird entweder ausgeschrieben oder nur versteigert. Dass der Österreichische Skiverband bei der letzten Ausschreibung 31 Pakete angeboten hat, spricht für sich. Das Produkt wird zerlegt. Bei den Olympischen Spielen war es so, dass ATV die Eröffnung und den Schluss hatte und wir den Rest. In diese Richtung geht es. Man muss taktieren.

STANDARD: Vergangene Woche stand erst am Spieltag fest, dass das Europa-League-Spiel von Altach übertragen wird. Wie kann das passieren?

Trost: Es ist immer dasselbe Ritual, Leute melden sich und nennen Summen, bei denen du nicht einmal hinsiehst, weil sie jenseitig sind. Wir müssen die Nerven haben, das bis drei Stunden vor dem Anpfiff auszusitzen. Eine Etappe der Tour de France haben wir vor Jahren zum Beispiel gekauft, als die schon im Gange war. Ich warte lieber einen Tag länger und zahle 50 Prozent weniger.

STANDARD: Das hört sich abenteuerlich an.

Trost: Früher haben bei Qualifikationsspielen zur Champions oder Europa League vier verschiedene Menschen bei uns angerufen und gesagt, dass sie die Rechte haben. Ein gewisser Dimitri hat dann gemeint: Das kostet so und so viel. Meistens waren die Summen illusorisch. Dann mischt auch noch irgendein Klubpräsident mit. Das ist mühsam, aber auch irgendwie erfrischend.

"In der Sportabteilung sind wir bei der Anzahl der Mitarbeiter in der Relation zum Output am untersten Limit."
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STANDARD: Gibt es Spiele oder Sportarten, die für den ORF ein Muss sind? Ein ORF-Stiftungsrat hat erst kürzlich das sonntägliche Livespiel der Fußball-Bundesliga als Muss bezeichnet.

Trost: Das ist herrlich. Ein "Muss" erzeugt nichts anderes als Mörderdruck. Natürlich wünsche ich mir Ski Alpin, Ski Nordisch, die Bundesliga, die Formel 1 fix im Programm. Aber irgendwann muss es auch zu Traditionsbrüchen kommen. Am Dienstag haben wir unser Gebot für die Bundesliga abgegeben, es gibt zahlreiche Player, die an den Rechten interessiert sind. Wir warten auch auf Informationen, was mit den österreichischen Skirechten passiert, da war eben die Ausschreibung.

STANDARD: Die Samstagsspiele der Bundesliga werden in der Spät-"ZiB" gezeigt. Gibt es wieder Überlegungen für eine Samstagabendshow?

Trost: Die gab es ja, sie hat aber nicht funktioniert. Im Gegensatz zu Deutschland haben wir das Problem, dass am Anfang viele Klubs donnerstags in der Qualifikation für die Euro League engagiert sind, die spielen dann alle erst am Sonntag. Ich kann keine Abendsendung machen, die nur aus einem oder zwei Spielen besteht. Das wird sich auch durch das neue Ligaformat mit zwölf Bundesligisten nicht gravierend ändern, auch wenn ich mir für die Liga mehr Attraktivität erwarte.

STANDARD: Verliert der ORF Rechte, geraten Arbeitsplätze in Gefahr. Wie geht die Belegschaft mit diesem Szenario um?

Trost: In der Sportabteilung sind wir bei der Anzahl der Mitarbeiter in der Relation zum Output am untersten Limit. Wir senden mit den Wiederholungen 11.000 Stunden pro Jahr. Rund um 40 bis 45 Journalisten komme ich auf ein Team von etwa 110 Personen. Würde die Bundesliga wegfallen und auch noch Ski Alpin, käme natürlich die Diskussion auf, dass Arbeitsplätze eingespart werden müssen. Was der Sport im ORF leistet, lässt sich aber leicht mit Zahlen belegen: Der Sport bespielt 17 Prozent von ORF 1, generiert aber 35 Prozent der Nutzung. Unter den zehn quotenstärksten Sendungen des Jahres 2016 sind sieben vom Sport und unter den Top-250-Sendungen von ORF 1 kommen 190 vom Sport.

STANDARD: Der Sport ist ein wesentlicher Bestandteil des ORF. Wird es auch so bleiben?

Trost: Geht es nach mir, natürlich. Wir wollen den Sport in eine Richtung jenseits der bloßen Ergebnisberichterstattung bewegen. Die kulturelle und soziale Seite, die wollen wir verstärkt in den Fokus rücken. Und natürlich auch die dunklen Seiten wie Doping.

STANDARD: Diese Inhalte würden sich in einem Format wie dem legendären "Sport am Montag" transportieren lassen.

Trost: "Sport am Montag" war ein Klassiker, nur haben sich die Sehgewohnheiten verändert. Heute musst du alle Informationen sofort bringen. Am Montag kannst du nicht mehr den Grand Prix vom Sonntag aufarbeiten. Aber grundsätzlich wäre ein Platz im Hauptabend für Hintergrundgeschichten gut. Ich war selbst in der "Am Schauplatz"-Redaktion, da hat Peter Resetarits einen Beitrag über Schiedsrichter in unteren Klassen produziert. Das würde ich mir wünschen, genauso wie etwa eine eigene Dopingredaktion. Bei uns müssen alle alles machen und dann kommt wieder der Kollege Fink (Austria Wien Trainer, Anm.) und sagt: "Ihr kommt ja vom Skifahren." Ja, eh. Bei 70 Sportarten würde ich dreimal so viele Personal brauchen, um überall einen Spezialisten zu haben.

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STANDARD: Ist der Druck auf die Mitarbeiter gestiegen?

Trost: Natürlich. Früher sind für Aufnahmen drei Personen neben dem Journalisten ausgezogen. Einer hat das Licht gehalten, der andere die Kamera, der dritte den Ton, und jetzt geht quasi einer mit einer Kamera am Hirn durch die Gegend. Mittlerweile schneiden Redakteure selbst, damit habe ich kein Problem. Blöd wird es nur, wenn der Kostendruck so hoch wird und die Qualität darunter zu leiden beginnt.

STANDARD: Stichwort Kosten: Was verdienen die Experten?

Trost: Alexandra Meissnitzer hat es kürzlich gesagt: Sie erhält 100 Euro pro Kamerafahrt.

STANDARD: Das sind ja quasi Dumpinglöhne.

Trost: Für die Moderation kommt noch etwas hinzu. Aber sehr viel mehr ist es nicht. Meissnitzer muss für ihre Arbeit genauso trainieren wie ein Andi Goldberger, der auch am Limit ist, wenn er mit vier Kameras wo runterspringt. Die bekommen alle einen niedrigen dreistelligen Betrag dafür. Millionäre werden sie bei uns nicht. Wir haben Jahresverträge per Abruf. Wir können Herbert Prohaska einmal oder hundertmal beschäftigen, das ist sein Risiko. Der Vorteil für die Experten ist, dass sie in der Öffentlichkeit stehen und damit einen Werbewert kreieren.

STANDARD: Werfen wir noch einen Blick in die Kristallkugel: Wie sieht die Zukunft des Sports aus?

Trost: Irgendwann sitze ich mit der Datenbrille im Stadion und sehe mir an, wie der den Pass hätte geben können. Statt der digitalen Biedermeierei bevorzuge ich die schöne Ebene, bin beim Derby of Love, schaue mir Sportklub gegen Vienna an, ziehe mir einen Schiefer am Bankerl ein und hole mir eine Wurst. (Oliver Mark, Philip Bauer, 8.7.2017)