Marias Aufgaben in Rosinas Haus in Gerasdorf umfassen "Kochen, Hygiene, vorlesen, spazieren gehen und plaudern".

Foto: Christian Fischer

Sie haben aber auch viel Spaß miteinander.

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Die Betreuerin kümmert sich rund um die Uhr um Rosina, zwei Wochen lang, dann kommt eine Kollegin.

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Maria und Tochter Sophia daheim in Smolenice: Die Nachbarin hat sich per Werkvertrag verpflichtet, sich um die Zehnjährige zu kümmern, wenn Maria in Österreich arbeitet.

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Die Gabel will heute nicht ganz so, wie Rosina will. Das ist nicht immer so, aber man hat ja auch ab und zu schlechte Tage, das kann einer 98-Jährigen niemand vorwerfen. Andere in ihrer Situation würden ärgerlich, aber nicht Rosina. Denn da ist ja noch Maria, Gott sei Dank. Maria sieht alles und hilft immer. Auch jetzt. Vorsichtig legt sie ihre Hand über Rosinas und führt sie. Gemeinsam gelingt die Übung. Zufrieden steckt Rosina das Kuchenstück in ihren Mund.

Seit Februar ist Maria Okruhlicova bei Rosina Manica in Gerasdorf zu Hause – wobei "zu Hause" relativ ist. Wirklich daheim ist Maria in Smolenice, am östlichen Fuß der Kleinen Karpaten in der Westslowakei. Gerasdorf ist ihr Arbeitsplatz. In einem privaten Zuhause zwar, wo sie ein eigenes Zimmer bewohnt, aber doch auch immer arbeitet, rund um die Uhr.

Harte Arbeit, geringer Lohn

Maria Okruhlicova ist eine jener rund 60.000 Frauen aus dem EU-Ausland, die in Österreich pflegebedürftige Menschen in deren Zuhause rund um die Uhr betreuen. Maria ist 48 Jahre alt, gebürtige Slowakin, Alleinerzieherin von drei Töchtern und selbstständige "24-Stunden-Betreuerin". Dafür bekommt sie 68 Euro pro Tag, insgesamt 952 Euro brutto, 700 Euro netto. Die Sozialversicherung zahlt sie selbst. Ihre Klientin Rosina Manica investiert in ihre Betreuung wiederum die gesamte Pension sowie das Pflegegeld, und die Kinder legen auch noch etwas drauf. Insgesamt kommt sie auf Kosten von weit mehr als 2000 Euro – das ist noch günstig, im Vergleich mit vielen anderen, die in der gleichen Situation sind. Zwischen Rosinas Ausgaben und Marias Einnahmen liegen die slowakische Vermittlungsagentur Slocare und die österreichische Volkshilfe, die Rosina und Maria zusammengebracht haben.

Marias Aufgaben in Rosinas Haus in Gerasdorf umfassen "Kochen, Hygiene, vorlesen, spazieren gehen und plaudern", wie die Betreuerin in gutem Deutsch sagt. Sie haben aber auch viel Spaß miteinander. Maria schwärmt von Rosinas stiller Weisheit und ihrer Geduld. Die Betreuerin kümmert sich rund um die Uhr um Rosina, zwei Wochen lang, dann kommt eine Kollegin, und Maria fährt wieder nach Smolenice.

Dort wartet schon Sophie auf sie, zehn Jahre, ihre aufgeweckte jüngste Tochter. Allein diese Tatsache macht Maria auch zu einer jener Frauen, von denen die Rede ist, wenn ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka sagt: "Die Familienbeihilfe für im Ausland lebende Kinder muss an die dortigen Lebenshaltungskosten angepasst werden." Angepasst heißt in dem Fall: gekürzt. Weil die "dortigen Lebensverhältnisse" nach Meinung der ÖVP und auch der FPÖ so sind, dass Maria mit weniger Geld auskommen müsste. Das sieht auch der neue ÖVP-Chef und Spitzenkandidat Sebastian Kurz so. Er hat die Debatte über eine Kürzung der Familienbeihilfe für im Ausland lebende Kinder von EU-Bürgern überhaupt erst angestoßen. Ein entsprechender Fristsetzungsantrag der FPÖ beim jüngsten Parlamentskehraus fand noch keine Mehrheit – man wird sehen, was die Nationalratswahl bringt.

Den großen österreichischen Pflegeorganisationen bereiten die Pläne der ÖVP in Sachen Familienbeihilfe ebenso große Sorgen: Die Hausbetreuung alter und sehr alter Menschen stützt sich zu einem großen Teil auf Frauen wie Maria, die ohnehin schon sehr wenig verdienen, heißt es etwa bei der Volkshilfe. Man fürchtet, dass weitere Kürzungen dazu führen könnten, dass sie wegbleiben.

Maria hat von der Sache mit der Familienbeihilfe gehört und sagt: "Wegen 138,80 Euro kommt kein Mensch nach Österreich." Sondern, weil sie für dieselbe Tätigkeit in der Slowakei nur rund 400 Euro monatlich bekommen würde. Das sei zu wenig – zumal die Lebenshaltungskosten in der Westslowakei so stark gestiegen seien. Die Miete für eine Zweizimmerwohnung in Trnava, 20 Kilometer südlich von Smolenice, beträgt 300 Euro – bei dem niedrigen Lohnniveau bedeutet das, dass viele Menschen mehrere Jobs annehmen müssen. Maria investiert die Familienbeihilfe aus Österreich in die Betreuung ihrer Tochter Sophia in Smolenice. Sie hat einen Werkvertrag mit ihrer Nachbarin abgeschlossen, diese kümmert sich um Sophia, wenn die am Nachmittag von der Schule heimkommt. Am Abend, nach der Arbeit, übernimmt dann Marias ältere Tochter, sie ist 24 und lebt der Familie zuliebe noch immer zu Hause. Nur so funktioniere es, sagt Maria, dass sie an zwei von vier Wochen pro Monat in Österreich sei. So haben Marias Familie und ihr Umfeld auch einen Anteil an ihrem Job, den sie eine "Herzensarbeit" nennt, während sie Rosina vom Kaffeetisch aufhilft. Anstrengend sei das, klar – aber sie liebe das Zusammensein mit alten Menschen. Rosina scheint die Gegenwart von Maria zu genießen. Vertrauensvoll sitzen die beiden nebeneinander, Maria liest aus "Sissy" vor, einem dicken Buch über die Kaiserin. Rosina hört aufmerksam zu.

Dankbare Klienten

Rosinas Töchtern kann man ansehen, wie froh sie über die Gemeinschaft zwischen Maria und ihrer Mutter sind. Es sind liebevolle Töchter, sie kümmern sich sehr, täglich verbringen sie Zeit mit Rosina – aber das große Elternhaus, der riesige Garten, dazu die Gebrechlichkeit der Mutter, das ist schwer allein zu schaffen.

Für Rosina Manicas Tochter Claudia ist Maria "ein Glücksfall". Ihrer Mutter gehe es gut, seit Maria im Hause ist. Das mag auch daran liegen, dass die temperamentvolle Blonde Zufriedenheit mit ihrem Beruf ausstrahlt. Als junge Frau führte Maria, gemeinsam mit ihrem Ehemann, eine kleine Greißlerei in Smolenice. Nach der Scheidung hatte sie einen Autounfall, bei dem ihre linke Hand schwer verletzt wurde. Das Geschäft musste sie aufgeben, schwere Kisten zu schleppen war nicht mehr möglich. Da saß sie mit ihrer Business-School- und Hotelfachausbildung und überlegte, was sie, nunmehr alleinerziehende Mutter einer Neun- und einer Zwölfjährigen, mit ihrem weiteren Leben anfangen sollte. "Es war eine schwere Zeit", sagt sie, "ich war ganz unten." Und weil man von unten die Dinge manchmal klarer sieht, wurde ihr auch bewusst, dass sie für alte Menschen sorgen wollte. Sie absolvierte einen sechs Monate dauernden Kurs, dann trat sie ihren ersten Job in Deutschland an.

Für die meisten Personenbetreuerinnen hat es sich damit in Sachen Ausbildung. Für Maria ging es da erst so richtig los. Berufsbegleitend startete sie ein Hochschulstudium zur Diplomsozialarbeiterin: Das umfasst Elemente aus der Krankenpflege und Geriatrie genauso wie Vorlesungen in Psychiatrie und Psychologie. In der Praxis bedeutet das: Egal, ob Rosina in Gerasdorf oder Sophia in Smolenice gut schlafen oder nicht, die Nächte sind für Maria in jedem Fall kurz: Da lernt sie für ihre Prüfungen.

Schon jetzt könnte Maria einen fixen Job im Entlassungsmanagement der Prager Universitätsklinik antreten – sie wurde bereits angefragt. Aber sie fährt weiter alle zwei Wochen nach Gerasdorf – auch wenn das Strapazen für Sophia bedeutet. "Sie ist ein starkes Mädchen", tröstet sie sich und die Tochter. Außerdem ist da noch Sophias Vater, ihr neuer Lebensgefährte, mit dem sie eine Wochenendbeziehung führt: Der kümmert sich auch, sagt Maria, aber "manchmal bräuchte sie schon ihre Mama". Daheim in Smolenice wissen sie Bescheid, vor allem die Lehrer in Sophias Schule. Es gibt einige Mädchen, deren Mütter im Zwei-Wochen-Rhythmus Richtung Österreich oder Deutschland verschwinden. Das sei nicht einfach. Aber Sophia packe das gut, sagen ihre Lehrerinnen.

Smolenice hat, trotz einiger sozialistischer und postsozialistischer Plattenbauten, etwas Idyllisches. Sanft in die hügelige Landschaft der Kleinen Karpaten gebettet, mit einer wiederaufgebauten Pálffy-Burg als Krönung, sauberen Straßen und Gehsteigen und gleich mehreren Schulen, zählt es zum wohlhabenderen Teil der Slowakei – knapp 20 Kilometer nördlich von Trnava gelegen, wo das große Peugeot-Werk steht und eine Lackfabrik vor Ort sowie das Kongresszentrum Arbeitsplätze bringen. Hier gebe es "kaum soziale Probleme", sagen die Lehrerinnen, sie sind stolz darauf, als integrative Vorzeigeschule zu gelten. Mit alternativen Lehrmethoden ist man vertraut.

"Braindrain" überall

Die Direktorin Marcela Pechova hat dennoch Sorgen: Es schwierig für sie, Lehrernachwuchs zu bekommen. "Kaum haben sie ihr Studium abgeschlossen, gehen die jungen Leute nach Österreich oder Deutschland", klagt sie, "dort verdienen sie mehr als das Doppelte", in der Slowakei verdienen Lehrer zwischen 600 und 1100 Euro pro Monat. Also auch hier "Braindrain" – ähnlich wie bei Pflegekräften und Personenbetreuerinnen wie Maria.

Maria wird, trotz des verlockenden Angebots aus Prag, bei Rosina in Gerasdorf bleiben. "Ich bin hier bis zum Schluss", verspricht sie Rosina. Die fast 100-Jährige kichert leise in sich hinein und tätschelt Marias Hand. (Petra Stuiber, 9.7.2017)