Macron bei einer Rede an die Crew des U-Boots Le Terrible.

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"Die Franzosen haben sich gefragt: Ist Emmanuel Macron mit 39 Jahren nicht ein wenig jung, um in der Welt zu bestehen?", meinte Innenminister Gérard Collomb kürzlich vor Anhängern. "Ihr habt es selber gesehen: Er behauptet sich nicht nur in der Welt – er hat sie in Erstaunen versetzt, er hat sie geradezu revolutioniert!"

Nun, Frankreich kann ein gewisser Hang zum großen Wort nie abgesprochen werden. Macron rief in seinem Wahlkampfbuch "Revolution" selbige aus. Vor zwei Monaten wurde er glanzvoll gewählt; danach bot er am G7-Gipfel dem US-Präsidenten Paroli, und im Juni beschaffte er sich eine satte Parlamentsmehrheit, obwohl seine Bewegung La République en Marche erst ein Jahr alt war. Er gehe über Wasser, lauteten euphorische Kommentare, und der Historiker Stéphane Ratti fühlte sich diese Woche an den "Kaiserkult im alten Rom" erinnert.

Wachsende Skepsis

Bloß, das Volk winkt dem Caesar schon nicht mehr zu. Nur 25 Prozent der Franzosen waren laut Umfrage "überzeugt" von Macrons Selbstinszenierung im Schloss Versailles, wohin er am Montag die beiden Parlamentskammern zitiert hatte. 42 Prozent der Befragten waren enttäuscht von der phrasenreichen, aber inhaltsschwachen Programmrede. "Viele Abgeordnete mussten gegen das Einschlafen kämpfen", meinte der konservative Abgeordnete Eric Woerth.

Am Tag darauf nannte dann Premierminister Edouard Philippe in seiner Regierungserklärung mehr Fakten und Daten – darunter vor allem das entfernte Jahr 2019. Bis dahin müssen wichtige fiskalische Reformen warten, obwohl gerade die Senkung der Firmenabgaben ein wichtiger Teil der Macron'schen "Revolution" war. Von den 60 Milliarden Euro an Einsparungen, die er im Wahlkampf angekündigt hatte, ist aber nicht mehr die Rede.

Spiel auf Zeit

Den Arbeitsmarkt will die Regierung bis Oktober liberalisieren, um die Wirtschaft und namentlich die Industrie wieder wettbewerbsfähig zu machen. Geschickt spielt Philippe auf Zeit, indem er die widerspenstigen Gewerkschaften in Dutzende von Gesprächsterminen einspannt – um die Reform dann zum Schluss per Dekret schlagartig in Kraft zu setzen. Linken-Chef Jean-Luc Mélenchon hat die Taktik aber durchschaut; sein "Unbeugsames Frankreich" will schon nächste Woche erstmals die Massen mobilisieren, um das gelockerte Kündigungsrecht zu verhindern.

Angesichts des erwarteten Drucks von der Straße verzichten Macron und Philippe tunlichst darauf, weitere brisante Reformen – etwa der Rentensysteme – und den Abbau von 120.000 Beamtenstellen auch nur zu erwähnen. Allgemein will die Regierung "ohne Überstürzung" vorgehen, wie der Premier sagte. Die neue französische Revolution wird ohne Umsturz auskommen müssen.

Keine "Macronmania"

Die Debatte und das Vorgehen der neuen Regierung bewirken ein wachsendes Déjà-vu-Gefühl. Die Franzosen merken: Auch unter Macron werden die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Ernüchtert sind aber nur die, die dem neuen Augustus in Paris zu viel Vorschusslorbeer geschenkt hatten – und sie waren gar nie so zahlreich gewesen. Im ersten Durchgang der Präsidentenwahlen hatte Macron nur 24 Prozent Stimmen gemacht. Die viel bemühte "Macronmania" hat es nie gegeben.

Noch spaltet der Präsident mit seiner "Revolution der Mitte" sowohl die Konservativen wie die Sozialisten fast nach Belieben; doch die außerordentliche Sogwirkung seiner neuen Massenpartei La République en Marche auf Überläufer kommt langsam zum Erliegen. Wenn der alte Rechts-links-Gegensatz wieder aufleben sollte, würden die Macronisten schnell zwischen den Fronten aufgerieben.

Europa wartet

Soweit ist es noch nicht, muss es bei Macrons unbestreitbarem politischen Talent auch nie kommen. Nach seiner Wahl steuert der Staatschef die Nation nun auf einen ruhigeren Reformkurs zu. Verlangsamen darf er ihn aber nicht – sonst kommt der Elan schnell zum Erliegen, und Frankreich, das unter einer Massenarbeitslosigkeit und einer Steuer- und Abgabenquote von 47 Prozent ächzt, bliebe erneut stehen. Wie Premier Philippe am Dienstag erklärte: "Alle Nachbarländer haben ihre Staatsausgaben reduziert, außer wir." Europa wartet weiterhin auf Frankreich. (Stefan Brändle, 8.7.2017)