Der in Graz geborene Ferdinand Schmalz wurde mit dem Bachmannpreis 2017 ausgezeichnet.

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Die Sieger (von links): John Wray (Deutschlandfunk-Preis), Gianna Molinari (3sat-Preis), Ferdinand Schmalz (Bachmannpreis), Karin Peschka (BKS-Bank-Publikumspreis) und Eckhart Nickel (Kelag-Preis).

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Klagenfurt – Im Nachhinein hat Hubert Winkels mit seiner Eröffnungsrede nicht so unrecht behalten, als er sich über die kleinen Dinge wie den See und die Gespräche freute. Denn zum einen gab es heuer thematisch wenige erbauliche Texte: Weltuntergang, Gesellschaftskrise, Flüchtlingskrise, Biokrise, Liebeskrise, Familienkrise – und es wollte noch nicht einmal ein Selbstmord klappen. Zum anderen gab es beim 41. Bachmannpreis viele ambitionierte, aber nicht viele wirklich gute Texte. Welthaltig zwar, lösten sie diese Relevanz im Ton und der Kraft ihrer Überlegungen oft nicht ein. Letztlich lagen in den Diskussionen Texte vorn, die nicht mit der Apokalypse kokettierten oder Migrationsfragen adressierten.

Dramatiker Ferdinand Schmalz hat den mit 25.000 Euro dotierten Ingeborg Bachmannpreis erhalten. Die Österreicherin Karin Peschka erhielt für "Wiener Kindl" den Publikumspreis.
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Es mag an einem Spagat aus dem Thema gebührender Adäquatheit und gleichzeitiger Originalität liegen, der es so schwer macht, besonders über letzteres "total vermintes Gelände" (STANDARD-Redakteur und Juror Stefan Gmünder) zu schreiben. Zumal wenn die Erfahrung dazu nicht aus dem Autobiografischen kommt. Die jüngsten in Klagenfurt erfolgreichen Texte im Randbereich des Politischen waren jene Maja Haderlaps (2011) und Katja Petrowskajas (2013). Gewonnen haben schließlich zwei der formverliebtesten Texte der drei Lesetage.

Beide waren als Favoriten gehandelt worden. Den mit 25.000 Euro dotierten Bachmannpreis holte sich im zweiten Wahlgang einstimmig der 1985 in Graz geborene Dramatiker Ferdinand Schmalz für mein lieblingstier heißt winter. Als "von gammliger Erhabenheit getragene Schauergeschichte" lobte Kegel den Text über einen Tiefkühlkostlieferanten, der unversehens zum Komplizen eines Selbstmordes wird. Perfektes Chaos herrsche in der Schmalzsprache, die bis ins kleinste Detail gearbeitet sei. Dazu kämen skurrile und zugleich großartig gezeichnete Figuren und ein "Gespür für vermeintliche Randlagen und für jene Leerstellen, in denen das Geheimnis ruht".

Verschachteltes Erzählen

Während Schmalz besonders durch seine Sprache auffiel, gelang dies John Wrays Beitrag Madrigal mittels dessen verschachtelter Erzählstruktur. Dafür erhielt der US-Kärntner, der zuvor Schmalz unterlegen war, den neuen Deutschlandfunk-Preis (12.500 Euro). Hier teilzunehmen sei für jeden Autor eine mutige Sache, "ich habe vielleicht als Vorteil meine Ignoranz gehabt". In den USA, wo er, der bisher auf Englisch geschrieben hat, erfolgreich ist, kenne man den Preis ja nicht. Auch er war von Jurorin Sandra Kegel eingeladen worden, in ihrer zweiten Laudatio schwärmte sie, Wrays an Sprüngen reicher Text erzeuge "eine Welt, die die literarischen Möglichkeiten potenziell ins Unendliche erweitert".

Von diesen Möglichkeiten des Literarischen sprach denn auch der Juryvorsitzende Hubert Winkels. Zum einen betonte er den "Eigenwert der Literatur", zum anderen werde jene aber gerade dadurch, dass sie sich mit politischen Themen befasse, ein Gegengewicht zur Politik, "die alles in ihren Strudel reißen will", und ein "Versuch, der Politik die Deutungshoheit über Begriffe zu rauben". Es dauerte bis zum dritten Platz (10.000 Euro), ehe mit Eckhart Nickels Hysteria ein nicht nur ein Individualschicksal erzählender, sondern in allgemeinere Zusammenhänge reichender Text ausgezeichnet wurde. Die Schweizerin Gianna Molinari (Loses Mappe) wurde mit dem 3sat-Preis (7.500 Euro) ausgezeichnet und war damit heuer nicht nur die erste Preisträgerin, sondern auch die Einzige, die sich per Einreichung beworben hatte und nicht von ihrem Juror (Hildegard Keller) eingeladen worden war.

Es bleiben Fragen

Der Publikumspreis (7.000 Euro) ging überraschend – besonders auch für sie selbst, die schon "Ich gehe leer aus. Was heißt das?" in ihr Notizbuch geschrieben hatte, wie sie zugab – an Karin Peschka und ihre Weltneuanfangsgeschichte Wiener Kindl. Sie hatte die Lesungen am Mittwoch eröffnet, eingeladen worden war sie von Stefan Gmünder. Sie wird mit der Kür durch die Zuschauer zugleich auch Klagenfurter Stadtschreiberin (5.000 Euro).

Was wäre vom 41. Bachmannpreis mitzunehmen? Vielleicht ein paar Fragen. Ganz pragmatisch etwa jene an die Veranstalter, warum die im ORF-Theater erprobte Sitzordnung verändert und damit die ohnehin knappen Plätze dezimiert wurden. Stehen mussten so viele wie noch nie. Das ist, angesichts der Euphorie und Treue, deren man im Publikum gewahr wird, schade. Die Frage, warum Autoren trotz Skepsis gegenüber dem Bewerb doch teilnehmen, hat sich indes wieder beantwortet.

Der Preis bringt einem Autor nicht nur einiges an Öffentlichkeit, und das Prädikat "Bachmannpreisgewinner" hängt ihm nicht nur stärker an als der Gewinn der meisten anderen Literaturpreise. Die Wettbewerbstage prägt auch ein besonderes Gefühl. Weswegen man eine launige Frage Klaus Kastbergers aus den Jurydiskussionen einfach beantworten kann: Braucht John Wray den Bachmannpreis oder der Bachmannpreis John Wray? Weder noch. Aber beide werden dem jeweils anderen dereinst nicht zum Schaden gereicht haben. (Michael Wurmitzer, 9.7.2017)