Bei der Probenarbeit: Andrea Breths Inszenierung von "Die Geburtstagsfeier" (u. a. mit Nina Petri und Max Simonischek) übersiedelt nach der Spielserie bei den Festspielen im Herbst ans Akademietheater (ab 3. September).


Foto: Bernd Uhlig

STANDARD: Sie müssen eine tiefe Liebe zum englischen Dramatiker Harold Pinter gefasst haben. Nach "Der Hausmeister" in München inszenieren Sie jetzt "Die Geburtstagsfeier" für Salzburg und Wien. Der Kritiker Georg Hensel schrieb einst: "Wer sich bei Pinter auskennt, der weiß, dass man sich bei Pinter nicht auskennt." Es passieren mysteriöse Dinge. Eine der Hauptfiguren sieht sich dem Zugriff einer anonymen Übermacht ausgesetzt. Merkt man dem Stück nicht stark die Entstehungszeit in den 1950er-Jahren an?

Breth: Das kann sein, ich glaube es aber nicht. Mit Pinters Befund kann man heute schon wieder außerordentlich viel anfangen. Wir sind doch alle mit ominösen Ängsten behaftet – weil man auch gar nicht weiß, wohin man sich wenden soll.

STANDARD:Das meint?

Breth: Gibt es eine Diktatur, dann weiß man genau, wer der Feind ist. Aber ich habe das Gefühl, im Moment weiß man nicht so recht genau, wer wofür zuständig ist. Es existiert eine komische Angst in der Welt. Niemand weiß, wohin sie führen wird, nicht in der Ökonomie und nicht in der Umwelt.

STANDARD: Sie sind eine erfahrene Opernregisseurin. Wie geht man mit Pinters gestochen scharfer Sprache um?

Breth: Sie ist tatsächlich ungemein präzise komponiert. Einzelne Motive werden wiederholt, aber jeweils in Form einer Variation. Einzelworte wiederholen sich, kehren aber in jeweils neuem Kontext wieder. All das ist für mich und die Schauspieler hochinteressant.

STANDARD: Worin liegen die Gefahren?

Breth: Es handelt sich um scheinbar banale Sätze. Wenn man die eins zu eins aufsagt, schläft man tief und fest. Aber wenn man sie aufbricht, indem man sich zu einer Situation bekennt, aus der die Sätze herauswachsen: Dann hört sich das plötzlich ganz anders an. Man entdeckt die sinnstiftenden Gedanken. Jeglicher Hauch von "altmodisch" ist wie weggeblasen. Auch diese beiden merkwürdigen Männer, Goldberg und McCann ...

STANDARD: Gespielt von Roland Koch und Oliver Stokowski.

Breth: Die sind gar nicht so merkwürdig, wenn sie auftauchen in der Pension von Petey und Meg. Sie sind nur außerordentlich unangenehme Zeitgenossen, wie ihr "Opfer" Stanley übrigens auch. Letzterer lebt ein Jahr lang auf Kosten dieser kleinen Pension – wenn es denn überhaupt eine ist -, er ist ein Parasit, zahlt keine Miete und spielt mit Meg schlimme Spiele. Er hat etwas zu verbergen und besitzt offenbar eine kriminelle Vergangenheit. Jetzt kommen welche von der Mafia, um ihn abzuholen. Weil sie irgendeine Mission zu erledigen haben.

STANDARD: Also doch modern?

Breth: Man denkt sofort an Russland oder Italien, aber das ist Gott sei Dank nicht tagespolitisch festzumachen. Das Stück besitzt einfach ein Klima ständiger Bedrohung. Es beginnt ohne große Entwicklung und setzt eine bestimmte Temperatur voraus. Und auf dieser Stufe beginnt Pinter zu schreiben.

STANDARD: Woher rührt Ihre augenblickliche Liebe zur angelsächsischen Dramatik? Ist die zeitgenössische deutschsprachige Literatur für Sie uninteressant?

Breth: Auch das. Wenn man den Beruf, so wie ich, sehr lange ausübt, kommt man irgendwann zu dem Punkt, an dem man sich fragt: Um Gottes willen, was mach' ich noch? Ich habe schon so wahnsinnig viel inszeniert. Dabei habe ich mich nur einmal wiederholt, und das auch nur, weil meine erste Emilia Galotti eine solche Katastrophe war.

STANDARD: Eine Katastrophe?

Breth: Ich war viel zu jung dafür. Ansonsten mag ich es nicht, Stücke ein zweites Mal zu inszenieren, das ist langweilig. Ich habe dann angefangen, mich wieder mit Pinter zu beschäftigen. Wobei man zwei Stücke wie Der Hausmeister und Die Geburtstagsfeier nicht miteinander vergleichen darf, das hilft einem nicht im Geringsten weiter. Das ist ähnlich wie bei Tschechow. Da braucht man auch nicht glauben, dass alles gleich gestrickt ist. Das zeichnet aber auch die große Autorenschaft von Pinter aus.

STANDARD: Lenkt Ihre Opernbeschäftigung Ihr Interesse an Sprechtheaterstücken?

Breth: Das ist richtig. In der Musik ist – was die Sache sehr erleichtert – der Rhythmus vorgegeben. Ich kann mich nur einmischen, wie lange oder kurz eine Fermate ist. Ansonsten fällt das in den Zuständigkeitsbereich des Dirigenten. Es ist im Grunde genommen schwieriger im Schauspiel, einen Rhythmus zu finden. Wir müssen ihn selbst herstellen. Eine Eigentümlichkeit bei Pinter ist die Fülle an Pausen. Und die sind außerordentlich wichtig.

STANDARD: Teilt sich Ihnen durch das neue Salzburg-Programm eine Aufbruchsstimmung mit?

Breth: Ich kenne Markus Hinterhäuser von Blaubart bei den Wiener Festwochen. Er wird das gut machen, er ist ein sehr ernsthafter und künstlerischer Mensch. Es macht Freude, sich mit ihm über Kunst zu unterhalten. Man kann es Hinterhäuser und Bettina Hering nur wünschen, dass sich alles glückvoll entwickelt. Man hat die besten Ideen und Vorhaben im Kopf, und dann kommt alles anders. So wie bei mir hier, weil wir zwei Umbesetzungen hatten ...

STANDARD: Ein Handicap?

Breth: Krankheitsfälle können immer passieren. Es wäre doch abscheulich, wenn ich die Festspiele deswegen hängenließe. Wenn in der Oper ein Sänger krank wird: Das ist der wahre Albtraum! Wenn der Hauptdarsteller zwei Tage vor der Premiere erkrankt – furchtbar. Die ganzen Wochen der Arbeit komplett zunichte.

STANDARD: Die Burgtheater-Entscheidung für Martin Kusej trifft Ihre Zustimmung?

Breth: Die Entscheidung ist gut, aber auch nicht sonderlich überraschend. Ich denke, die Österreicher sind froh, er als Österreicher ist auch froh – was will man mehr? (Ronald Pohl, 10.7.2017)