Die Grenze zwischen Indien und China am Nathu La in der Nähe des Doklam-Plateaus.

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Das umstrittene Doklam-Plateau ist nur wenige Kilometer von der indisch-chinesischen Grenze entfernt.

Neu-Delhi / Wien – Kolportierte 6.000 Soldaten der indischen und chinesischen Armee wurden mittlerweile zur Verstärkung an die gemeinsame Grenze geschickt. Hunderte sollen auf dem kleinen Doklam-Plateau im Himalaya auf 3.000 Meter Seehöhe die Stellung halten.

Peking wirft Indien vor, in chinesisches Territorium eingedrungen zu sein: Das Doklam-Plateau gehöre zu Tibet und sei damit Teil Chinas. Das kleine Königreich Bhutan sieht das aber anders. Es beansprucht das Plateau für sich. Weil Bhutan und China keine diplomatischen Beziehungen pflegen, werden alle Grenzfragen in Neu-Delhi verhandelt.

Und den Indern liegt viel daran, Bhutans Ansprüche im Himalaya zu verteidigen. Das Plateau ist nur wenige Kilometer von der indischen Grenze und dem Bundesstaat Sikkim entfernt. Der indischen Meinung nach hält man China bloß davon ab, auf dem umstrittenen Plateau unrechtmäßig Straßen zu errichten.

Eine neue Straße als Auslöser

Die chinesische Volksbefreiungsarmee hat in den vergangenen Monaten eine Straße über das Plateau fast bis an die indische Grenze gebaut. Die neue Straße zwingt Indien in eine militärisch schwächere Position, denn es kann mit nichts Vergleichbarem auf seiner Seite aufwarten. Nachdem indische Soldaten auf das Plateau gekommen waren, zerstörte China wiederum zwei indische Bunker in der Bergregion.

Ende Juni trafen schließlich indische Soldaten auf chinesische. Dabei kam es zu einem merkwürdigen Gerangel in den Bergen, wie auch auf einem Video zu sehen ist.

Ende Juni kam es zu einem Gerangel zwischen indischen und chinesischen Soldaten, wie Zeenews berichtete.
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Seitdem befinden sich die beiden Länder in einer Pattsituation, aus der es kein schnelles Entkommen gibt. Im Gegenteil: Die Ländern senden einander seit Tagen Drohgebärden zu. Der Sprecher des chinesischen Verteidigungsministeriums, Col Wu Qian, forderte Indien auf, "aus seiner Geschichte zu lernen" – eine Anspielung an den Krieg von 1962, den Indien verloren hatte. Der indische Verteidigungsminister Arun Jaitley erwiderte darauf, dass Indien heute "anders als damals" sei.

China untersagte außerdem indischen Journalisten und Pilgern die Reise nach Tibet. Ein Treffen zwischen Chinas Präsident Xi Jinping und Indiens Premier Narendra Modi beim G20-Gipfel wurde laut chinesischer Seite abgesagt. Ein Sprecher der indischen Regierung meinte, es sei ohnehin nie geplant gewesen.

Indiens Sorge um den "Chicken Neck"

Der Sikkim-Experte Saul Mullard schätzt die Lage im Gespräch mit dem STANDARD als dramatisch ein. Indien habe keine andere Wahl, als Sikkim zu verteidigen. "Wenn Sikkim in chinesische Hände fallen würde, dann wären die Chinesen in der Lage, den gesamten Nordosten von Indien abzuschneiden", so Mullard. Denn vom Dreiländereck sind es nur wenige Kilometer hinunter in den "Chicken Neck", wie der schmale Korridor zwischen Bangladesch und Nepal genannt wird.

Um den Konflikt beizulegen, verlangt China den vollkommenen Rückzug indischer Truppen von dem von Peking beanspruchten Territorium. Indien wiederum verlangt von China, den Straßenbau einzustellen. Beide Länder werden kaum auf die gegenseitigen Forderungen eingehen können.

"Es wird Krieg im Himalaya geben"

Die Grenzregionen sind seit Jahren stark militarisiert. 2013 waren laut Mullard im indischen Bundesstaat Arunachal Pradesh, den China beansprucht, 100.000 Soldaten stationiert, in Sikkim immerhin 60.000. Srikanth Kondapalli, Sinologe an der Jawaharlal Nehru University in Neu-Delhi, sagte dem "Guardian", dass China eine Salamitaktik verfolge, indem es langsam versuche, sich immer mehr Land einzuverleiben.

Für China und Indien hat schon längst ein infrastrukturelles Rennen begonnen, um in den Grenzregionen Fakten zu schaffen. "Es wird Krieg im Himalaya geben", prognostiziert Mullard. "Man weiß nur nicht, ob das nun dieses Jahr, in fünf Jahren oder in zehn Jahren sein wird." Jedenfalls sieht er beide Riesen ihren nationalistischen Diskursen verpflichtet. Es werde zunehmend schwierig, eine friedliche Lösung zu finden, bei der keiner der beiden sein Gesicht verliere. (Anna Sawerthal, 11.7.2017)