Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán ist wahrscheinlich kein Antisemit, sondern nur ein zynischer Populist. Hochbezahlte Thinktanks ermitteln für ihn, was "das Volk denkt", welche mehr oder weniger niedrigen Stimmungen sich für den optimalen Stimmenfang ausbeuten lassen. Ein bisschen Antisemitismus geht immer. Ungarns Mitwirkung am Holocaust unter dem Hitler-Verbündeten Miklós Horthy ist unaufgearbeitet. Orbáns neueste, vor keinem Straßeneck haltmachende Plakatkampagne gegen den Lieblingsfeind George Soros spielt mit den Chiffren und Codes des Antisemitismus.

Zugleich ist Orbán kein Demokrat. Gerne sichert er den Juden in Ungarn seinen "Schutz" zu. Es ist der "Schutz" des christlich-völkischen Staates, der den Juden als Minderheit gnädig gewährt wird. Es ist das Modell des Millet-Systems aus dem Osmanischen Reich, in welchem Christen und Juden als Kollektive Schutz und Rechte im islamischen Staatswesen erhielten. Als man es vor mehr als 600 Jahren schuf, war es sogar etwas Fortschrittliches.

Orbán geht mit dem ganzen Land in dieser vordemokratischen Mentalität um. Kritische Medien, kritische Stimmen aus den Institutionen beschmutzen die "ungarische Nation". Sie müssen weg. Wie etwa das von einem unangepassten jüdischen Jugendverein getragene Kulturbeisl Auróra. Oder die Central European University (CEU) in Budapest. Letztere hat George Soros gegründet. (Gregor Mayer, 10.7.2017)