Wien – Wenn Axl Rose einmal wissen will, was er damals zumindest von der grundsätzlichen Idee her und weniger ins tagesaktuelle Detail gehend so gemacht hat, als er noch die Welt regierte, muss er ein Buch lesen. Es handelt sich dabei um eine Autobiografie namens The Dirt, die zwar nicht von ihm, sondern von der amerikanischen Pudelmetall-Band Mötley Crüe stammt.

Guns N' Roses gastierten gestern im Wiener Ernst-Happel-Stadion.
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Allerdings kommt er darin dank zahlreicher Querverbindungen, von wegen Ausschweifengehen mit "Playboy"-Models, Beschaffungskriminalität wegen Haarspray oder dem Spritzen von Haschischzigaretten und Exzessen mit Kajal mehr als einmal vor. Eigentlich ein Wunder, dass Axl Rose gemeinsam mit Gitarrist Slash und Bassist Duff McKagan als heute verbliebene Stammband überhaupt noch nebenher Musik machen konnte. Redlich bemüht, dies nicht zu tun, haben sie sich ja ohnehin.

Die US-Rockband "Guns N? Roses" spielt am Montagabend im Ernst-Happel-Stadion. Die Veranstalter haben verschärfte Sicherheitsmaßnahmen angekündigt.
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Ondulierter Schreihals-Rock-'n'-Roll

Die Guns N' Roses sorgten im Los Angeles der späten 1980er- und frühen 1990er-Jahre jedenfalls mit breitbeinigem, onduliertem und schlecht tätowiertem Schreihals-Rock-'n'-Roll ein letztes Mal dafür, dass diese Musik als überreizt dekadent, überzogen gottlos und rechtschaffen arbeits- und lichtscheu wahrgenommen und an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurde, dorthin, wo in Beverly Hills die Millionäre wohnen. 100 Millionen durch schiere Verhaltensauffälligkeit verkaufte Platten.

Aus der Schablone gepresste Welthits

Wenn man sich heute im Wiener Ernst-Happel-Stadion von sichtlich abgerockten Männern jenseits ihrer Lebensmitte mühsam aus der Schablone herausgepresste Welthits wie Welcome To The Jungle oder You Could Be Mine vorspielen lässt, muss man sich bitte an diesen alten Glanz erinnern. Die Guns N' Roses waren vor einem Vierteljahrhundert für Leute, die angestochenen Operetten-Rock-'n'-Roll mit Erdung in der Überdosis und überlangen Gitarrennudeleien mögen, eine große Sache.

Das Album Appetite for Destruction und das zweiteilige Monsterwerk Use Your Illusion bilden auch die Grundlage dafür, dass 55.000 Besucher im Happel-Stadion gut 120 Euro zahlen, um sich von den Guns N' Roses nach einem Vierteljahrhundert weitgehend in Originalbesetzung alte Hadern mit nicht durchgehend hohem Wiedererkennungswert um die Ohren hauen zu lassen.

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Guns-N’-Roses-Frontman Axl Rose Ende Juni bei einem Auftritt in Stockholm. In Wien herrschte Fotografierverbot.
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Fast ein Drittel des knapp dreistündigen Konzerts scherte sich offensichtlich niemand darum, für eine passable Tonqualität zu sorgen. Live And Let Die, die Coverversion des alten Wings-Haderns für James Bond, ließ dann im Gegensatz zum Originalmaterial der Guns N' Roses aufgrund ihres melodischen Wiedererkennungswerts erstmals die noch immer beachtliche Heuligkeit und Jauligkeit Axl Roses erahnen.

Coole Rockeroutfits von H&M

Auch erste erkennbare Variationen des einen Endlossolos, das sich Slash einst einmal unter Zylinderhut, Sichtschutzbrille und Tarnfrisur ausgedacht hat, waren zu hören. Erstaunlich. Und wie zeitraubend. So etwas wird heutzutage gar nicht mehr gebaut. Axl Rose hatte sich diese Instrumentaleinlagen während der Konzerte der nach mehr als zwei Jahrzehnten Streit, Zank und Zwist rein aus künstlerischen Gründen wiedervereinigten Guns N' Roses von seinem Anwälteteam gegenüber den Interessenvertretern von Slash zusichern lassen.

Er muss sich während des Konzerts mehrmals umziehen, um etliche total coole Rockeroutfits vorzuführen. Die kann man heute bei H&M kaufen. Sie kommen in der Diätmargarinewerbung oder bei coolen Wahlwerbeclips der heimischen Parteien zum Einsatz – wenn es darum geht, den Kontakt mit den coolen jungen Leuten zu demonstrieren. In der Fabrik zerrissene Jeans. T-Shirts mit gefährlichen Tieren oder dem Harley-Davidson drauf. Hilfe. Slash gniedelt ein wenig Voodoo Child von Jimi Hendrix, Chuck Berrys Johnny B. Goode steht unter dem schiefen Licht des von jedem Soul befreiten Hardrock.

Und dann müssen auch noch Wish You Were Here von Pink Floyd und die Titelmelodie von The Godfather dran glauben. Sweet Child O' Mine leidet nach sommerlichen Regengüssen im Stadion den November Rain ein, die große, durchgeknallte, pathetisch überladene und überkandidelte Ballade aus der schönen Jugendzeit der vielen Leute, die heute gekommen sind, um sich an den Übergang von Petting zu, nun ja, richtigem Sex zu erinnern. Mei, war das schön damals.

Diskonterbettwäsche

Bei einem bekannten heimischen Diskonter gibt es übrigens gerade Guns-N'-Roses-Bettwäsche für 19,99 Euro zu kaufen. So gesehen freuen wir uns doch alle an diesem sich über die Stunden zunehmend verbessernden Konzert der Guns N' Roses in Wien und sehen ein letztes Mal gnädig darüber hinweg, dass Bob Dylans Coverversion des alten Roses-Hits Knocking On Heaven's Door etwas kerniger ausgefallen ist als das den Gehörgang zerschneidende Original.

Achtung, es folgt noch eine wichtige Information: Die Tanzbewegungen des heutzutage offensichtlich wieder regelmäßig essenden Axl Rose waren an selber Stelle im Vorjahr als Frontmann von AC/DC überzeugender. Und damals saß er mit Gips im Rock-'n'-Rollstuhl. Wie sagt der Mann: Wir werden von einem Leiden nur geheilt, indem wir es bis zum Letzten auskosten. (Christian Schachinger, 11.7.2017)