Wien – Wie viele Technoheads sich in ihrer Lebensmitte nach Nashville verfügen, weiß man nicht. Diesbezügliche Erhebungen dürfte es nicht geben, die Anzahl jener, die aus dem kalten Beton des großen Wumms in die käsige Metropole des Country wechseln, dürfte im einstelligen Bereich liegen. Möglicherweise ist Jamie Lidell gar der Einzige. Doch bei ihm macht es durchaus Sinn.

Jamie Lidell gastiert nächste Woche im Wiener Wuk. Die Geburt seines Sohnemanns verleiht seinem aktuellen Album eine Extraportion Herzensgefühl.
Foto: Warp Rec.

Der britische Sänger startete seine Karriere in Technoclubs. Dort tat er sich Ende der 1990er mit dem Produzenten Cristian Vogel zusammen und gründete Super_Collider. Ein rabiates Duo, in dem Lidells beseelter Gesang den Part des Vermenschlichers innehatte. Das Projekt war so erfolgreich, dass daraus seine Solokarriere entstand, die Lidell am Mittwoch kommender Woche wieder einmal nach Wien führt. Im Wuk wird er das im Vorjahr erschienene Album Building A Beginning präsentieren.

Mit dem Album hat er sich nach langen Jahren von seinem Label Warp gelöst. Der britische Verlag galt als Garant für originelle Acts mit Blick über den elektronischen Tellerrand und hat mit Formationen wie Grizzly Bear sogar quasi artfremde Bands unter Vertrag.

Auf Warp erschien mit Multiply 2005 Lidells Durchbruchsalbum. Die Symbiose aus elektronischem Funk und der immer zart an Stevie Wonder erinnernden Stimme Lidells zeitigte einige Hits.

Es folgten Kooperationen mit Beck und anderen Big Shots sowie weitere Alben für Warp, die seinen Status festigten. Seine Arbeiten und seine Auslegung von Soul wurden dabei traditioneller. Damit ist er in Nashville kein ganzer Exote, schließlich sind die Übergänge zwischen Südstaaten-Soul und Country fließend.

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Building A Beginning deutet einen Neubeginn nicht nur an, das Album steht unter dem Eindruck der Geburt seines Sohnes, was sich in offenherzigen Titeln wie I Live To Make You Smile niederschlägt. Oder in der unverblümten Begeisterung des seinem Sohn zugedachten Stücks Julian. Einer von vielen einschlägig funkigen Songs, denen Lidells charakteristischer Positivismus das Hauberl aufsetzt.

Live setzt Lidell seine Musik mit den The Royal Pharaohs um. Die ruhigeren Songs des neuen Albums wird die Band mit extra Fett ausstatten, wobei Lidells Werk ein Verständnis für Ökonomie auszeichnet. Der Mittvierziger weiß, dass er aufhören muss, bevor er einen Track in seinen Möglichkeiten ersäuft. (Karl Fluch, 11.7.2017)