Video: Mit dem Narrowboat durch den Kanal Monmouthshire & Brecon.

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Warum walisische Boote so schmal sind?

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Die Narrowboats müssen in Wales sehr enge Kanäle passieren.

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Die Fahrt über Aquädukte wie jenen auf dem Llangollen-Kanal ist spektakulär.

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Der gusseiserne Trog dieses Aquädukts ist über 300 Meter lang.

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Die Queen ist kein leichtes Mädchen. Stolze acht Tonnen bringt sie bei einer Länge von elf Metern auf die Waage. Mit knapp zwei Knoten schiebt sich der gelb-blaue Stahlkoloss durch den trägen, braunen Monmouthshire-Brecon-Kanal. Dass sich das Boot so gemächlich fortbewegt, liegt weniger an ihrem Gewicht, sondern an den Untiefen dieses 56 Kilometer langen Wasserwegs in Wales. Gerät das Boot zu nah ans Ufer, kann es leicht auf einer Sandbank stecken bleiben.

Gerade hatten wir uns an den Linksverkehr auf britischen Straßen gewöhnt, heißt es nun: Auf Gewässern fährt man weltweit rechts. "Das gilt auch fürs Vereinigte Königreich", meint Nigel Curtis von Road House Narrowboats in Gilwern nördlich von Cardiff. Seit sechs Jahren führen er und seine Frau Sally die kleine Marina mit vier Schiffen nahe der Brücke 103. Die Kanal-Enthusiasten gaben dafür ihre stressigen Jobs in Bournemouth in Südengland auf.

Prinzip Badewanne

Die langen, schmalen Hausboote, Narrowboats genannt, kann man zwar ohne Bootsführerschein fahren, aber eine einstündige Einweisung ist zumindest für Neulinge erforderlich. Die erste Erkenntnis: Auf einem Narrowboat gibt es weder Steuerrad noch Joystick oder Bug- und Heckstrahlruder, kein Echolot zum Anzeigen des Abstands zwischen Kiel und Grund oder der Geschwindigkeit. Am Heck befindet sich nur eine lange Eisenstange, die Ruderpinne. Eine Ein-Hebel-Schaltung mit Vorwärts-, Rückwärtsgang und Leerlauf steuert den Dieselmotor.

"Man fährt nach Gefühl. Wenn Wellen ans Ufer schwappen, seid ihr zu schnell", erklärt Nigel und das Schleusen sei dead easy. "Wenn ihr wisst, wie man eine Badewanne füllt und entleert, dann habt ihr das Prinzip verstanden." Stirnrunzeln. Aber Nigel verspricht vor Ort zu sein, wenn wir die erste von fünf Schleusen erreichen, und mit uns zusammen die Theorie in die Praxis umzusetzen.

Wasserwegenetz

Die zahlreichen Kanäle in Großbritannien stammen aus der Zeit der industriellen Revolution ab Ende des 18. Jahrhunderts. Thomas Dadford junior ist der Erbauer des Monmouthshire-Brecon-Kanals. Zusammen mit seinem Vater und zwei Brüdern war er für die Konstruktion diverser Wasserstraßen in Wales verantwortlich. Pferde brachten aus den umliegenden Zechen und Wäldern Kohle, Kalkstein, Erze, Schiefer und Holz zu den Kanälen.

Die Narrowboats, die einst ebenfalls von Pferden gezogen wurden, transportierten die Güter dann in die größeren Städte oder zu den Seehäfen entlang der Küste. Mitte des 19. Jahrhunderts begann bereits der Rückgang des Warentransports auf dem Wasserweg, da die Eisenbahn preiswerter war. "Ab 1920 wurde der Mon-Brec-Kanal kaum noch genutzt", sagt Nigel: "Fünf Jahrzehnte später entwickelte sich langsam der Tourismus auf einigen wiederbelebten Abschnitten. Über 3.000 Kilometer beträgt das historische Wasserwegenetz in Wales und England."

Quer in der Schleuse

Endlich dürfen wir den Schlüssel umdrehen. Der Motor rattert wie ein Traktor. Nigel drückt die Queen vom Ufer aus ein Stück Richtung Kanalmitte. Behutsam in den Vorwärtsgang. Schon tuckern wir auf die erste Brücke zu, die so niedrig ist, dass wir nicht mehr aufrecht stehen können. Rechts des Kanals verläuft der Pfad, auf dem früher die Arbeitspferde entlang trotteten, die die Lastenkähne zogen. Heute preschen Radler und Jogger vorüber. Entenmütter geben ihren Küken im trüben Wasser Schwimmunterricht, und zottelige Wollknäule blöken auf den angrenzenden grünen Weiden: Croesu y Cymru – willkommen in Wales!

Alle paar Kilometer passieren wir verschlafene Dörfer. Nur aus den Pubs und Restaurants dringt munteres Stimmengewirr. Llanelly, Llangattock und Crickhowell, das vo einem Tafelberg überragt wird, liegen bereits hinter uns, als die erste von fünf Schleusen hinter Llangynidr in Sicht kommt. Das untere Tor steht offen. "Langsam und gerade einfahren", ruft Nigel Curtis vom Ufer aus. Doch links vom Schleusentor strömt Wasser aus, das einen starken Sog verursacht und den Bug des Boot herumreißt. Na bravo, wir stehen quer im Kanal. Mit Tauen und vereinten Kräften zweier Spaziergänger bringen wir die Queen wieder in die richtige Position.

"Dead easy"

Nicht das Prinzip der Kammerschleuse erweist sich danach als Krux, sondern das Schließen der Tore mittels dicker Eichenbalken und das Hoch- und Runterkurbeln der Ventile, um Wasser ein- und auszulassen. Es erfordert einiges an Muskelkraft. Nach knapp zwei Stunden haben wir fünf Schleusen gemeistert – "dead easy"!

Bis Talybont-on-Usk wollen wir es noch schaffen, bevor am Himmel die Sterne leuchten. Stockdunkel wird es bereits vorher im Ashford-Tunnel. Kurz darauf machen wir die Queen an den Pollern vor Brücke 144 fest. Ein zart rosa gebratenes Lammfilet mit grünen Bohnen im White Hart Inn in Talybont haben wir uns verdient.

Eine elektrische und drei handbetriebene weiße Ziehbrücken säumen am nächsten Tag den Weg. Bis Brecon, wo der Fluss Usk den Kanal mit Wasser speist, ist es noch eine Tagesreise. Da wir einen weiteren Kanal in Nordwales erkunden wollen, drehen wir bereits in Pencelli und begeben uns auf die Rücktour. Ein Tunnel, fünf Schleusen und genau 50 Holz- und Steinbrücken liegen vor uns, bis Nigel seine Queen und uns hinter Brücke 103 wieder in Empfang nimmt.

Gusseisentrog mit Aussicht

Szenenwechsel – 160 Kilometer nördlicher. Der spektakulärste aller britischen Aquädukte befindet sich auf dem Llangollen-Kanal. "Geflutet wird dieser Wasserweg durch die Horse Shoe Falls, einen Wasserfall in Form eines Hufeisens", erzählt Bill Furniss an der Llangollen Wharf. In einer scharfen Rechtskurve biegen wir bei Trevor in den 307 Meter langen gusseisernen Trog des Aquädukts ein. Die Bauweise vor 200 Jahren mutet abenteuerlich an, doch sie hat sich bewährt: Der schottische Konstrukteur Thomas Telford ließ schwere Metallplatten verschrauben und mit Flanellstoff, der in kochende Zuckerlösung getränkt war, abdichten. Die Nahtstellen wurden mit Blei versiegelt.

Die Fahrrinne ist nur minimal breiter als das Boot. An einer Seite verläuft ein Treppelweg, der durch ein Geländer zum Abgrund hin gesichert ist. Zur anderen Seite umgibt uns nur eine frische Brise, und 37 Meter tiefer rauscht der wilde Fluss Dee durchs Tal. Für Höhenangst ist es jetzt der falsche Moment, aber wenigsten ist das Navigieren "dead easy". (Dagmar Krappe, 26.7.2017)