Arnold Schönbergs Lieder im Kuppelsaal in Hannover. Weltweit leihen sich große Orchester und Opernhäuser Noten aus Wien.

Wien – "Wien ist eine der wenigen großen Musikmetropolen, und die Universal Edition ist mit der Stadt verbunden wie die Donau." Astrid Koblanck und Stefan Ragg pflegen ein Erbe, das in sich den Großteil der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts birgt. Gustav Mahler ließ in der Universal Edition die meisten seiner Symphonien verlegen, Béla Bartók seine Orchesterwerke, Richard Strauss seine Lieder. Kurt Weills Dreigroschenoper ist in der Obhut des Verlags. Nach 1950 zogen Komponisten von Pierre Boulez über Friedrich Cerha bis Wolfgang Rihm und Karlheinz Stockhausen in seine Kataloge ein. Und auch für viele junge Musiker führt an ihm kein Weg vorbei.

Doch anders als so manch Buchverlag wird der Traditionsbetrieb, der als eine Aktiengesellschaft firmiert, zwar in Opern und Konzertsälen gehört, arbeitet aber ansonsten hinter den Kulissen, erzählen die Vorstände Koblanck und Ragg dem STANDARD. Schließlich sind es vorwiegend Dirigenten, Interpreten und Intendanten, die seit nunmehr 116 Jahren den Kontakt zu ihm suchen. Und so gewichtig die Werke sind, die der Verlag verwaltet und verleiht, steckt er doch angesichts fortschreitender Digitalisierung und Veränderungen in der Musikkultur mitten im Umbruch.

Keine Subventionen

Seine knapp 70 Mitarbeiter setzen in Wien rund zwölf Millionen Euro um und erzielen stete Gewinne. Gegründet unter der Schirmherrschaft des Kaisers, von Verlegern, die ein Gegengewicht zu großen deutschen Verlagen schufen und dafür Bankiers als Financiers fanden, ist die Universal Edition nach wie vor in privater österreichischer Hand. Öffentliche Förderungen gab es für Musikverlage in Österreich anders als für Kollegen aus der Buchbranche nie. Vor allem kleinen Verlagen wie Doblinger, die sich stark für österreichische Künstler engagieren, bleibt dadurch kaum finanzieller Spielraum. "Auch wir haben bisher alles aus eigener Kraft heraus bewältigt", resümiert Koblanck.

Illegale Downloads

Ein Kerngeschäft ist die Herstellung von Noten für musikalische Anfänger bis Professionisten. Kopierer machten der Universal Edition schon vor Jahrzehnten das Leben schwer. Nun leiden die Umsätze unter illegalen Downloads aus dem Internet. Zudem steht das Erlernen von Instrumenten zunehmend in Konkurrenz zu anderen Freizeitaktivitäten, womit das Potenzial an jungen Kunden sinkt.

Der Verlag stellt des Weiteren Aufführungsmaterial wie Partituren, Klavierauszüge und Stimmen her, die an Opernhäuser und Orchester verliehen werden. Hier geben nach wie vor Noten in Papierform den Ton an. Symphonieorchester wollen die gedruckte Note, sagt Ragg und erzählt von einer Portion Misstrauen in digitale Technologien: Zu groß sei die Sorge, dass technische Pannen ein Konzert in Gefahr bringen.

In der Kammermusik aber etwa sind Tablets weiter verbreitet. À la longue werde es wohl überall ein Nebeneinander von Noten in digitaler und papierener Form geben, ist Ragg überzeugt, der die Digitalisierung nicht nur als Bedrohung, sondern auch als Chance verstanden wissen will. Mit dem Verschicken digitaler Noten geht freilich jede Kontrolle darüber verloren.

Angst vor Kontrollverlust

Branchenstandards, wie sich finanzielle Rechte der Nutzung damit absichern lassen, fehlen. Ragg und Koblanck glauben, dass sich in zwei bis drei Jahren Lösungen finden. "Es wird an Modellen gearbeitet, die alle Interessen berücksichtigen – auch jene der Komponisten und Verleger." Viele Musiker bezweifeln jedoch, dass sich diese aufgrund der hohen Komplexität der Branche in absehbarer Zeit umsetzen lassen. Traditionell wertvolle Geldquellen drohten bis dahin zusehends zu versiegen.

Neue Zeiten bahnen sich für die Universal Edition auch rund um Copyrights an. Werke von Komponisten sind in der Regel bis 70 Jahre nach ihrem Tod urheberrechtlich geschützt. Bis dahin erhalten Erben und Verlage Tantiemen. Die Schutzfristen für Anton Webern und Béla Bartók liefen in den vergangenen Jahren bereits aus. Richard Strauss, Kurt Weill und Arnold Schönberg werden in Bälde frei.

Junge lebende Künstler können diese Lücke schwerlich füllen. Sie leben überwiegend von Auftragsvergaben. "Der Markt ist uraufführungsgesteuert", erklärt Koblanck. In Ermangelung weiterer Aufführungen nach Uraufführungen ist für Verlage mit Notenmaterial wenig zu verdienen.

Tür zur Welt

Aus Sicht der Universal Edition eröffnen sich dennoch neue Wege – abseits des Notendrucks, für den zeitgenössische Komponisten mittlerweile zumeist selbst sorgen. "Sie brauchen Vertriebspartner und eine Tür in die Welt", sagt Koblanck.

Ziel sei es, Servicepakete für sie zu schaffen. Auch der Verlust an exklusiven Nutzungsrechten musikalischer Schwergewichte führt aus ihrer Sicht nicht zu sofortigen Umsatzeinbußen: So gebe es großen Bedarf an Werken, die für kleinere Orchester bearbeitet werden, was Schutzfristen verlängert. Längere Fristen gelten zudem in den USA, Frankreich und Spanien.

Wertvolle Handschriften

Im Fundus des Wiener Verlags finden sich unzählige Handschriften und Abzüge von auf Metall gestochenen Noten, die als solche weiterhin verliehen werden. Sie werden laufend digitalisiert. Alle in digitale Form zu bringen wäre jedoch schlichtweg zu teuer. Mit dem Computer setzt die Universal Edition Noten seit 25 Jahren, ein Job für Spezialisten, den nur wenige beherrschen. "Jeder Verlag hat ein eigenes Notenbild, und die Kunden wollen Perfektion", sagt Ragg. Wie ein Leser einen Text genieße, so genieße ein Musiker fein säuberlich gesetzte Notensätze. (Verena Kainrath, 13.7.2017)