Easy Jet zieht es nach Wien.

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Wien/London – Der Brexit bringt Europas Luftfahrtindustrie in Bewegung. Am Freitag kündigte der britische Billigflieger Easy Jet den Aufbau eines neuen Firmenstandorts innerhalb der EU an. Sollte der "weit fortgeschrittene Akkreditierungsprozess" erfolgreich abgeschlossen werden, will die Airline rund 100 Jets in Wien anmelden. Während die Entscheidung an der Londoner Börse zurückhaltend aufgenommen wurde, herrschte in der österreichischen Hauptstadt Jubel. "Die Qualität unseres Landes und seiner Menschen hat sich durchgesetzt", teilte Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) vorab mit, bevor er flugs nach Schwechat jettete, um einen Flieger des Wiener Unternehmens in spe zu begrüßen.

Seit der Austrittsentscheidung vor gut einem Jahr weisen Experten auf zukünftige Probleme der europäischen Luftfahrt hin. Zum sogenannten gemeinsamen Luftverkehrsraum ECAA gehören neben den EU-Staaten auch die Schweiz, Island und Norwegen; Voraussetzung ist aber die Anerkennung der gemeinsamen Spielregeln, denen sich Großbritannien durch den Austritt aus Binnenmarkt und Zollunion ja gerade entziehen will.

Daraus zog Easy Jet den Schluss, es brauche für die Zukunft eine Flugberechtigung, das sogenannte Air Operator Certificate (AOC), in einem EU-Land, um die reibungslose Abwicklung von Flügen innerhalb der EU zu gewährleisten. Dies betrifft rund 30 Prozent aller Routen, die derzeit von der Airline bedient werden. Das Geschäftsmodell des 1995 vom griechisch-zypriotischen Serienunternehmer Stelios Haji-Ioannou beruhte auf der Integrität des Binnenmarktes, weshalb der Aktienkurs von Easy Jet binnen Jahresfrist um gut ein Viertel abgeschmiert ist.

11,4 Millionen Investitionen

Bereits im Oktober weilte Vorstandschefin Carolyn McCall zu ersten Gesprächen in Wien, beriet sich aber auch mit den Vertretern anderer Städte über eine mögliche Ansiedlung. Für die österreichische Hauptstadt habe der gute Ruf des dortigen Luftfahrtaufsehers Austro Control sowie die positiven Gespräche mit den Verantwortlichen im Wirtschaftsministerium den Ausschlag gegeben, hieß es am Freitag in London.

Die neue Unternehmenstochter Easy Jet Europe wird deshalb ihr Hauptquartier in Wien aufschlagen. Schon bisher benutzte rund eine Million Menschen den Billigflieger für Flüge von und nach Innsbruck, Salzburg, Klagenfurt sowie Wien. In Zukunft werden weitere 30 Millionen Fluggäste "unter rot-weiß-roter Fahne fliegen", wie Bundeskanzler Kern verlauten ließ.

Unternehmensangaben zufolge sind für die neue Tochterfirma zunächst Investitionen von rund 11,4 Millionen Euro veranschlagt. Ausdrücklich hieß es am Standort Luton, einer schmuddeligen Industriestadt 40 Kilometer nördlich von London, in Großbritannien sei keiner der derzeit rund 4000 Arbeitsplätze auf der Insel gefährdet. Insgesamt beschäftigt die Gruppe 11.000 Arbeitnehmer, um mit 265 Jets jährlich 78 Millionen Passagiere an 124 Zielorte zu bringen.

Für den wichtigsten Konkurrenten, Ryan Air, stellt sich das Brexit-Problem umgekehrt dar: Der in Irland ansässigen Firma könnte künftig das innerbritische Geschäft wegbrechen. Anders als Easy Jet hatte Ryan-Air-Chef Michael O'Leary die Briten lautstark zum EU-Verbleib aufgefordert. Seit der Entscheidung vor Jahresfrist erschreckt der Ire die Nachbarinsel regelmäßig mit düsteren Prognosen. Bis zum avisierten Austritt im März 2019 sei ein vernünftiger Ersatz der bisherigen "Open Skies"-Bestimmungen nicht möglich, glaubt O'Leary. Tausende von Flügen müssten abgesagt werden, seine eigene Firma werde ihre Flotte vom Londoner Standort Stansted auf den Kontinent verlegen. "Brexit stellt einen wirtschaftlichen Selbstmord von historischem Ausmaß dar." (Sebastian Borger aus London, 14.7.2017)