Jane Austen auf einem späteren Stich, ganz im Stil ihrer Zeit.

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Das Jane-Austen-Haus in Hampshire.

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Greer Garson als Elizabeth Bennet (links) und Maureen O'Sullivan als ihre Schwester Jane in einer "Pride and Prejudice"-Verfilmung aus dem Jahr 1940.

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Julia Kospach, Jg. 1968, bis 2004 Redakteurin bei "Profil", dann Projektmitarbeiterin bei André Heller. Seit 2006 freie Autorin.

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Man muss sie zwar mit der Lupe unter den Abermillionen Austen-Fans suchen, aber es gibt sie, die Leute, die Jane Austen auf den Tod nicht leiden können. Der – neben Emily Brontë – prominenteste unter ihnen, nämlich Mark Twain, trug der englischen Schriftstellerin sogar noch posthum Prügel an. "Jedes Mal, wenn ich Stolz und Vorurteil lese, möchte ich die Frau am liebsten ausgraben und sie mit ihrem eigenen Schienbein versohlen." Was Twain so an Austens berühmtestem Roman aufgeregt haben könnte, ist nicht überliefert. Die Gefühlsaufwallung des großen Lästermauls der amerikanischen Literaturgeschichte ist umso verblüffender, als man doch eigentlich meinen sollte, die Engländerin mit der spitzen Feder und der Amerikaner mit der scharfen Zunge hätten – über die Jahrzehnte hinweg, die ihre Lebenszeiten voneinander trennten – ein Herz und eine Seele sein müssen.

Aber so ist es nun einmal mit Jane Austen, deren 200. Todestag am 18. Juli mit viel Brimborium begangen wird und über deren hausmütterchenstilles Leben man in dem Maße unterdurchschnittlich wenig weiß, in dem überdurchschnittlich viel darüber geschrieben und fabuliert worden ist – bis heute. Dass ihre heißgeliebte ältere Schwester Cassandra nach Janes frühem Tod aus Gründen familiärer Diskretion einen Großteil von Janes Briefen verbrannte, hat es den Austen-Exegeten zweier Jahrhunderte nicht gerade leichter gemacht.

Ein Kind der Regency-Ära

Eine einzige gezeichnete Porträtskizze aus der Hand Cassandras zeigt Jane Austen von vorn: ein Häubchen und kurze Stirnlocken ganz im Stil ihrer Zeit, ein kleiner, schmaler Mund und ausdrucksvolle, große, dunkle Augen. Als leiser Hinweis auf ihren unabhängigen Geist dienen vielleicht die resolut vor der Brust verschränkten Arme. Das Porträt allerdings, kommentierte ihre Nichte Anne, schaue "Jane schauderhaft unähnlich".

Die Zeichnung mag also die voyeuristische Neugier von uns Nachgeborenen ein wenig befriedigen, aber sie hilft bei einer Annäherung an Jane Austen wenig weiter.

Dazu kommt ein seltsames Phänomen: Auch literatur- und kunstaffine Menschen neigen dazu, Austens Leben und die Entstehung ihrer Romane im viktorianischen England des späteren 19. Jahrhunderts zu verorten. Tatsächlich starb Jane Austen zwei Jahre, bevor Königin Victoria 1819 auf die Welt kam. Austen war ein Kind der britischen Regency-Ära, eine Zeitgenossin von Goethe, Kleist, Mozart und Napoleon. In ihre Lebenszeit – 1775 bis 1817 – fielen nicht nur die großen sozialen und politischen Veränderungen der einsetzenden Industrialisierung, sondern auch die Napoleonischen Kriege und die ihnen vorausgegangene Französische Revolution. Von dieser war Jane Austen über ihre glamouröse Cousine Eliza de Feuillide sogar insofern direkt betroffen, als Elizas Ehemann, ein französischer Graf, 1794 als treuer Royalist guillotiniert wurde.

Kein Wort von den Umbrüchen

Von all diesen Umbrüchen und Umwälzungen, die über Europa hinwegfegten: So gut wie kein Wort steht davon in Austens Romanen. Und das, obwohl zwei ihrer Brüder die Militärlaufbahn einschlugen (Francis Austen brachte es bis zum nobilitierten Flottenadmiral), obwohl Offiziere wie der ernsthafte Oberst Brandon in Verstand und Gefühl oder der lasterhafte Wickham in Stolz und Vorurteil wichtige Männertypen im Austen-Kosmos sind, und obwohl in ihren Romanen oft von stationierten Regimentern die Rede ist und einige ihrer Frauenfiguren – wie die zwei albernen jüngsten Bennet-Schwestern Kitty und Lydia in Stolz und Vorurteil - buchstäblich verrückt sind nach Offizieren, Uniformen und Bällen, auf denen man Ersterer ansichtig werden kann.

Die große Welt bleibt bei Jane Austen draußen und ist doch implizit in ihrem Mikrokosmos enthalten. Der könnte gar nicht klarer umrissen sein: das Milieu der Gentry, der landbesitzenden, müßigen Klasse des niederen Adels und wohlhabenden Bürgertums in den ländlichen Grafschaften rund um London. Weiter ist auch Jane Austen selbst nie gekommen. Es ist die Schicht, der ihre relativ gut situierte Familie angehörte, die Schicht, die die Pfarrerstochter aus Hampshire nie verließ und in der ihre Bücher angesiedelt sind.

Satirische Sittengemälde

Ihre Werke – sechs vollendete Romane, zwei Romanfragmente und zahlreiche kürzere Jugendwerke verschiedener Genres – sind zum überwiegenden Teil satirische Sittengemälde einer Welt, die für Männer Jagd und Vermögensverwaltung, für Frauen Klavierspiel und Handarbeit und für alle gemeinsam einen schier endlosen Reigen von Nachbarschafts- und Verwandtschaftsbesuchen, von Dinners und Bällen im vorrangigen Dienste der Einfädelung günstiger, in Pfund bezifferbarer Eheschließungen vorsah – ein hochkomplexes Regelwerk gesellschaftlicher Dos and Don'ts inklusive. Ein Paar, das öfter als zweimal miteinander tanzte, war praktisch schon verlobt. Eins, das sich Briefe schrieb, ebenfalls. Austens zeitgenössische Leser wussten solche Botschaften natürlich zu entschlüsseln. Heutige Leser mögen die Zeichen übersehen. Das Erstaunliche ist, dass Jane Austens Beziehungsgeflechte auch ohne dieses Wissen funktionieren. Das klassische Austen-Einstiegsszenario, das den Knoten schürzt, klingt also – mit dem berühmten ersten Satz von Stolz und Vorurteil - so: "Es ist eine allgemein anerkannte Tatsache, dass ein alleinstehender Mann im Besitz eines hübschen Vermögens nichts dringender braucht als eine Frau."

Das Schreiben von Romanen galt in diesen müßigen, besitzenden Kreisen voller Herrenhäuser, Kutschenfahrten, Toilettewechsel und rosenumrankter Cottages als äußerst undamenhaft, mehr noch: Es war geradezu skandalös. Denn Romane waren im Vergleich zu Lyrik und Dramatik das (noch junge) Schmuddelgenre der Literatur. Wenn also die 23-jährige Jane Austen in einem Brief schreibt: "In unserer Familie liest man Romane und schämt sich dessen nicht", dann gleicht das allein schon einer kleinen Kampfansage und zeigt, dass im Hause Austen, in dem alle sehr gut miteinander auskamen, ein ziemlich aufgeklärter Geist wehte. Sicherheitshalber publizierte aber auch sie zeit ihres Lebens anonym. "By a Lady" lautete ihre Autorenzeile.

Ein Raum für sich selbst

Die Bedingungen, unter denen sie schrieb, sind legendär: "Wie sie imstande war, das alles zu bewerkstelligen", schrieb später Janes Neffe James-Edward Austen-Leigh in der allerersten Biografie über seine Tante, "ist überraschend, denn sie hatte kein separates Arbeitszimmer, in das sie sich zurückziehen konnte, und der größte Teil der Arbeit musste im gemeinsamen Wohnzimmer geleistet werden, wo man allen Arten zufälliger Unterbrechung ausgesetzt war. Sie achtete darauf, dass ihre Arbeit von Bediensteten oder Besuchern oder gar von irgendwelchen Personen außerhalb der eigenen Familie nicht vermutet wurde." Betrat jemand den Raum, in dem sie schrieb, versteckte sie das Geschriebene unter einem Löschblatt, und die Türangel, die beim Öffnen erbärmlich quietschte, ließ sie nie schmieren, damit das Geräusch sie rechtzeitig vor jedem Eintretenden warnte.

Diese Schreibarbeit hatte etwas Verstohlenes. Doch vielleicht, so vermutete Virginia Woolf, "lag es in der Natur von Jane Austen, nicht zu wünschen, was sie nicht hatte. Ihre Begabung und ihre Arbeitsumstände entsprachen einander vollständig."

Lange nicht bekannt

Außerhalb ihrer unmittelbaren Familie wusste lange Zeit kein Mensch, dass die vier zu ihren Lebzeiten erschienenen Romane (Verstand und Gefühl, Stolz und Vorurteil, Mansfield Park und Emma), zu deren großen Bewunderern sogar der Prinzregent selbst zählte, aus Jane Austens Feder stammten. Erst drei, vier Jahre vor ihrem Tod wurde das zu einem offenen Geheimnis. Als ihr der Bibliothekar des Prinzregenten (des späteren Königs George IV) nach dem Erscheinen von Emma 1816 brieflich nahelegte, sie möge doch als Nächstes eine historische Romanze verfassen, schrieb sie ihm zurück, sie bleibe lieber bei "den häuslichen Szenen auf dem Lande".

Häusliche Szenen auf dem Lande: eine schier unfassbare Untertreibung für die subtilen Beziehungsreigen, blitzgescheiten Beobachtungen und messerscharfen Dialoge, die Jane Austen in ihren Romanen entfesselte und die allesamt zum Kanon der Meisterwerke der englischsprachigen Prosaliteratur zählen. Und doch stimmt es. Alles ist darin Alltag. Nicht Grauen und Grusel und Friedhöfe und Spuk in alten Gemäuern wie in den Gothic Novels, die zu Austens Zeit so populär waren. In Northanger Abbey hat sie selbst dieses – heute würde man sagen – Fantasy-Genre karikiert.

"Janeites" durch die Jahrhunderte

Man kann sich an Jane Austens Romanen einfach als an einer Art von historisch-romantischen Regency-Soap-Operas über Liebe und Partnerwahl erfreuen (denn die Guten kriegen einander bei Austen immer!), oder voller Bewunderung bis in den Satzbau hinein bestaunen, wie sophisticated und kunstvoll sie gemacht sind. Trotzdem ist das Gerücht, Austens Stil sei einfach, weit verbreitet. Virginia Woolf hatte zweifellos recht, als sie meinte, dass von allen großen Schriftstellern und Schriftstellerinnen Jane Austen die sei, die sich am schwierigsten in ihrer Größe erfassen lasse. Simpel ist bei Jane Austen nämlich gar nichts. Sie ist nur auf ganz erstaunliche Weise und über die Jahrhunderte hinweg massenkompatibel. In ähnlicher Weise, in der es, sagen wir, Picasso ist: Jeder kennt sie, jeder ist ihr begegnet, jeder hat eine Verfilmung ihrer Romane gesehen. Die Legionen von Austen-Bewunderern haben sogar, nach einer Wortprägung von Rudyard Kipling, ihren eigenen Namen: "Janeites".

Die einen lieben Austens romantische Happy Ends, die anderen das Screwball-Comedy-artige Pingpongfeuer ihrer Dialoge. Wieder andere lieben einfach nur Colin Firth in der Rolle des hochmütigen, doch aus Liebe wandlungsbereiten Mr. Darcy, wenn der in der BBC-Verfilmung von Stolz und Vorurteil aus dem Jahr 1995 in einer der großen, ikonografischen Szenen der Fernsehfilmgeschichte mit nassem, am Oberkörper angeklatschtem, weißem Hemd einem Teich entsteigt und vor lauter vermeintlich unbeabsichtigter Sexiness ganze Legionen von Frauen laut aufseufzen lässt. So überlebensgroß war und ist die "Darcymania", dass bis heute der Filmdrehort mit einer über dreieinhalb Meter hohen Fiberglasfigur von Colin Firth als Wet-T-Shirt-Darcy in einem Teich als einer von vielen Jane-Austen-Wallfahrtsorten zu besuchen ist. Übrigens: Mit der Rolle des Mark Darcy in den Briget Jones-Filmen, die ihrerseits nichts anderes sind als Jane Austen-Spin-offs aus dem 20. Jahrhundert, ließ Colin Firth dasselbe Sehnsuchtsfeuer Jahre später erneut auflodern.

Austenmania überall

So sieht es aus: Man kann auf Jane-Austen-Bällen tanzen, in Jane-Fanclubs Mitglied werden, Joan-Aiken-Romane mit Austen-Bezug lesen, mit Jane Austen kochen oder durch England reisen, aus einem Austen-Häferl seinen Morgenkaffee trinken oder sich die Zombiefilmvariante von Stolz und Vorurteil ansehen. Im Austen-Jubiläumsjahr 2017 kann man sich darüber hinaus eine Jane-Austen-Clutch von Gucci unter den Arm klemmen oder sich in die Kleider im Empirestil hüllen, die Modedesigner von Vera Wang bis Alexander McQueen auf den Markt bringen. Austenmania überall. Jane Austen ist für all das gut – in vielerlei Hinsicht. Schon während des Ersten Weltkriegs gab man traumatisierten Soldaten Jane-Austen-Romane als beruhigende Genesungslektüre, mit deren Hilfe sie sich aus ihren Schützengrabenalbträumen in die Idylle englischer Landpartien träumen konnten.

Das ist ein ziemlich üppiges Nachleben für eine kluge Pastorentochter der Zeit um 1800, die sich ihr ganzes Leben lang ein Zimmer mit ihrer Schwester teilte und nie heiratete. Das damit verbundene Risiko war ihr mehr als bewusst. "Ledige Frauen haben einen fatalen Hang dazu, arm zu sein – was doch ein recht starkes Argument für die Ehe ist", schrieb sie einmal in einem Brief.

Entscheidung gegen die Ehe

Sie selbst entschied sich gegen die Ehe, die eins ihrer großen Themen als Schriftstellerin ist. Das war eine selbstbewusste, geradezu skandalöse Entscheidung in einer Welt, in der das Schicksal der Alten Jungfer für eine Frau als das traurigste und am wenigsten erstrebenswerte von allen galt. Einen Heiratsantrag, den Jane Austen im Alter von 27 Jahren, nach damaligen Standards unerhört spät, erhielt, schlug sie, nachdem sie ihn erst angenommen hatte, doch aus. Sie blieb damit zeitlebens materiell von Vater und Brüdern abhängig, doch erwarb sie sich die innere Freiheit, um die es ihr offenbar zu tun war. Die Frage, die Rebecca Ehrenwirth und Nina Lieke in ihrer neuen Austen-Biografie By a Lady stellen, ist immer noch mehr als berechtigt: "Wer war diese Frau, als deren einziges Thema die einen gelangweilt Liebe und Hochzeit ausmachen, während die anderen sie als Protofeministin verehren, die sich erfolgreich ihrer Bestimmung als Ehefrau und Mutter entzog zugunsten eines höheren Ziels, dem Schreiben?"

Dabei erschuf sie jene unvergesslichen Romanheldinnen, die justament deswegen von ihrer Schöpferin am Ende mit wahrer Liebe und Hochzeit belohnt werden, weil sie eigensinniger, klüger, gebildeter, unkonventioneller sind, als in ihren Kreisen eigentlich für sie vorgesehen. Und weil sie es vor allem nicht billiger geben: die vernünftige Elinor Dashwood aus Verstand und Gefühl, die ungestüme Elizabeth Bennet aus Stolz und Vorurteil, die erfolgsverwöhnte Emma Woodhouse aus Emma oder die treue Anne Elliot mit der wahren vornehmen Gesinnung aus Überredung. In den Charakteren dieser Frauen steckt Jane Austens subtile Gesellschaftskritik.

Beißend und elegant

Jane Austen machte "die alte, wohlbekannte Gegnerschaft zwischen Pflicht und Wollen, zwischen Eltern und Kindern" zum zentralen Gegenstand ihrer literarischen Beobachtungen. Beißend scharfe Menschenporträts wie das Folgende, die in elegante Sprachgewänder gehüllt sind, findet man bei ihr am laufenden Band: "Vielleicht hatte sich seine Stimmung etwas eingetrübt, als er feststellen musste, dass er – wie so viele seines Geschlechts – durch ein unerklärliches Faible für weibliche Schönheit zum Ehemann einer strohdummen Frau geworden war, aber sie wusste, ein solcher Missgriff war zu alltäglich, als dass er einen Mann von Verstand auf Dauer schmerzen würde." Es wird sich schwer jemand finden, der in Sätzen wie diesen nicht Beobachtungsperlen von ewiger Gültigkeit erkennt. (Julia Kospach, 15.7.2017)