Ankara/Brüssel – EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker will der Türkei trotz aller Meinungsverschiedenheiten die Tür zu Europa offen halten. "Ein Jahr nach dem Putschversuch bleibt Europas Hand ausgestreckt", schrieb Juncker in einem Gastbeitrag für die "Bild am Sonntag". Europa stehe gerade auch in schwierigen Zeiten an der Seite der Türkei, betonte der Kommissionschef.

Die EU habe alles dafür getan, die Weichen für eine Visa-Liberalisierung und eine vertiefte Zollunion zu stellen. Im Gegenzug erwarte er, "dass auch die Türkei klar europäische Farbe bekennt und europäische Grundwerte nachdrücklich beherzigt". "Als Europäische Union liegt uns viel daran, dass unser Nachbar demokratisch, stabil und wirtschaftlich erfolgreich ist", schrieb Juncker. Im "Mittelpunkt all unseres Handelns" stehe die türkische Bevölkerung. "Ich wünsche mir, dass die Türkei näher an Europa heranrückt, statt sich von uns zu entfernen."

Mit dem türkischen Präsidenten Erdogan pflege er "einen offenen und mitunter sportlichen Austausch", schrieb Juncker. "Bei unserem letzten Gespräch im Mai hatte ich den Eindruck, dass er die Nähe Europas sucht, statt sich abzuwenden."

Eine europäische Perspektive sei für die Türkei aber an Bedingungen geknüpft: "Wer der Europäischen Union beitreten will, der schließt sich einer Union der Werte an", argumentierte er. "Mit einer solchen Union der Menschenrechte, der Pressefreiheit und der Rechtsstaatlichkeit ist es zum Beispiel in keiner Weise vereinbar, wenn Journalisten wie der 'Welt'-Korrespondent Deniz Yücel monatelang ohne Anklage in Einzelhaft sitzen." "Sollte die Türkei die Todesstrafe einführen, würde die türkische Regierung die Tür zu einer EU-Mitgliedschaft endgültig zuschlagen", so Juncker.

Die Beitrittsgespräche zwischen Türkei und EU liegen wegen des massiven Vorgehens der türkischen Regierung gegen ihre Gegner seit dem Putschversuch vom vergangenen Juli de facto auf Eis. Die Stimmen der Abbruchbefürworter in der EU waren zuletzt immer lauter geworden. (APA, 16.7.2017)