Die Verwendung von mythischen und fantastischen Stoffen in – vor allem US-amerikanischen – Film- und Fernsehproduktionen, ist zugegebenermaßen keine besonders frische Beobachtung. Auch wenn davor bereits einige sagenhafte Gestalten in Filmen auftauchten, so scheint es in den letzten Jahren einen Aufschwung der Darstellung in TV-Serien zu geben. Eingeleitet durch den Einzug der Vampire in die Fernsehlandschaft, wird dieser Trend inzwischen durch Werwölfe, Geister und Zombies weitergeführt. Die logische Steigerung davon stellt die Inkludierung ganzer mythologischer Systeme dar, wie es in "American Gods" passiert, wo tatsächlich ein Krieg der Götter stattfindet. Anstelle einer Auseinandersetzung innerhalb einer bestimmten Götterwelt, stehen hier die Götter unterschiedlichster Pantheons Seite an Seite im Kampf gegen die sogenannten "Neuen Götter". In Anbetracht der fortgeschrittenen Technisierung und Modernisierung der Welt des 21. Jahrhunderts ergeben sich nun einige Fragen zu diesen neuen Göttern. Wie können überhaupt neue Götter entstehen? Wie können sie überdauern und wie interagieren sie mit Menschen?

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Götter als Projektionen menschlicher Wünsche

Bereits der antike Philosoph Xenophanes von Kolophon erkannte durch die Beobachtung unterschiedlicher Göttervorstellungen, dass das jeweilige Gottesbild einer Kultur von den Menschen geprägt ist. Später erfolgte im 19. Jahrhundert der religionskritische Ansatz von Ludwig Andreas Feuerbach, der im Wesen einer Gottheit das Wesen des Menschen selbst sieht. Der Mensch projiziere seine Wünsche, aber auch Charakterzüge und sein Verhalten auf eine oder mehrere Gottheiten, damit er ein Objekt besitzt, in dem seine menschlichen Sehnsüchte und Ängste personifiziert sind.

Die Projektionsthese sieht die Religion als psychologischen Prozess und legt somit in weiterer Folge die Basis für die Überlegungen Sigmund Freuds. Wenngleich auch die Idee von Religion als geteilte Psychose der Menschheit gerade für Kritiker zweifelsohne ihren Reiz hat, so ist sie – zumindest was monotheistische Religionen anbelangt – ein wenig zu einfach, um entkräftend wirken zu können. Was aber antike, polytheistische Religionen anbelangt, so scheint die Projektionsthese Feuerbachs jedoch durchaus angebracht.

Der Gott Anubis wiegt das Herz einer Toten, ob Sie für das Jenseits würdig genug ist.
Foto: Jan Thijs/Starz Entertainment

In einem typischen Pantheon hat jeder Gott seinen Aufgabenbereich, der zudem Gegebenheiten des menschlichen Lebens entspricht. Wotan ist unter anderem der Gott des Krieges, Hera entspricht dem Wunsch nach familiärer Geborgenheit und Hephaistos steht für handwerkliche Fertigkeit. In "American Gods" haben die neuen Götter eigene Zuständigkeitsbereiche: die Göttin Media repräsentiert die Medien, Mr. World die Globalisierung und Technical Boy technische Entwicklungen. Ganz im Sinne ihrer antiken Vorbilder antworten ihre Existenzen auf menschliche Verhaltensweisen und Wünsche, etwa sowohl auf den Genuss der Unterhaltungsmedien als auch den Wunsch, teil davon zu sein. Außerdem sind die neuen Götter in "American Gods", ebenfalls antiken Pantheons entsprechend, zugleich die Versinnbildlichung und das Versinnbildlichte dessen, was ihren Aufgabenbereich darstellt. Media ist zugleich die Gottheit Media als auch die Medien an sich und Mr. World ist die Globalisierung in Person.

Technical Boy ist einer der Neuen Götter der modernen Welt.
Foto: Jan Thijs/Starz Entertainment

Dennoch sollte es in einer rationalen, modernen Welt, wie sie für die Menschenwelt in "American Gods" durchaus angenommen werden kann, kein Bedarf an neuen Göttern geben. Immerhin liegt die Blütezeit polytheistischer Religionen mehrere Jahrtausende zurück.

Die Adaption des Logos für den Mythos

Erforderlich für die Existenz von mehreren Göttern – wie sie gerade beschrieben wurde – ist vor allem ein mythologisches Weltbild. In diesem erklärt der Mensch sich die ihn umgebenden Phänomene noch nicht logisch, sondern mythologisch. Wie Zuneigung oder Abneigung genau funktionieren, wie sie im Gehirn ausgelöst werden, kann vor der Neurologie nur schwer erklärt werden, da braucht es eine Gottheit die Pfeile, getränkt in Liebe oder Hass, schießt. Ein plötzlich aufziehendes Gewitter macht ohne Meteorologie noch wenig Sinn, glaubt man aber an eine Gottheit namens Thor, wird das Unwetter weniger bedrohlich.

Der Mensch in diesem Weltbild denkt in Mythologien, ohne diese wäre ihm die Welt, die ihn umgibt, unbekannt und unerklärbar. Durch die Erschaffung mehrerer Gottheiten mit unterschiedlichen Aufgabenbereichen werden Wettererscheinungen oder innermenschliche Vorgänge erklärbar und somit auch beeinflussbar. Droht ein Sturm auf hoher See, kann dem Poseidon geopfert werden, für Liebesglück betet man zu Aphrodite, für eine erfolgreiche Ernte zu Demeter. Das Chaos, das den unwissenden Menschen umgibt, wird durch die Erschaffung von Göttern geordnet und – vermeintlich – beeinflussbar gemacht.

Die Göttin Bilquis, Göttin der Liebe, schöpft ihre Kraft aus der körperlichen Hingebung anderer.
Foto: Jan Thijs/Starz Entertainment

Inzwischen ist aber schon längst der Schritt vom Mythos zum Logos, von einem mythologischen zu einem logischen Weltbild, erfolgt. Es bedarf nicht mehr eines gesamten Pantheons, um die Welt zu verstehen, da die Wissenschaft diese Aufgabe übernommen hat und für neue Götter in der modernen Welt keinen Platz mehr ist. Dennoch haben diese neuen Götter sich etabliert und besetzen zudem noch ebenjene Aufgabenbereiche, die als Merkmale einer modernen, logischen Welt gelten. Auch wenn Medien und Globalisierung zu den Grundpfeilern des modernen Fortschritts zählen, stellen sie dennoch auch Bereiche dar, die den meisten Menschen nicht ohne weiteres zugänglich und verständlich sind.

Zum Beispiel: Abgesehen von einigen Spezialisten weiß der Großteil der Menschheit nicht, wie Handy oder Fernseher funktionieren, oder was genau die Implikationen der Globalisierung sind. Sie sind bis zu einem gewissen Grad den Menschen unbekannt und unverständlich, auch wenn sie sie täglich benutzen. Dieser Sachverhalt eröffnet wohl die Möglichkeit der Entstehung neuer Gottheiten, und das offensichtlich ganz unabhängig von direkter menschlicher Einflussnahme, da in der Serie niemand Normalsterbliches etwas von Entitäten wie Media oder Mr. World gehört zu haben scheint. Es dürfte also ein unbewusster Projektionsprozess gewesen sein, der diese Gottheiten erschuf, genauso wie es auch eine passive Anbetung sein muss, die diese Götter erfahren. Im Grunde eine geniale Idee für aufstrebende Gottheiten, gerade dieses Einflussgebiet zu wählen. Einziges Problem: die alten Götter stehen am Rande der Vergessenheit, was sie umso verbitterter kämpfen lässt.

Die alten Götter Chernobog und Wotan kämpfen ums Überleben.
Foto: Jan Thijs/Starz Entertainment

Mit Hämmern und Hurrikanes gegen Handys und Hulu

Der Glauben der Menschen an Götter, egal ob bewusst oder nicht, sichert letztlich das Überleben ebendieser. Somit ist der Krieg der Götter, der Kampf Alt gegen Neu, nichts anderes als ein Kampf um Ressourcen. Die Botschaft der neuen an die alten Götter ist einfach: Anschließen oder in Vergessenheit geraten. Auch scheinen sie die Übermacht zu besitzen, da sie Produkte der neuen Welt selbst darstellen, in der schließlich der Kampf ausgetragen wird. Dennoch scheint es, dass die alten Götter nicht so schwach sind wie angenommen, müssen sie sich doch nur ihrer Druckmittel bei ausbleibender Anbetung besinnen. Gerade das dürfte ihnen bei den Menschen mehr Sympathien oder zumindest Respekt vor den Älteren eintragen. (Raphaela Hemet, 19.7.2017)

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