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Die Oberfläche, die Matrix, die Welt: Das Smartphone ist für viele Menschen das Schlüsselwerkzeug zur erweiterten Wirklichkeit. Dabei ist das erst der Anfang digitalisierten Lebens.

Foto: AP Photo/Andy Wong

Die sogenannte Digitalisierung mag begrüßt oder bedauert werden – abzulesen beispielsweise an der von Konrad Paul Liessmann (im Interview "Wir haben immer weniger im Kopf") hier im STANDARD angestoßenen jüngsten Debatte – aufzuhalten ist sie kaum, nicht einmal mehr an den Schulen hierzulande. Und das, obwohl diese üblicherweise als Teil eines sehr traditionsbewussten (böse Zungen behaupten: eines sehr trägen) Systems gelten.

Die Einbettung des Bildungssystems in die Gesellschaft sowie dessen Verknüpfung mit zahlreichen gesellschaftlichen Bereichen, allen voran der Wirtschaft, tragen dazu bei, dass Schulen und Schulpolitik unter Druck geraten, (mehr oder weniger motiviert) auf soziale und technologische Entwicklungen zu reagieren. Damit folgen sie nicht zuletzt dem aktuellen Credo der "employability" durch die Vermittlung "digitaler Kompetenzen".

So halten immer wieder neue Technologien Einzug in den Klassenzimmern: Euphorisch begrüßt von "innovators" und "early adopters", die den Wandel per se als erstrebenswert beschwören und denen in der Regel alles viel zu langsam geht; gleichzeitig werden Neuerungen vehement abgelehnt von den "laggards", die sich dagegen wehren und bestehende Bastionen mit allen möglichen Argumenten gegen die (vermeintliche) Bedrohung durch das Neue verteidigen. Wenngleich Befürworter und Gegner der Digitalisierung sich (oft unversöhnlich) gegenüberstehen: Als Faktum wird sie kaum bestritten. Und es ist in der Tat nicht davon auszugehen, dass sie bloß entweder Heilslehre oder Teufelswerk ist.

Digitale Aufrüstung

Vielmehr ist sie (derzeit noch) von Menschenhand erschaffen. Und schon aus diesem Grund sind weder ausschließlich positive noch ausschließlich negative Folgen zu erwarten. Das heißt natürlich nicht, dass uns ein Paradigmenwechsel erspart bleibt. Allerdings kann es sein, dass dessen Konturen sich erst im Rückblick abzeichnen – wenn sich der Staub der einstürzenden analogen Welt ein wenig verzogen hat.

Derzeit aber ist vor allem die Naivität großer Teile der Diskussion überraschend – man wird eher an Science-Fiction erinnert: Einerseits angesichts des verbreiteten Glaubens an die Steuerbarkeit sozialer und technologischer Entwicklungen. Andererseits durch die nachvollziehbare Neigung, das Bild des Zukünftigen in den Kategorien des Vergangenen (des Mythos) und des Gegenwärtigen (der Moderne) zu zeichnen.

So sieht zum Beispiel die Forderung eines bewussten Wechsels zwischen analogen und digitalen Welten sowie eines reflektierten Umgangs damit nach wie vor den Menschen als Krone der Schöpfung oder zumindest als Herren der Dinge. Und selbst in apokalyptischen Szenarien besitzen die Übeltäter (auch wenn es nur technologische Systeme sind) menschliche Züge wie Geist und Sprache.

Was aber, wenn wir mit dieser Digitalisierung die Entstehung einer neuen Ebene der Emergenz (von lebenden, psychischen und sozialen zu technologischen Systemen) vorbereiten? Das wäre ein qualitativer Sprung, der über Biohacking, also die technologische Optimierung der menschlichen Natur, hinausgeht!

Digitale Aufklärung

Während derzeit begrüßt beziehungsweise bedauert wird, dass technologische Innovationen (im Klassenzimmer und anderswo) als Instrumente nützlich und schädlich sind, geht es vermutlich um mehr als nur um das Auslagern von Informationen und ihrer Verarbeitung an digitale Technologien sowie um die daraus folgende (kulturelle) Entleerung des Subjekts und seiner Seele.

Subjekt 2.0

Interessanter scheinen Fragen der Verantwortung, der Vernunft etc., die vermutlich in einem digitalisierten Zeitalter der "Aufklärung 2.0" von anderen Fragen abgelöst werden, und die (uns?) damit letztlich zu einer veränderten Vorstellung vom vernünftigen Subjekt beziehungsweise vom Menschen als dem Maß aller Dinge überhaupt zwingen werden.

Wenn Konrad Paul Liessmann mit seinen Gedanken auch diese Diskussion im Bildungssystem angestoßen hat, scheint die damit verbundene Aufregung mehr als gerechtfertigt. (Paul Reinbacher, 19.7.2017)