Die gesellschaftliche Bedeutung von Österreichs Youtubern hinkt ihrer wirtschaftlichen hinterher, konstatiert Andreas Gebesmair in seiner Youtube-Studie im Auftrag der RTR-GmbH, dem Geschäftsapparat der Medienbehörde Komm Austria.

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Geldmaschine: Googles Videoplattform Youtube

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Wien – Mit rund sechs Millionen Abonnenten führt Red Bull das Ranking der größten Youtube-Channels Österreichs an. Ansonsten dominieren aber Privatpersonen und nicht Konzerne, wie aus der Studie "Die wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung von Youtube-Channels in Österreich" hervorgeht – DER STANDARD berichtete bereits über die Ergebnisse, Studienautor Andreas Gebesmair konkretisiert sie im Interview.

STANDARD: Sie haben Österreichs Youtube-Markt analysiert. Was hat Sie am meisten überrascht?

Gebesmair: Zum einen, dass es mittlerweile auch in Österreich eine Szene von Youtubern gibt, die als klassische Influencer durchaus große Reichweiten erlangen, also Abonnentenzahlen jenseits der 100.000 haben. Und zwar mit Youtube-Channels, die nicht von großen Medienhäusern betrieben werden. Zum anderen ist es aber auch wieder sehr überschaubar. Sieht man sich die Zahl der Top 100 an, nimmt die Zahl der Abonnenten und Videoaufrufe sehr schnell auch wieder ab.

STANDARD: Wie viele können von Youtube leben?

Gebesmair: Nach unseren Berechnungen machen rund 50 Channels so viel Umsatz mit Youtube-Werbung, dass sie davon leben können.

STANDARD: Ab wie vielen Abonnenten lässt sich mit einem Youtube-Kanal Geld machen?

Gebesmair: In der Szene kursiert diese Abozahl von 100.000. Offensichtlich braucht es so viele Abonnenten, um nennenswerte Entwicklungschancen zu haben. Dann scheint es ein Selbstläufer zu werden. Ansonsten sagen die Abonnentenzahlen aber nichts aus über die Videoaufrufe, mit denen man ja das Geld verdient, und man weiß, dass man mit 1000 Aufrufen rund einen Euro verdienen kann. Um die Miete zu zahlen und davon leben zu können, braucht es also schon entsprechende Reichweiten.

STANDARD: Wie stehen Österreichs Youtuber im internationalen Vergleich da? Der Mark ist aufgrund der Sprache ja limitiert.

Gebesmair: Überraschend ist, dass Österreich im Vergleich mit Deutschlands relativ gut abschneidet. Die österreichischen Channel-Betreiber adressieren in hohem Maße den internationalen Markt. Der Anteil der englischsprachigen Channels unter den Top 100 liegt bei 47 Prozent. In Deutschland zielen die meisten nur auf den deutschsprachigen Markt ab. Es ist lustig anzusehen, wenn Youtuber einen englischsprachigen Channel betreiben, aber mit einem hörbaren österreichischen Akzent auftreten.

STANDARD: Sie haben die Qualität der Beiträge untersucht. Wie sieht der Professionalisierungsgrad aus?

Gebesmair: Der ist relativ hoch, wenn man sich das mit oberflächlichen Qualitätskriterien ansieht. Etwa Produktionstechnologien wie Kameraführung, Bildschärfe oder Tonqualität. Die Frage ist, ob das überhaupt so wichtige Kriterien sind, da Youtube ja vom Amateurcharakter lebt. Aber unter den Top-Youtubern ist die Qualität schon sehr hoch. Von guter Vertonung bis hin zu Animationseffekten wird einiges geboten.

STANDARD: Was inhaltlich geboten wird, beschränkt sich aber nur auf einige wenige Kategorien wie Games, Unterhaltung und Lifestyle. Warum keine Nachrichten?

Gebesmair: Die Antwort der Seher ist unmittelbar spürbar, weil es ganz simpel um Aufrufe geht und in weiterer Folge darum, was der Youtube-Algorithmus daraus macht. Er verstärkt populäre Genres. Informations-Channels sind absolute Nischenprogramme. In unserer Stichprobe gab es keinen. Zwei liefen als Educational-Programme. Bei dem einen ging es um Survivaltechniken, beim anderen wurde Militärgeschichte nachgestellt. Ansonsten sind die Top-Channels auf Youtube einfach Unterhaltungsformate. Das ist der klassische Videoblog, mit dem Leute über ihr Leben berichten, Produkte anpreisen oder sich Herausforderungen stellen. Inhaltlich ist das schon sehr eingeschränkt.

STANDARD: Holen sich Junge Informationen einfach nur außerhalb des Youtube-Universums?

Gebesmair: Als Informationsmedium spielt Youtube derzeit keine Rolle, glaube ich. Zu befürchten ist, dass sie sich ihre Informationen in erster Linie über Facebook holen.

STANDARD: Mit der wirtschaftlichen Relevanz kann die gesellschaftliche nicht Schritt halten?

Gebesmair: Genau. Legt man andere Kategorien und wirtschaftlichen Erfolg und Reichweiten nicht als einziges Kriterium an, muss man klar erkennen, dass der gesellschaftliche Mehrwert eine sehr untergeordnete Rolle auf Youtube spielt.

STANDARD: Auch Youtube-Kanäle werden mit Fake-News infiltriert. Braucht es mehr Medienkompetenz, um sie zu entlarven?

Gebesmair: Meine Alltagsbeobachtungen, die ich mit zwei Kindern im Youtube-fähigen Alter mache: Viele betrachten es bereits als Information, was sie auf Youtube sehen. Ganz wichtig wäre, in der Schule eine Art Quellenbewusstsein zu entwickeln. Kinder müssen kritisch erzogen werden und hinterfragen, ob das stimmen kann. Kindern fällt die Unterscheidung, was etwa Ironie ist, extrem schwer. Da sind Eltern und die Schulen gefordert, ihnen das Rüstzeug mitzugeben. Hier gibt es noch Bedarf an zusätzlicher Ausbildung.

STANDARD: Die Abgrenzung zu Werbung scheint ein Problem zu sein: In 54 der 100 meistgesehenen Videos gab es Ihrer Studie zufolge Produktplatzierungen, eine Kennzeichnung erfolgte aber nur in neun Fällen.

Gebesmair: Ich vermute, dass viele Youtuber kein Bewusstsein dafür haben, dass sie gewisse Pflichten einhalten sollten, auch wenn es von der Judikatur her noch nicht ganz klar ist, welche Regeln gelten – also ob das Mediengesetz bei Youtube-Channels überhaupt greift. Wissen es doch viele, dann wird es einfach ignoriert, weil es nicht dem Selbstbild des autonomen Channel-Betreibers entspricht.

STANDARD: Zwingend erforderlich ist Kennzeichnung ja nicht, die Grauzone ist groß.

Gebesmair: Im Audiovisuelle-Mediendienste-Gesetz ist es natürlich vorgeschrieben, die Frage ist, welche Youtube-Channels diesem Gesetz unterliegen. Hier gibt es die Debatte um die Fernsehähnlichkeit. In den nächsten Monaten wird es noch viele Diskussionen geben, eine Novellierung der EU-Richtlinie ist derzeit in Planung. Hier wird es sicher zu einer Schärfung der Anwendungsfälle kommen.

STANDARD: Auffällig ist, dass Sender wie ATV und Puls 4 mit ihren Youtube-Präsenzen nicht unter den größten 100 Kanälen vertreten sind. Funktioniert das Wechselspiel zwischen Fernsehen und Youtube nicht?

Gebesmair: Fernsehen ist ganz etwas anderes, und Youtube hat nicht umsonst eigene Genres hervorgebracht, die vor allem unter Kindern und Jugendlichen nachgefragt werden. Einfach nur das Fernsehprogramm auf Youtube auszuspielen bringt wenig Mehrwert. Dafür haben sie ja ihre Mediatheken, und es ist eine Frage der Monetarisierung. Ich vermute, dass die Werbung, die auf der eigenen Mediathek geschalten wird, doch mehr einbringt als Einnahmen aus dem Youtube-Partnerprogramm. Von der Nutzerseite betrachtet unterscheidet sich einfach auch das Publikum.

STANDARD: Räumen Sie dem ORF Chancen ein, auf Youtube erfolgreich zu sein, sollte er die Genehmigung der Medienbehörde für einen Kanal bekommen?

Gebesmair: Wenn er einfach nur das Programm in leicht veränderter Form auf Youtube ausspielt, wird er nicht reüssieren. Versucht er, eigene Formate zu entwickeln, wie das auf der ARD-ZDF-Plattform Funk passiert, dann könnte es funktionieren. Die Frage ist also, wie innovativ die Formatentwicklungsabteilungen sind.

STANDARD: Welche Formate müssten das sein?

Gebesmair: Das sollte wohl in Richtung Satire und Infotainment gehen.

STANDARD: Viele sagen, dass der ORF auf Youtube nichts verloren hat, weil er damit nur die Konkurrenz füttert und Private behindert. Wie sehen Sie das?

Gebesmair: Meiner Meinung nach sollt es zur Kernaufgabe des ORF gehören, so etwas anzubieten. Für die Kritik der Privatsender habe ich nicht viel Verständnis. Sie hatten ja auch genug Möglichkeiten und Chancen, es auszuprobieren. Bis jetzt war es nicht sonderlich erfolgreich. ORF-Inhalte müssen aber anderen Qualitätskriterien entsprechen, das darf nicht einfach eine Influencer-Channel-Kopie sein, sondern muss einen öffentlich-rechtlichen Auftrag verfolgen.

STANDARD: Viele wünschen sich, dass Youtube als Medium betrachtet wird und nicht nur als Plattform, um auch das Mediengesetz anwenden zu können. Ist für Sie Youtube ein Medium?

Gebesmair: Ja, ich denke schon, man muss aber vorsichtig sein. Bei der Debatte um bedenkliche Inhalte geht es sehr schnell um Zensur, aber grundsätzlich hat die Plattform eine Verantwortung. Einerseits den Rezipienten gegenüber, andererseits auch gegenüber der Wirtschaft. Ein wichtiges Thema ist die Frage der Transparenz. Problematisch ist, dass man von einer Quelle abhängig ist, also nur von Youtube und den Daten und Zahlen, die Google zur Verfügung stellt. Es gibt keine Kontrollinstanzen, hier sehe ich medienpolitischen Handlungsbedarf.

STANDARD: Auch in puncto Verletzung von Urheberrechten bei Video-Uploads?

Gebesmair: Grundsätzlich hat das Youtube mit der Content-ID recht gut gelöst. Jeder Rechtebesitzer kann seine Rechte anmelden, komplexe Server gleichen das Angebot auf den Channels ab. Sobald ein urheberrechtlich geschützter Content identifiziert wurde, wird der Channel-Betreiber aufgefordert, ihn zu beseitigen, oder es gibt die Möglichkeit, dass der Rechtebesitzer damit Einnahmen lukriert. Offensichtlich sind auch viele darauf eingestiegen. Im letzten Jahr gab es ja auch die Einigung zwischen der deutschen Musikverwertungsgesellschaft Gema und Google. Es ist schwierig, Youtube jetzt noch Rechteverletzung vorzuwerfen.

STANDARD: Ein Thema sind auch die unterschiedlichen Richtlinien bei Werbung. Während etwa Tabakwerbung im Fernsehen nicht erlaubt ist, darf sie auf Youtube problemlos laufen.

Gebesmair: Ja, hier gibt es unterschiedliche nationale Regelungen. Als Channel-Betreiber kann ich grundsätzlich einstellen, welche Werbung ausgespielt werden soll, da kann man zum Beispiel Tabakwerbung ausschließen. Das liegt aber nicht in der Verantwortung von Youtube.

STANDARD: Dann besteht vielleicht die Gefahr, dass zu wenig Werbung ausgespielt wird und die Einnahmen leiden. Laut Ihrer Studie wurde etwa in einem bestimmten Erhebungsrahmen nur bei einem Drittel der Videos Werbespots gezeigt.

Gebesmair: Wir konnten nicht ganz klären, woran es liegt, aber es war auffällig, dass die Werbung sehr unterschiedlich oft ausgespielt wird. Unsere Vermutung ist, dass es einfach zu wenige Werbekunden gibt und dementsprechend nicht bei jedem Aufruf Werbung zu sehen ist. (Oliver Mark, 21.7.2017)