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Die Geldpolitik der EZB bleibt expansiv. Anleihen im Wert von insgesamt 60 Milliarden Euro pro Monat kauft die Notenbank derzeit.

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Wien – Wird er vom Gas steigen oder nicht: Investoren weltweit haben am Donnerstag mit Spannung auf die Pressekonferenz von Mario Draghi gewartet, um eine Ahnung davon zu bekommen, was der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) vorhat.

Draghi hatte Ende Juni bei einer Rede in Portugal mit Kommentaren überrascht, die von vielen Analysten so verstanden wurden, dass die EZB ihre unkonventionelle Geldpolitik schneller als erwartet beenden könnte. Das löste Milliardentransaktionen aus. Der Euro gewann gegen den US-Dollar an Wert. Die Zinskosten für Italien und Spanien stiegen.

Nun stellte Draghi in Frankfurt klar: Die EZB bleibt auf dem Gas.

Das im Jänner 2015 angekündigte Anleihenkaufprogramm der Notenbanker wird bis mindestens Dezember 2017 weiterlaufen. Draghi gab keinen Hinweis, wie ein Exit aussehen könnte. Wenn nötig, wird die EZB das Programm sogar im Ausmaß ausweiten. Aber was hat die Geldflut gebracht?

Ziel eins: Inflation auf zwei Prozent bringen

Hauptziel der EZB war es, die Inflationsrate auf knapp zwei Prozent zu heben. Steigen die Preise nicht an oder sinken sie, hören Unternehmen auf zu investieren, weil sie auf tiefere Preise hoffen. Die Folge sind weniger Wachstum und mehr Arbeitslosigkeit. Ökonomen sprechen von einer Deflation. Steigen die Preise zu stark, droht eine Inflationsspirale, die zu einer rasanten Geldentwertung führt. Zwei Prozent Teuerung gelten für die EZB als Idealwert: nicht zu hoch, aber hoch genug.

Die Teuerungsrate ist weit vom Zielwert entfernt. Die Verbraucherpreise im Euroraum sind im Juni um nur 1,3 Prozent gestiegen. Berücksichtigt man nur die Kerninflation (ohne Nahrung und Energie), die aus Sicht der Notenbanker fast aussagekräftiger ist, weil sie weniger schwankt, lag die Teuerung gar nur bei 1,1 Prozent. Draghi hofft, dass die Inflation bald anziehen wird. Weil die Konjunktur besser läuft, sollten zeitverzögert Löhne und Preise steigen. Auch die Gefahr einer Deflation, die Anfang 2015 noch sehr real war, ist gebannt. Doch das ändert nichts: Die EZB hat ihr Hauptziel bisher verfehlt.

Ziel zwei: Wachstum ankurbeln

Zentralbanker können die Inflation nur indirekt beeinflussen. Wenn mehr Menschen einen Job haben, Unternehmen kräftig investieren, steigen auch die Preise stärker. Sprich: Wer die Teuerung ankurbeln will, muss die Wirtschaft beleben. Die EZB versucht das, und zwar indem sie das langfristige Zinsniveau drückt. Um das zu erreichen, hat die Notenbank seit Jänner 2015 Staatsanleihen im Wert von 1600 Milliarden Euro gekauft. Zudem erwarb sie Unternehmensanleihen. Insgesamt hat die EZB 1950 Milliarden ausgegeben, seitdem Draghi die Geldschleusen öffnete.

Durch ihre Nachfrage drückt die EZB die Zinsen für die Anleihen. Das macht die Papiere unattraktiv. Investoren sollen ihr Geld lieber in Bauprojekte, neue Unternehmen, Einkaufszentren stecken.

Damit soll die Realwirtschaft belebt werden. Die Bilanz der EZB ist dabei durchwachsen. Das Wachstum hat zwar deutlich angezogen, doch einige Länder wie Italien oder Griechenland bereiten nach wie vor Sorgen. Die Arbeitslosigkeit bleibt zudem in Südeuropa exorbitant hoch.

Ziel drei: Zinsen senken

Zur Verteidigung der EZB muss aber gesagt werden, dass das Wachstum von vielen Faktoren beeinflusst wird. Gegen die schwache Entwicklung bei der Produktivität im Euroraum kann die EZB wenig machen.

Die Zentralbanker haben an einer Schaltstelle sehr wohl etwas bewegt: bei den Zinsen. Das Zinsniveau im Euroraum ist gesunken. Profitiert haben davon primär Länder wie Italien und Spanien, für die sich die Kreditaufnahme verbilligt hat. Weil Rom und Madrid weniger für den Schuldendienst ausgeben, mussten sie weniger sparen. Nach Ansicht der meisten Ökonomen trug dies zur Erholung in Südeuropa bei.

Im Euroraum klafften lange Zeit die Zinshöhen auseinander. Mittelständische Unternehmen im Süden mussten wegen der Unsicherheit viel mehr Geld für einen Kredit bezahlen als Unternehmen im Norden. Solche Divergenzen sind in einem Währungsraum fatal, weil einheitliche Geldpolitik unmöglich wird. Die EZB hat mit ihren Interventionen die Zinsen für alle gedrückt. Für ein Darlehen in Höhe von über eine Million Euro muss ein Unternehmen im Euroraum derzeit im Schnitt 1,55 Prozent Zinsen zahlen. Das sind um 44 Prozent weniger als vor Beginn der EZB-Interventionen. Die Kreditvergabe im Euroraum hat nicht zuletzt deshalb angezogen. Und: Die Divergenzen sind verschwunden.

Ziel vier: Den Euro schwächen

Viele ausländische Banken haben ihre Eurostaatsanleihen als Folge der EZB-Politik verkauft. Viele dieser Investoren haben laut Notenbankern US-Staatsanleihen erworben, statt Euro also in Dollar investiert. Der Euro verlor an Wert. Damit verbilligten sich Exporte. Deutsche oder österreichische Unternehmen können ihre Waren preisgünstig anbieten. Das hat dazu beigetragen, dass Deutschland aktuell die höchsten Handelsüberschüsse seiner Geschichte meldet. Auch Italiens und Spaniens Exporteure zählen zu den Gewinnern. Die EZB sagt offiziell, dass sie keinen speziellen Währungskurs verfolgt hat. Allerdings weiß man aus internationaler Erfahrung, dass Notenbank-Programme wie jenes der EZB die Kurse beeinflussen. Die EZB-Führung wusste also, was sie tut.

Ziel fünf: Eurozone zusammenhalten

"Ohne das Anleihenkaufprogramm und Draghis Versprechen, alles für die Rettung des Euro zu tun, würde es den Euroraum nicht mehr geben", sagt der Wiener Ökonom Vladimir Gligorov. Wenn man bedenkt, wie groß die Turbulenzen ab 2010 waren, herrschte zuletzt wirklich auffallende Ruhe. Auch viele deutsche Ökonomen gestehen der EZB zu, die Eurozone stabilisiert zu haben. Doch Experten wie der Chef des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, sagen, dass die EZB genug getan habe. Die Krise sei vorbei. Fuest warnt, dass die EZB Reformen in Südeuropa verhindert, weil Spanien und Italien aktuell keine Geldsorgen haben. Zudem treffe die Niedrigzinspolitik Sparer.

Bisher wurde erwartet, dass die EZB Anfang 2018 ihr Kaufprogramm nach und nach beendet, sagt der Analyst Patrick Krizan von der Raiffeisen Bank International. Draghi habe mit seinen Kommentaren am Donnerstag auf der "expansiven" Seite überrascht. Neue Hinweise könnte Draghi Ende August geben: Da wird er auf einer Notenbankerkonferenz in den USA reden. (András Szigetvari, 21.7.2017)