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Grüne Gegenspieler nennen ihn herablassend "Duschgelkandidat": Der TV-Produzent Nicolas Hulot verdankt seine Bekanntheit seiner Natursendung Ushuaïa, die nach der südlichsten Stadt Argentiniens – und des Planeten – benannt ist. Dafür kämpfte er sich durch Vulkankrater und Eismeere, er schwamm durch Quallennester und spielte mit Gorillafamilien. Noch gewagter war, als er eine Körperpflegelinie namens Ushuaïa lancierte.

Auch deshalb zog ihm die grüne Partei EELV in einer Urabstimmung 2012 die militantere Präsidentschaftskandidatin Eva Joly vor. In den Beliebtheitsumfragen blieb der Mann mit den Stirnfransen aber einer der populärsten Franzosen. Als Emmanuel Macron vor gut zwei Monaten Staatschef wurde, betraute er Hulot mit dem Dossier des "sozialen und solidarischen Übergangs". Der einflussreiche Staatsminister steht damit den Ressorts Umwelt und Energie vor – und damit nicht zuletzt der Électricité de France (EDF), dem allmächtigen Staatskonzern, der 58 Atomreaktoren betreibt.

Politisches Versprechen

Mit der EDF erbt der dreifache Familienvater die gesamte Atompolitik Frankreichs; zum Beispiel den in Bau befindlichen Druckwasserreaktor EPR in Flamanville. Solange dieser Reaktorblock der neuen AKW-Generation nicht fertig ist, kann die Regierung nicht einmal das älteste französische AKW Fessenheim im Elsass abschalten, wie das Expräsident François Hollande und neu auch Macron versprochen haben.

"Hulot sind die Hände gebunden", unterstellen ihm viele Grüne und bezeichnen ihn als bloßen Statisten der Regierung. Umso größer war die Überraschung, als der nette Öko-Einzelgänger kürzlich erklärte, Frankreich werde "vielleicht 17 Atomkraftwerke schließen". Mit "vielleicht" schränkte Hulot nur ein, dass die Zahl noch leicht nach oben oder unten revidiert werden könnte – am Prinzip soll sich aber nichts ändern. Die Rechnung sei einfach, meint der Minister: Da Macron wie zuvor Hollande den Atomanteil an der Stromproduktion bis 2025 von 75 auf 50 Prozent senken wolle, müsse er 17 Meiler stilllegen. Das sei keine Frage der Energiepolitik, sondern der Mathematik.

"Dogma aufgebrochen"

Das Netzwerk Sortir du nucléaire (aus der Atomkraft aussteigen) freut sich: "Erstmals haben wir eine präzise Zahl und eine Regierung, die das Dogma der Nichtschließung von Atomkraftwerken aufbricht." Auch die übrigen Franzosen sind verblüfft: Keine offizielle Stelle hatte bisher auszusprechen gewagt, was die präsidialen Energievorgaben konkret bedeuten. "Alle hielten die Augen geschlossen", meint Hulot selbst. "Die Leute sind zwar für die Idee der Ökologie und des Kampfes gegen die Klimaerwärmung. Aber die meisten sind gegen die damit verbundenen Veränderungen."

Das zeigten auch die Reaktionen der Atomkraftbefürworter. Der nationale Rechnungshof eruierte, dass Frankreich 5,6 Milliarden Euro an Stromverkäufen verlieren würde, wenn 17 Reaktoren abgeschaltet würden. Ein Atomphysiker rechnete zudem vor, dass Frankreich als Ersatz nicht weniger als 26.121 Windkraftwerke bauen müsste.

Hulot lässt sich nicht beeindrucken. Er sagt im Gegenteil, Frankreich müsse bis 2040 auch alle Verbrennungsmotoren im Autoverkehr eliminieren, um die Klimavorgaben einzuhalten. Die Franzosen mussten zweimal hinhören: Das wären 98,8 Prozent aller Autos heute, inklusive jener mit Hybridantrieb (den Hulot ab 2040 auch verbieten will). Die Autohersteller heulen auf. Das sei doch technischer Unfug, meinen sie unisono: Man könne nicht voll auf Elektromotoren setzen und zugleich den Atomstrom kappen, der in Frankreich 75 Prozent der Elektrizität liefere.

Glauben an Technologieschub

Hulot antwortet immer noch seelenruhig, Länder wie Indien oder Südkorea, aber auch Hersteller wie Volvo wollten die Brennmotoren schon weit vor 2040 aufgeben. Neue Batterien würden rasch entwickelt, führt er aus; dem Wasserstoff gehöre die Zukunft.

Möglich, dass sich der Minister an EDF und dem Atomkonzern Areva, an Renault und Peugeot die Zähne ausbeißen wird. Hulot geht das Risiko ein: Der einstige Öko-Prediger will vor allem die Franzosen aufrütteln. Und eigentlich ist ihm der Überraschungsangriff auf die zwei heiligen Kühe der Nation – Atom und Auto – ganz gut gelungen. (PORTRÄT: Stefan Brändle aus Paris, 22.7.2017)