Wir erinnern uns, es ist ja noch nicht so lange her: Sebastian Kurz (ÖVP) war im Frühjahr 2014 erst wenige Monate im Amt, als er internationale Anerkennung und Lob dafür bekam, auf dem Höhepunkt der Ukraine-Krise ein Gipfeltreffen europäischer Außenminister in Wien organisiert zu haben. Da war endlich wieder jemand, der Österreich als Vermittler ins Spiel brachte; der Verbindendes schaffen und Probleme gemeinschaftlich lösen wollte. Weiter so!

Doch von diesem Politikverständnis scheint sich der Minister für Europa, Integration und Äußeres vorerst verabschiedet zu haben, denn es ist Wahlkampf. Die nötigen Stimmen in der umkämpften Zielgruppe rechts der Mitte bekommt man eher mit Polarisierung als durch Mediation und Vision. Auf dieser Klaviatur spielt Kurz ganz bewusst und – wie die Umfragen allesamt zeigen – ziemlich gut.

Der Minister nimmt sogar in Kauf, die bisher exzellenten Beziehungen zu Italien dermaßen zu belasten, dass sie heute selbst in seiner eigenen Diktion bestenfalls "ordentlich" sind. Zwar führten Kurz' Äußerungen – wie jene, dass Rom die Mittelmeerflüchtlinge auf Lampedusa halten und nicht mehr aufs Festland lassen solle – in Italien zu manch überhitzter Reaktion und zu einem unangebrachten Nazi-Vergleich; doch in der Substanz bleibt auch bei nüchterner Betrachtungsweise nur zu sagen: Es ist kein feiner Zug, einen anderen EU-Partner zu bevormunden und bei ihm den Schutt eines ganzen Wahlkampfs abzuladen.

Überforderte Italiener

Auch wenn es formal an den eindeutig überforderten Italienern liegen mag, vertragsgemäß die Schengen-Außengrenze zu schützen: Es wäre eher angebracht, von ganz Europa Solidarität und Hilfe für Italien einzufordern, um das Problem gemeinschaftlich zu lösen, statt mit Schutzmaßnahmen an der Grenze zu drohen, nachdem zuvor Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) Panzer am Brenner ins Spiel gebracht hatte.

Gleichzeitig würde man sich von einem EU-Außenminister dort kritische Worte erwarten, wo demokratische Werte – sie sind der Kitt der Europäischen Union – tatsächlich in Gefahr sind. Doch Kurz hütet sich davor, den zunehmend autoritären Regierungsstil Viktor Orbáns in Ungarn in jener Deutlichkeit zu kritisieren, die er in Sachen Flüchtlinge bei Italien an den Tag legt. Auch die alarmierenden Tendenzen in Polen, das gerade dabei ist, die Unabhängigkeit der Justiz abzuschaffen, sind Kurz kaum einen Kommentar oder Appell wert. Es ist jedenfalls zu wenig, bloß auf die EU-Kommission und ihre Sanktionsmöglichkeiten zu verweisen.

Keine mangelnde Deutlichkeit

Nicht an Deutlichkeit mangeln lässt es Kurz hingegen im Zusammenhang mit den Menschenrechtsverletzungen der türkischen Regierung. Das ist zu begrüßen, doch auch hier münzt er die härtere neue deutsche Gangart gegenüber Ankara in eigene Wahlkampfwährung um und insinuiert, dass er schon lange wusste, was sein deutscher Kollege Sigmar Gabriel erst jetzt erkenne: Endlich sehe auch Deutschland ein, dass ein anderer Umgang mit der Türkei nötig sei. Das dürfte auch in Berlin für so manche hochgezogene Augenbraue gesorgt haben.

Wahlkämpfen kann Kurz, das ist unbestritten. Doch dabei droht er im diplomatischen Gefüge einiges kaputtzumachen – oder doch zumindest in Unordnung zu bringen. Nach der Wahl wird es nötig sein, wieder aufzuräumen. Den Job wird dann aber wohl jemand anderer erledigen müssen. (Gianluca Wallisch, 22.7.2017)