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Francis Spufford hat sich als Autor erzählender Sachbücher einen Namen gemacht. Nun ist sein erstes belletristisches Buch erschienen. Unter anderem mit dem Costa Award – im Bild: bei der Verleihung – wurde er dafür schon ausgezeichnet.

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Francis Spufford, "Neu-York". € 20,60 / 400 Seiten. Aus dem Englischen übersetzt von Jan Schönherr. Rowohlt-Verlag, Reinbek 2017

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Wien – Komische Namen trugen sie: Ob Humphry Clinker, Peregrine Pickle, Ferdinand Fathom oder Roderick Random, Letzterer sehr frei als "Zacharias Zufall" zu übersetzen. Sie alle ließ der Engländer Tobias Smollett im 18. Jahrhundert in satirischen Romanen durch die schiefe hohle Flachwelt promenieren, rollen und stürzen. Es waren historische Epopöen, in denen wie in den Büchern seines Zeitgenossen Henry Fielding die Gegenwart scharf aufschien.

Seither hat der historische Roman mit wenigen Ausnahmen, gegenwärtig etwa die Britin Hilary Mantel, einen Niedergang erlebt und ist fast zur Travestie seiner selbst abgesunken. Im trivialen Regelfall ist er im selben Atemzug eine lächerliche Parodie seiner selbst: als Medikus von Mattersburg, Apotheker von Attnang-Puchheim oder jüdische Hebamme von Horitschon.

Haarsträubend ist dabei die defizitäre Akkuratesse, zum Händeringen das Umtopfen heutigen Gedankenguts in vergangene Zeiten, herzrhythmusschädigend das Planieren aller Zeitunterschiede.

Witzig, geistreich, verspielt

Francis Spufford, ein 1964 geborener Sachbuchautor aus dem englischen Cambridge, hat schon vor wenigen Jahren mit Rote Ernte ein geglücktes erzählerisches Experiment vorgelegt. Mit Neu-York ist ihm nun ein eminenter historischer Wurf gelungen, witzig, geistreich, vor allem sprachlich derart luxuriös verspielt, wie es die postmoderne Literatur seit John Barths Der Tabakhändler (1960), Peter Ackroyds Hawksmoor (1987) und Neal Stephensons Barockzyklus (Quicksilver, The Confusion und The System of the World, 2003-2004) nicht mehr erlebt hat.

Im November und Dezember 1746 spielt das Buch, in einem noch stark holländisch geprägten New York auf Mannahatta Island. In diese kleine Stadt mit 7000 Einwohnern kommt aus London, hundertmal mehr Menschen zählend, der dünne Mr Smith. Er hat einen enorm hoch dotierten Wechsel mit sich, auf dessen Einlösung er drängt.

Prompt wird ihm sein Bargeld gestohlen, er lernt diverse gesellschaftliche Schichten kennen, Händler, Richter, Militärs, Gouverneure und andere Falotten, wird um ein Haar fast aufgehängt, muss sich duellieren und tötet dabei jenen, der ihm am nächsten steht. Am Ende zieht Spufford gleich noch zwei Karten aus seinem Erzählerärmel und steht mit einem doppelbödigen Finale des höchsten Surprise-Niveaus da.

Großartige Satire

Natürlich ist es eine Satire, und zwar eine großartige: auf jene, die tumb die Formel von "Freiheit! Freiheit!" ausbringen. Auf Kleinkrämer. Auf jene, die von Gewalt und Rassismus besessen sind. All dies würde im mittleren Rang eines Pastiches verharren, wäre Spufford dramaturgisch nicht derart abgefeimt.

Immer wieder gewinnt er seinen Charakteren neue, überraschende Facetten ab. Aber vor allem die Sprache ist es, die er zum Glänzen bringt: barock überschäumend, in Sätzen, die sich wie Katarakte über die Seiten ergießen, voller Verve, Ironie und beseelt vom Willen zur eleganten Unterhaltung.

Hinzu kommt die großartige Leistung Jan Schönherrs, dessen Übertragung das lustvoll Nachdichtende mehr als nur streift und demnächst auf allen Auszeichnungslisten für Übersetzungen aufscheinen dürfte. (Alexander Kluy, 23.7.2017)