Containerterminal Burchardkai, Liegeplätze fünf und sechs, dem Shuttlebus entstiegen, abgesetzt vor einer Wand aus Stahl. Den Kopf im Nacken wie in der ersten Kinoreihe, die Blicke nach oben, nach rechts und nach links. Zu sehen: nur Schiff. Irgendwo in luftiger Höhe liegt das Oberdeck. Die 35 Meter lange Gangway scheppert und schwingt beim Hinaufgehen mit jedem Schritt. Oben angekommen ist das erste Abenteuer überstanden. Freundliches Grinsen der Gangwaywache, Eintrag ins Logbuch, Ablieferung des Reisepasses. Willkommen an Bord der Alexander von Humboldt!

Auf gegenüberliegende Schiffe im Containerterminal kann man von der Alexander von Humboldt nur herabschauen.
Foto: Bernd Ellerbrock

Hier am Burchardkai wurde das Schiff vor vier Jahren auf den Namen des Forschungsreisenden, der 1790 und 1791 an einer Hamburger Handelsakademie studierte, getauft. CMA CGM, die drittgrößte Reederei der Welt mit Sitz in Marseille, spendierte den Hamburgern ein fulminantes Feuerwerk – und Globetrottern fünf Passagierkabinen. Mit Stellplätzen für 16.020 Standardcontainer war die Alexander von Humboldt mit ihren baugleichen Schwesterschiffen Marco Polo und Jules Vernes zu diesem Zeitpunkt das größte Containerschiff der Welt. Inzwischen sind zwar Megafrachter mit über 20.000 Containern unterwegs – aber eben ohne Mitfahrmöglichkeit.

Je größer, desto besser

Mitfahren wollen auch Beatrice und Markus aus Bern. Die beiden Schweizer Weltenbummler lieben das Extreme, fuhren mit dem Motorrad schon quer durch Afrika und Neuseeland, Markus auch mit dem Fahrrad zum Nordkap und zurück bis nach Gibraltar. Nun haben sie sich gezielt die Humboldt ausgesucht, getreu dem Motto "je größer, desto besser", sagt Beatrice. "Und noch größer geht ja nicht." Am Tag vor der Einschiffung haben sie ihr Feriendomizil bei einer Hafenrundfahrt inspiziert und von allen Seiten abgelichtet.

Zwei Tage liegt das Schiff im geschützten Hamburger Hafenbecken, nachdem es mit einem nautisch diffizilen Manöver mitten auf der Elbe gedreht und schließlich rückwärts "eingeparkt" werden musste. Bei diesem Besuch in der Hansestadt werden 2695 Container gelöscht und 1846 Container geladen, dann geht es kurz nach Mitternacht mit der Flut die Elbe – auf der einst Alexander von Humboldt Wellenmessungen vornahm – abwärts in Richtung Nordsee.

Mehr als 16.000 Container kann die Alexander von Humboldt geladen haben. Und es bleibt sogar noch Platz für bis zu zehn zahlende Passagiere.
Foto: Bernd Ellerbrock

Auf der Revierfahrt verklart ein gesprächiger Lotse den Passagieren die Dimensionen dieses Kolosses: Einen Kilometer läuft die vom Schiff ausgelöste Bugwelle voraus, und der Bremsweg betrage mehrere Kilometer. Wolle ein kleines Feederschiff überholen, würde es vom Sog regelrecht angesaugt und unweigerlich ins Trudeln geraten. Dieses sogenannte Ultra Large Container Ship ist 396 Meter lang und damit über 30 Meter länger als die größten Kreuzfahrtschiffe der Welt. Seine Ladefläche entspricht der Größe von vier Fußballfeldern. Aufrecht hingestellt würde das Schiff den Eiffelturm oder das Empire State Building überragen. Es könnte mit 327 Airbus-A380-Jets beladen werden und dabei 16 Meter tief ins Wasser eintauchen. Oder eben mit 16.020 Containern, die hintereinandergereiht locker die Strecke von Wien bis nach St. Pölten ergeben würden und in die 192 Millionen Jeans gepackt werden könnten.

Wohnen im Aussichtsturm

Auch die Unterbringung der Passagiere erfolgt im XXL-Format. Die Kabinen – wie in der Seefahrt üblich von Kammern zu sprechen, wäre lächerlich – sind zwischen 25 und 39 Quadratmeter groß. Betreut von einem Steward, verfügen sie über große Doppelbetten, Dusche und WC, einen Schreibtisch, Kühlschrank, eine Couch, einen Salontisch und eine Sitzecke. Nur bei viel Ladung kann einmal die Sicht nach vorne verstellt sein, ansonsten gewähren die Kabinen grandiose Blicke auf Vorschiff und Meer, wie von einem Aussichtsturm. Und ruhig ist es, erstaunlich ruhig. Das liegt nicht nur daran, dass sich die Fenster schalldicht verschließen lassen, sondern auch an der besonderen Konstruktion dieser Megaliner: Das Deckshaus mit der Brücke im vorderen und die Motoren nebst Schornstein im hinteren Drittel des Schiffes sind voneinander getrennt. So ist das typische Wummern der Maschine kaum wahrnehmbar. Der Grund für diese Bauart ist, dass noch mehr Container gestapelt werden können bei Einhaltung der vorgeschriebenen Sichtweite von 500 Metern voraus.

Drei Schlepper und stundenlange Zentimeterarbeit sind nötig, um das 396 Meter lange Containerschiff in den Hafen Zeebrugges zu bringen.
Foto: Bernd Ellerbrock

Kapitän Slavko – "Sagen Sie einfach Captain zu mir" – Malsic aus dem kroatischen Städtchen Opatija ist auf dem Weg nach Rotterdam bester Laune. Als Erster Offizier angefangen habe er auf einem 750-Container-Schiff, erzählt er: "Also auf einer Luftmatratze". Noch drei Häfen, dann endet seine Zeit an Bord erst einmal wieder, elf Wochen Pause warten danach auf ihn. Sein nächster Job führt ihn nach China, wo er einen noch größeren Frachter von der Bauwerft abholt, einen mit 18.000 Containern.

Wer genügend Zeit und Geld hat, kann als Passagier für eine komplette Rotation an Bord gehen. Aber auch Teilstrecken sind buchbar. Fährt man etwa von Hamburg nach Schanghai, dauert das 48 Tage, von Hamburg nach Le Havre kommt man in sieben Tagen. Die Zeit reicht jedenfalls immer, um die Welt hektischer Containerterminals, interessante Revierfahrten wie durch die Meerenge von Gibraltar, begleitet von Delfinen und Walen, aber auch das Alleinsein auf hoher See oder den stressreichen Arbeitsalltag der Seeleute an Bord kennenzulernen.

"Vollgetankt", signalisiert ein Besatzungsmitglied nach sechs Stunden Aufenthalt in Le Havre, bei dem 3000 Tonnen Treibstoff fließen.
Foto: Bernd Ellerbrock

Im engen Hafen von Zeebrugge wird das Schiff unter Kontrolle von zwei Kapitänen, zwei Lotsen und drei weiteren Nautikern auf der Brücke wie ein rohes Dinosaurierei um 90 Grad gedreht – stundenlange Zentimeterarbeit mit Unterstützung von gleich drei Schleppern. Von der abgedunkelten Brücke, auf der nur die Befehle an den Steuermann und dessen monotone Befehlswiederholungen die knisternde Stimmung unterbrechen, sieht das so aus, als würde der Containerriese das gegenüberliegende edle Kreuzfahrtschiff MS Ventura jeden Augenblick touchieren. In Le Havre wird das Schiff mit 3000 Tonnen Treibstoff betankt. Dieses Bunkern mit Schläuchen groß wie Pipelines dauert mehr als sechs Stunden, während auf der gegenüberliegenden Mole ein Bus Schaulustiger nach dem anderen vorfährt. Die Passagiere genießen das Treiben wie von einem schwimmenden Aussichtsturm aus, denn ihre Logenplätze befinden sich in über 50 Meter Höhe über dem Wasserspiegel.

Upgrades und Gebete

Wenn europäische Häfen angelaufen werden, geht es auf dem Schiff zu wie in einem Taubenschlag. In Hamburg kommt ein aus Marseille eingeflogener Spezialist für die Nautiksoftware an Bord, in Rotterdam gleich noch einer. "Keine Angst", beruhigt der Kapitän, es würden lediglich ein paar Upgrades auf die Rechner gespielt. Auf der Passage zwischen Rotterdam und Le Havre beehren Inspektoren der Klassifizierungsgesellschaft Bureau Veritas (eine Art Schiffs-TÜV) das Schiff und überprüfen mit strenger Miene sämtliche Sicherheitseinrichtungen. "Alles okay", freut sich Sicherheitsoffizier Metrio Cesar. Und in Le Havre kommt auch ein Geistlicher der Seemannsmission an Bord, der schließlich etwas resigniert feststellt, dass die Crew entweder arbeiten oder schlafen müsse. Für die Gebete auf seinen mitgebrachten USB-Sticks hätte niemand Zeit.

Auch wenn Passagiere beim Einschiffen auf einem Frachter eine komplett animationsfreie Zone betreten: Langweilig wird es nie. Sogar eine der bei Seeleuten so beliebten Barbecuepartys wird irgendwo im Mittelmeer ausgerichtet, ein Spanferkel auf dem offenen Feuer stundenlang gegrillt – allerdings ohne Karaokesingen. Bisweilen sind – zusammen mit den 26 ständigen Besatzungsmitgliedern, zwei Kadetten und vier Passagieren – über dreißig Menschen auf dem Schiff. Nicht zu vergessen die Lotsen: Vom Ablegen in Hamburg bis zum Festmachen auf Malta beraten insgesamt 17 Lotsen die Offiziere, damit das wertvolle Schiff mit seiner noch wertvolleren Ladung – zusammen mehrere Hundert Millionen Euro – sicher manövriert wird.

Im Maschinenraum schlägt das 108.000 PS starke Herz des Schiffes: ein Dieselmotor, so schubkräftig wie zehn Airbus A380.
Foto: Bernd Ellerbrock

Kurz vor dem Einlaufen in Malta lädt noch Vitomir Cukrov zum Besuch in sein Reich, in das man durch einen endlos lang wirkenden Tunnel unterhalb der Containerberge gelangt. Der Kroate ist Herr des Maschinenraums. Dieser ist so groß wie eine Konzerthalle, und ohne Ohrschutz darf niemand hinein. Hier hämmert dumpf wie in einem Hardrockcafé das Herz des Schiffes, ein Zweitaktdieselmotor mit 108.000 PS. Seine Schubleistung von zehn Airbus A380 kann den Megafrachter 24 Knoten schnell vorantreiben – das sind rund 45 km/h. Der Motor benötigt dafür 160 Tonnen Schiffsdiesel – pro Tag. Am Ende der gut 5100 Kilometer langen Reise von Hamburg nach Malta hat die Alexander von Humboldt 728 Tonnen Treibstoff für Hauptmaschine und Generatoren verbraucht, rechnet Cukrov vor. Ein Mittelklassewagen würde damit rund zwölf Millionen Kilometer weit kommen.

Die Alexander von Humboldt flößt auf Schritt und Tritt Respekt ein. Etwa weil man die Schiffstaue auch mit zwei Händen nicht mehr umfassen kann, weil selbst zu zweit das Anheben eines einzigen Gliedes der beiden Ankerketten – jede wiegt 309 Tonnen und ist 385 Meter lang – unmöglich ist. Für Markus und Beatrice aus Bern zählt jedenfalls nur eines: "Zu Hause werden wir erzählen, dass wir auf dem größten Containerschiff der Welt waren." Und wenn die nächsten Containerschiffe wieder drei Meter länger sind, was macht das schon? (Bernd Ellerbrock, RONDO, 27.7.2017)

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