Der EuGH hat nun ein Urteil über die Flüchtlingsbewegungen in Europa im Jahr 2015 gefällt.

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Luxemburg/Wien – Juristisch betrachtet geht es um Einzelfälle: Zwei Afghanen und ein Syrer haben vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) geklagt. Der Syrer war in Kroatien in die EU eingereist und hatte schließlich in Slowenien einen Asylantrag gestellt, die Afghanen in Österreich. Beide Länder waren der Ansicht, dass laut Dublin-Verordnung Kroatien dafür verantwortlich ist, weil es das Erstaufnahmeland ist. Die Anwälte der Betroffenen hingegen argumentierten, die Dublin-Regelung sei hinfällig gewesen, weil viele Grenzen in Europa geöffnet wurden und Kroatien die Durchreise gestattet habe.

Der EuGH hat nun am Mittwoch entschieden (siehe PDF): Kroatien ist für die Asylanträge der drei Betroffenen zuständig. Die Richter erklärten, dass das Überschreiten der Grenze von Kroatien nach Österreich beziehungsweise Slowenien ohne erforderliches Visum "illegal" gewesen sei.

Die kroatischen Behörden hatten die Beförderung der Flüchtlinge bis an die Grenze zwischen Kroatien und Slowenien übernommen, um ihnen zu helfen, sich in andere EU-Staaten zu begeben und dort internationalen Schutz zu beantragen.

Dublin-Abkommen weiterhin gültig

Schlussfolgerung aus diesem Urteil: Die außergewöhnlichen Flüchtlingsbewegungen, die sich 2015 und 2016 ereigneten, sahen die Richter nicht als Grund an, vom Dublin-Abkommen abzugehen. EU-Staaten dürfen sich aber freiwillig für aufgenommene Flüchtlinge zuständig erklären, erklärte der EuGH und billigte damit indirekt die Flüchtlingspolitik der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Das Urteil war mit Spannung erwartet worden, denn Eleanor Sharpston, Generalanwältin beim EuGH, war in ihren Schlussanträgen Anfang Juni zu der Meinung gelangt, dass Österreich beziehungsweise Slowenien für die Asylanträge zuständig sei. Ihr Argument: Ein illegaler Grenzübertritt liegt nicht vor, wenn EU-Staaten an den Außengrenzen der Union, die mit einem Massenzustrom konfrontiert sind, den Flüchtlingen gestatten, ihr Hoheitsgebiet zu durchqueren, um in ihr eigentliches Zielland zu kommen. Die Schlussanträge sind für den EuGH nicht verbindlich, geben aber in der Regel die Richtung der finalen Entscheidung vor. In diesem Fall war dem nicht so.

Auch formlose Asylanträge gelten

Am Mittwoch gab es noch ein weiteres Urteil des EuGH zum Thema Flüchtlinge. Diese dürfen demnach ihre Anträge auf internationalen Schutz auch formlos stellen. Mit dem Eingang eines Schriftstücks bei den zuständigen Behörden beginnen somit die im EU-Asylrecht vorgesehenen Fristen, auf die sich der Antragsteller berufen kann. Das entschieden die Luxemburger Richter zu einem Fall aus Deutschland.

Er könnte für Deutschland erhebliche Bedeutung haben. Denn in der großen Flüchtlingswelle 2015 und 2016 stellten sehr viele Asylwerber zunächst nur formlose Anträge. Nun ist klar, dass damit Fristen für Rechtsschutz ausgelöst wurden.

Es geht in dem Fall um einen Mann aus Eritrea, der im September 2015 über Italien nach Deutschland eingereist war. Deutschland sieht nach den Dublin-Regeln Italien für das Asylverfahren in der Pflicht. Der Mann hat jedoch gegen seine Rückführung geklagt, weil Deutschland die nach EU-Regeln gültige Frist von drei Monaten für den Antrag an Italien verpasst habe.

Bestätigung für formlosen Antrag erhalten

Der Mann hatte bereits im September 2015 in Bayern einen formlosen Antrag auf Schutz gestellt und dafür auch eine schriftliche Bestätigung erhalten. Das Bundesamt für Migration übermittelte sein Gesuch an Italien aber erst im August 2016, nach dem förmlichen Antrag des Eritreers. Der EuGH erklärte nun, dass bereits der erste, formlose Antrag ausschlaggebend sei.

Es sei "nicht erforderlich, dass das zu diesem Zweck erstellte Schriftstück eine ganz bestimmte Form hat oder zusätzliche, für die Anwendung der in der Dublin-III-Verordnung festgelegten Kriterien oder gar für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz in der Sache relevante Informationen enthält", befanden die Richter. (ksh, APA, 26.7.2017)