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Martin Schulz bemüht sich redlich, für die SPD Stimmen zu bekommen, doch Angela Merkel dürfte am 24. 9. neuerlich einen deutlichen Sieg einfahren.

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Die SPD kommt in Umfragen derzeit auf 22 Prozent.

Grafik: DER STANDARD

Zuletzt versuchte es Martin Schulz mit den Flüchtlingen: Die Situation in Italien, warnte der SPD-Kanzlerkandidat, sei brisant. Dann griff er Kanzlerin Angela Merkel direkt an: 2015 seien "über eine Million Flüchtlinge" nach Deutschland eingereist, "weitgehend unkontrolliert." Die Kanzlerin habe die Grenzen nach Österreich "aus gut gemeinten humanitären Gründen, aber leider ohne Absprache mit unseren Partnern in Europa" geöffnet.

Der Versuch, Merkel ausgerechnet mit einer Entwicklung in die Enge zu treiben, welche die SPD zu weiten Teilen mitgetragen hat, erstaunt. Immerhin stand die SPD der Kanzlerin während der Flüchtlingskrise 2015 weitgehend loyal zur Seite. Hinzu kommt, dass Schulz mit seiner Aussage nicht unbedingt seine Glaubwürdigkeit gesteigert hat: Laut allgemein bekannten Erhebungen kamen 2015 nicht über eine Million Flüchtlinge in das Land, sondern "nur" 890.000.

Schlechtes Wahlkampfthema

Dass Schulz das Schicksal der nach Italien reisenden Flüchtlinge anspricht, ist aus politischer Sicht zwingend, zumal Merkel das Thema aus dem Wahlkampf zu halten versucht. Indes eignet sich die Flüchtlingskrise für die SPD kaum für den Wahlkampf, zumal in Deutschland die Zahl im Vergleich zum Vorjahr um 80 Prozent gesunken ist. "Die SPD müsste eigentlich versuchen, das Thema kleinzuhalten, weil sie in der Flüchtlingskrise auf der gleichen Seite stand wie die Kanzlerin", sagt der Berliner Politologe Oskar Niedermayer zum STANDARD.

Der Versuch, ein neues Thema aufs Parkett zu hieven, ist den miserablen Umfragewerten der SPD geschuldet. Momentan kommen die Genossen auf 22 Prozent, die Union von Kanzlerin Merkel liegt fast nicht mehr aufholbar in Front: Schulz droht am 24. September ein Fiasko.

Dabei hatte es zeitweise ganz gut ausgesehen für Schulz: Beim Parteitag wurde er mit 100 Prozent zum Parteichef gekürt, in Umfragen lagen die Genossen im Frühjahr gleichauf, kurzzeitig – je nach Institut – sogar knapp vor der Union. Schulz schien perfekt zu passen: ein Mann aus dem Volk, der sich nach Rückschlägen aufgerappelt hat, Fußball liebt, mit einfachen Leuten gut kann und innenpolitisch unverbraucht ist.

Vergänglicher Hype

Der Hype hielt aber keine zwei Monate an: Seit April zeigen die Werte wieder kontinuierlich nach unten. Eine weitverbreitete Wechselstimmung lag dem Schulz-Hype nicht zugrunde, sagt Niedermayer: "Das war ein Medienhype." Die mediale Stimmung kippte im Frühling spätestens nach dem Praxistest der drei Landtagswahlen in Schleswig-Holstein, im Saarland und zuletzt in der "Herzkammer der Sozialdemokratie", in Nordrhein-Westfalen. Bei allen drei Wahlen hat die SPD an Wählergunst verloren. Niedermayer: "Dann hat auch die Berichterstattung gedreht."

Dass die SPD den Rückstand noch aufholen kann, ist eher unwahrscheinlich. Die Sozialdemokraten haben es in Deutschland traditionell schwer, stärkste Kraft zu werden, fügt Niedermayer hinzu. "Das ist ihr 1972 mit Willy Brandt und 1998 mit Gerhard Schröder erst zweimal gelungen."

Merkel liegt in allen Punkten – Kompetenz, Beliebtheit, Glaubwürdigkeit – in Umfragen vor Schulz. Nur in Fragen der sozialen Sicherheit betrachten die Wähler die SPD als kompetenter; doch mit dem Thema soziale Gerechtigkeit, auf das Schulz im Wahlkampf setzt, lässt sich keine Wahl gewinnen. Erhebungen zeigen, dass über alle Wählergruppen hinweg die persönliche Zufriedenheit mit der eigenen materiellen Lage überwiegt.

Die SPD hat es zudem schwer, mit Detailfragen gegen Merkel zu punkten. Die internationalen Verwerfungen, ein unberechenbarer Donald Trump oder Konflikte mit der Türkei spielten Merkel in die Karten. Niedermayer: "Merkel macht Wahlkampf, indem sie regiert."

Keine Angriffsfläche

Auf Schulz' Kritik, Merkel gehe demokratischen Debatten aus dem Weg ("Anschlag auf die Demokratie"), ging die Kanzlerin kaum ein. Merkel kopiert ihre erfolgreiche Strategie von 2009 und 2013, welche Politologen als "asymmetrische Demobilisierung" bezeichnen: Sie bietet kaum Angriffsfläche und lässt einen Wahlkampf kaum aufkommen, was die Wähler politischer Gegner vom Gang an die Urne abhalten könnte. "Sie agiert wie eine Boxerin, die über zwölf Runden keinen Schlag setzt, die den Attacken des Gegners mit minimalen Bewegungen ausweicht und die so am Ende der zwölften Runde mehr Kraft übrig hat", analysiert das Handelsblatt. (27.7.2017)