Im Dezember 2016 beginnen in einem Klagenfurter Bus zwei Männer menschenverachtende Parolen gegen Flüchtlinge zu schreien. Eine junge Frau, Zivilcourage zeigend, schreitet ein. Nachdem sie von den anderen Passagieren keine Unterstützung erfährt, steigt sie vorzeitig aus. Am nächsten Tag läuft sie den Männern, wie es in Kleinstädten passieren kann, zufällig erneut über den Weg. Sie wird von diesen nicht nur als "Van-der-Bellen-Schlampe" und "Jugofut" beschimpft, sondern auch zusammengeschlagen. Erneut schreitet niemand ein.

In Wien-Hernals wird eine Rohrbombe unter einer Moschee gefunden. Die Ermittlungsbehörden vermuten einen Streit um "Drogen-Reviere" oder rivalisierende "ethnische" Gruppen. Jahre später taucht ein Bekenntnisschreiben des Täters auf, nachdem sich dieser das Leben genommen hatte. Er war zuvor zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden, da er einen 18-Jährigen mit Migrationshintergrund niedergeschossen hatte.

Drohungen und Angriffe von Rechtsextremen

Immer mehr antifaschistische Räumlichkeiten und Personen berichten gegenwärtig von Drohungen und Angriffen von Rechtsextremen. So wurde im letzten Jahr mehrfach versucht, den Eingangsbereich des Wiener Kulturvereins w23 aufzubrechen, Buttersäure eingesetzt sowie die Fassade mit Aufschriften wie "Linksfaschisten" besprüht. Auch häufen sich Drohbesuche beziehungsweise Botschaften, die von Rechtsextremen an der Privatadresse oder dem Arbeitsplatz hinterlassen werden. Zumeist erfolgte davor ein Outing der Personen auf Social Media.

Wiederkehrend finden sich Sticker und Flyer mit rechtsextremen Inhalten, die gezielt im Umkreis von Sozial- und Jugendeinrichtungen angebracht werden. Bis dato wurde keiner der Fälle öffentlich gemacht, da die Einrichtungen zu den Vorfällen zumeist schweigen.

Sprühaktion von Rechtsextremen im Mai diesen Jahres.
Foto: Kulturverein w23

Es wird Zeit über rechte Gewalt zu reden. Und warum über diese meist geschwiegen wird. Wir müssen über das Thema auch anders reden, etwa nicht bloß in der Form von – unschönen bis tragischen – "Einzelfällen". Obwohl das Problem dringlicher wird, grassieren über rechte Gewalt vor allem Mythen, kaum aber Fakten. So existieren für Österreich keine Studien, die versuchen, die Opfer rechter Gewalt systematisch sowie kontinuierlich zu erfassen. Selbiges gilt für rechtsextreme Einstellungen in der Bevölkerung. Gleichzeitig besteht eine Tendenz, Erklärungen eher Glauben zu schenken, wenn sie das Problem klein reden.

Die Mär von den Einzeltätern

Seit geraumer Zeit braut sich ein demokratiefeindliches Milieu zusammen, das sich vor allem durch vier Ps auszeichnet: Pessimismus, Panik, Paranoia und Projektionsneigung. In Österreich denken zwar noch 78 Prozent, dass die Demokratie die bestmögliche Regierungsform ist, dennoch sind immer weniger damit zufrieden, wie diese funktioniert. Die Identifizierung mit dem demokratischen System bleibt besonders dort eine oberflächliche, wo eine "Untertanenkultur" Wurzeln geschlagen hat  und man es nicht gewohnt ist, sich aktiv an demokratischen Prozessen zu beteiligen. Unsicherheiten und der Unmut über die bestehende Autorität kanalisieren sich hierbei nicht nur in Politikverdrossenheit, sondern auch zunehmend in Autoritarismus. Gegenwärtig wünschen sich laut einer Sora-Umfrage 43 Prozent der Bevölkerung einen "starken Mann" und 23 Prozent einen "starken Führer", der sich "nicht um ein Parlament und Wahlen kümmern muss". Zehn Prozent der Bevölkerung müssen dem explizit antidemokratischen Spektrum zugerechnet werden. Hinzu kommt, dass die zunehmende Ökonomisierung von Lebensbereichen, wie etwa dem Bildungssektor, dazu beiträgt, das demokratische Prinzip auf eine Art und Weise auszuhöhlen, die bis in die Mitte der Gesellschaft Akzeptanz findet.

Was wir in jüngster Zeit beobachten können ist, dass nicht nur zunehmend antidemokratische Einstellungen vertreten werden, sondern dass diese auch in entsprechende Handlungen überschlagen. Oder wie es im O-Ton heißt: "Man müsse sich doch endlich einmal wehren dürfen". Vor allem im Zuge der rassistischen Mobilisierung angesichts der sogenannten "Flüchtlingskrise", ist die Hemmschwelle für offene Gewaltphantasien weiter gesunken. Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte gingen häufig monatelange Kampagnen der recht(sextrem)en Szene sowie ihrer lokalen Sympathisantinnen und Sympathisanten voran. Viele der Vorkommnisse blieben unveröffentlicht. Eine Ausforschung der Täterinnen und Täter gelang selten und mündete selbst bei den schwerwiegendsten Fällen in relativ milden Strafen.

Dass sich auch bis dato nicht-organisierte rechtsextreme Einstellungen zunehmend militarisieren, zeigt sich unter anderem daran, dass immer weniger der verurteilten Gewaltdelikte gegen Minderheiten eine einschlägige Szeneanbindung aufweisen. Gleichzeitig sind Delikte nach dem Verbotsgesetz in den letzten paar Jahren in die Höhe geschnellt. Das organisierte und das nicht-organisierte Spektrum beginnen gegenwärtig stärker zu diffundieren. Für beide gilt jedoch: Der Schritt zur Gewalt kommt niemals aus heiterem Himmel. Es handelt sich eben nicht um "vereinzelte Verirrte", wie etwa der Sozialpsychologe Andreas Zick betont, sondern um "eine Bewegung, und im Namen der Bewegung wird auch angegriffen". Täterinnen und Täter – mit oder ohne direkte Szeneanbindung – durchleben immer einen Prozess der Fanatisierung bevor diese zur Gewalt greifen, sei es im Rahmen der virtuellen oder der real präsenten Hass-Gemeinschaften.

Die rechte Szene rüstet sich

Immer öfter sind Stimmen aus dem militanten Rechtsextremismus zu hören, sich auf einen "Bürgerkrieg" vorzubereiten. Dazu gehört etwa der Austausch über die Beschaffung von Waffen und die Aufstellung von Bürgerwehren. Selbst die "Identitären", die wie kaum eine andere neofaschistische Gruppierung um die Akzeptanz der "Mitte" der Gesellschaft ringen, sind von ihrer Strategie der postulierten Gewaltlosigkeit in Teilen abgekehrt. Angeblich nur aus "Notwehr", da der "größte Rassismus" sich gegen "Inländer" richten würde. Während sich die "Identitären" in dem Propaganda-Video für ihr Sommerfest 2013 noch als harmlose Bastelgruppe mit Hang zur Waldluft inszenieren – die, um etwas cooler zu wirken, damit kokettieren, Joy Division zu hören – weht seit geraumer Zeit ein anderer Wind.

Nun wird damit geprahlt, sich in Kampfsporttrainingslagern zur "wehrhaften" Elite zu stählen. Angriff wäre eben die beste Verteidigung. Aber auch im parteiförmigen Rechtsextremismus wird von einem drohenden Bürgerkrieg fantasiert, den Muslime mittels ihrem "Geburten-Dschihad" bereits vorbereiten würden. So lässt sich etwa Ende 2015 im freiheitlichen Wochenblatt "Zur Zeit" lesen: "Anhand dieser ethnischen Bruchlinie wird der künftige Bürgerkrieg verlaufen. Die Metapolitik muss mit aller Kraft auf eine Zuspitzung der Lage hinarbeiten, denn je früher dieser Konflikt ausbricht, desto besser ist es für Österreich, da die Wehrkraft auf unserer Seite beständig abnimmt."

Es ist wenig verwunderlich, dass die Aussicht auf einen blauen Kanzler das Selbstbewusstsein von Rechtsextremen gegenwärtig überschlagen lässt. Die Tendenz zeigt, dass rund um potenzielle Wahlerfolge der FPÖ auch rechtsextreme Übergriffe sprungartig ansteigen. So wurden etwa vor der Stichwahl in Hohenems 2015 sowie der Hofburg-Wahl im November 2016 muslimische und jüdische Friedhöfe geschändet.

Auch lässt sich beobachten, dass die alte "Drei-Säulen-Strategie", die einst die NPD in Umlauf brachte – "Kampf um die Köpfe, die Straße, die Parlamente" – konsequenter auf allen Ebenen verfolgt wird. So wurde, nachdem die Behörden die Neonazis rund um Gottfried Küssel verhaftet hatten, vermehrt mit verschiedenen Organisationsformen experimentiert. Seit 2015 haben rechte Aufmärsche wieder zugenommen. Auch haben sich die Zielgruppen von rechten Übergriffen erweitert. Vermehrt wird dazu übergegangen, die vermeintlichen "Verantwortlichen" ins Visier zu nehmen. Dies betrifft vor allem jene, die als "Volksverräter" beziehungsweise Teil der "linken Kulturhegemonie" wahrgenommen werden. Der rechten Paranoia zufolge fallen darunter so einige: etwa NGOs, alle Medien (außer die eigenen), wer sich zu den Menschenrechten bekennt, Liberale und natürlich Linke jeden Couleurs.

Vor allem Angriffe gegen Antifaschistinnen und Antifaschisten haben in jüngster Zeit österreichweit eklatant zugenommen. Gerade am Beispiel von "Antifas" als Opfer rechter Gewalt zeigt sich jedoch, wie sehr die Auseinandersetzung von Relativierungen und Verharmlosungen geprägt ist.

In Deutschland beschmierten Rechte ein Asylbewerberunterkunft mit Hakenkreuzen.
Foto: APA/dpa/Maja Hitij

Die Mär von der "Gewaltspirale"

Anders als etwa in Deutschland, wo Widerstand gegen Nazis und andere Rechte einen vergleichsweise breiten Konsens hat, wird Antifaschismus hierzulande gerne mit "Linkslinken" bis hin zu Gewaltbereitschaft assoziiert. Dementsprechend weit verbreitet ist die Annahme, dass sich rechte Gewalt eigentlich erst angesichts zweier sich gegenseitig aufschaukelnder "Extremismen" zuspitzen würde. Die Tatsache, dass es offenkundig Antifaschistinnen und Antifaschisten gibt, die Gewalt und Sachbeschädigung als politische Mittel nicht grundsätzlich verwerfen, wird hierbei selbsterklärend zur Bestätigung der These von der "Gewaltspirale" herangezogen.

Mit der Funktionsweise rechter Gewalt hat dies jedoch relativ wenig zu tun. Rechtsextreme Übergriffe folgen nicht schlichtweg einer Dynamik der "Rachefeldzüge", da diese grundlegend ideologisch motiviert sind. Direkte oder indirekte Zusammenhänge zwischen rechter Gewalt und dem gesellschaftlichen Klima erweisen sich darum bedeutsamer als die Frage, was die von den Rechtsextremen als "Feinde" deklarierten tatsächlich tun oder lassen. So steigt etwa die Wahrscheinlichkeit von Übergriffen, je mehr sich Rechtsextreme in dem Gefühl wähnen, sie wären bloß der "ausführende Arm" des "Volkes". Die Wahlerfolge der FPÖ tragen hierzu wesentlich bei. Auch zeigt sich, dass sich Gewaltausbrüche vielmehr als Manifestation einer bereits stattfindenden Radikalisierung erweisen und nicht umgekehrt. So veranstalten Rechtsextreme etwa im Zuge der Verfestigung ihrer Strukturen Mutproben, bei denen versucht wird, jene "die es ernst meinen" von den "Weichlingen" zu scheiden. Auch kann die These des gegenseitigen Aufschaukelns nicht erklären, warum die Bandbreite der Übergriffe bis hin zu etablierten NGOs, Journalistinnen und Journalisten sowie Parteien reicht – denen wohl kaum eine Beteiligung an einer "Gewaltspirale" unterstellt werden kann.

Selbst wenn die These jenen Wahrheitsgehalt hätte, der ihr oft zugeschrieben wird, bliebe immer noch problematisch, dass ein äußerst stereotypes Bild von "den Antifas" mitunter dazu führt, dass einzelne Betroffene von rechter Gewalt vorsorglich kollektiv Empathie und Solidarität entzogen wird. So wurde etwa im Rahmen der Anti-Trump-Proteste kaum ein Bild dermaßen virulent, wie jenes des schwarz Vermummten, der dem Neofaschist und Kader der "Alt-Right", Richard Spencer, einen Schlag ins Gesicht verpasste.

Auch erweist sich die Frage der "gleichen Mittel" von Linken und Rechten als nicht so simpel wie suggeriert wird. Da ein und derselben Handlung weder dieselbe Strategie, noch dieselbe Ideologie oder Ethik zugrunde liegen müssen, kann diese zu anderen Konsequenzen führen. Wird etwa ein Nazi geoutet, muss dieser selten mehr befürchten als eventuell seinen Arbeitsplatz zu verlieren. Outings durch Antifas sind meist als Information für die Gesellschaft sowie zum Selbstschutz gedacht. So wurde etwa jener "Identitäre" geoutet, der am Institut für Politikwissenschaften als EDV-Angestellter arbeitete und dadurch theoretisch Zugang zu sensiblen Daten des Institutes hatte.

Outings durch Rechtsextreme sind meist für die eigene Szene bestimmt sowie als Drohbotschaft für die geoutete Person. Vor allem innerhalb von Neonazi-Kreisen wird eine Person mittels Outing quasi als "vogelfrei" erklärt. Es ist legitim, nicht jede Aktion, die von antifaschistischer Seite kommt, gutzuheißen. Gesehen werden muss jedoch, dass die Versuche der "Aufrechnung" von linkem und rechtem Aktionismus zur Verharmlosung von recht(sextrem)er Gewalt beitragen. Mitunter nimmt die fälschliche Logik der Gleichsetzung der "Extremismen" gar groteske Züge an.

So wurde etwa 2011 in Deutschland eine "Aussteiger-Hotline" für "Linksextreme" eingerichtet. Vollkommen ignoriert wurde hierbei, dass bei Linken jedoch kein Grund zur Sorge vor Rachezügen besteht wie etwa in Neonazi-Kreisen. Ein Ausstieg aus der Szene zieht dort nicht selten Morddrohungen nach sich. Wenig überraschend konnte die Hotline innerhalb eines Jahres nicht mehr als acht (ernsthafte) Kontaktaufnahmen verzeichnen. Auch zeigte sich im Rahmen der G20-Proteste in Hamburg erneut wie schnell manche bereit sind, Nazi-Sprech à la "Linksfaschisten" zu übernehmen. Es ist und bleibt jedoch ein Unterschied, ob Autos oder Menschen angezündet werden.

In Bezug auf die Auseinandersetzung mit rechter Gewalt bleibt noch viel tun. Wollen wir weitere Todesopfer verhindern, gilt es eher heute als morgen damit anfangen. (Carina Klammer, 31.07.2017)

Carina Klammer ist Soziologin in Wien mit dem Schwerpunkt Rechtsextremismus.

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