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Gelassenheit: nicht zynisch, sondern der nötige "Kontrast" zu Hektik, Dauerinformation und Abstiegsangst

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Harry Gatterer, Geschäftsführer des Zukunftsinstituts in Wien. "Generation Global" – so nennt das Zukunftsinstitut die global Vernetzten, die sich aufgrund von Werten, Hobbys und Geschmack zusammentun.

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STANDARD: "Das Mindset zählt ... das führt auch zu einem Fall der Mauern im Kopf. Das betrifft nicht nur die Herkunft, sondern auch Geschlecht, Alter, Aussehen oder sexuelle Orientierung. Wir leben Toleranz, sie muss uns nicht von oben verordnet werden", schreiben Ihre Jungen im Manifest der Generation Global. Wer und was ist die Generation Global?

Gatterer: Global vernetzte Junge, die sich nach vorne identifizieren, statt sich mit etwas zu identifizieren, das in der Vergangenheit liegt. Ihre bestimmenden Fragen: Wie wollen wir leben? Wer wollen wir werden? Sie sind in einem permanenten Transformationsprozess, postmaterialistisch. Wir nennen sie auch "Global Adopter" – sie mixen fröhliche Respektlosigkeit der Hippiekultur, kulturelle Sensibilität, empathischen Universalismus und haben ein Komplexitätsverständnis.

STANDARD: Und sind Netzbewohner. Und Eliten?

Gatterer: Ja, sie nutzen die Möglichkeiten der globalen Vernetzung. Aber sie schalten auch bewusst ab. Es handelt sich eben nicht um eine Ausbildungs- oder Herkunftselite – diese andere Art, auf die Welt zu schauen, ist grundsätzlich milieuunabhängig. Unter den 18- bis 35-Jährigen sind das in Österreich rund 18 Prozent, in Deutschland 25 Prozent, wenn man das solcherart vermessen und erheben möchte.

STANDARD: Eine selbstgewählte Gemeinschaft, Family of Choice?

Gatterer: Sie wählen ihre Community selbst, es geht um Werte, Hobbys, Geschmack, die vereinen. Ewige Treue ist dabei nicht der Punkt, es herrscht eine gewisse Unverbindlichkeit. Die Generation Global ist geprägt von Individualisierung.

STANDARD: Weltverbesserung ist aber ein großes Thema ...

Gatterer: Ja, das ist es. Und es geht nicht um Erfolgsgarantien, es geht um Pioniergeist, um Vorangehen, Neues auszuprobieren, jedenfalls nicht um einen Lebensstil, der sich lediglich um bestimmte Konsumentscheidungen dreht.

STANDARD: In anderen aktuellen Publikationen des Zukunftsinstituts wird jüngst immer wieder die Gelassenheit quasi als Generaltugend im Digitalisierungswahn genannt. Verständlich, aber ist das angesichts der berechtigten Abstiegsängste und der Multikatastrophen nicht auch ein wenig zynisch?

Gatterer: Die Problematik, die wir erleben, ist eine permanente Fragmentierung, wir können nur mehr Ausschnitte wahrnehmen, sind nie endendem Informations- und Katastrophisierungsterror ausgesetzt. Das betrifft alle, vom Topmanager bis zum Arbeiter. Das hat zum Verlust der Deutung über die Welt geführt. Die Welt ist nicht mehr prognostisch. Der Status quo ist alltäglich extrem infrage gestellt.

STANDARD: Aber die Zukunftsprognose ist doch so fix wie kaum jemals zuvor: Alles wird digital!

Gatterer: Eben nicht. Das ist eine lineare Fortschreibung – gerade diese funktionieren nicht mehr und stimmen nicht mehr. Ganz klar: In Zukunft ist nicht alles digital. Die totale Fixierung auf das Digitale ist eine Bankrotterklärung an das Menschsein. Und genau in diesem von allen gefühlten riesigen Ängsten öffnet sich ein Ventil – die Generation Global hat das verinnerlicht und lebt es. Es ist eine Phase der Exploration. Das Gegenstück zu den sehr vielen Menschen, ich merke das stark bei Führungskräften, die sich Mut machen, indem sie sich versichern, dass der Kelch des Wandels, der Digitalisierung, an ihnen vorübergeht. Das ist Teil des alten Modus, in dem wir versuchen, die Welt zu berechnen und daher nur das Berechenbare beobachten. Wie der Philosoph Richard David Precht sagt: Wir verwechseln die vermessbare Welt mit der ganzen Welt. Diesem fatalen Missverständnis sitzt die Generation Global nicht auf.

STANDARD: Nochmal zur Gelassenheit: Warum ist die so zentral?

Gatterer: In der fragmentierten Welt erlösen wir uns nicht, indem wir dauernd von einem zum anderen hüpfen und versuchen, das noch besser auszuhalten oder gar zu managen. Auch die neuen Skills und Kompetenzen, nach denen jetzt dauernd verlangt wird, führen nicht zu mehr Deutungsmöglichkeit oder Überblick oder der vielfach gesuchten Ordnung. Meist geht es dabei ja eh nur um noch schneller, noch mehr, noch ein fragmentierteres Stück. Wir können also nur in den Kontrast gehen, um nicht dem üblichen Wahn zu erliegen. Und dieser Kontrast ist Achtsamkeit, ist Gelassenheit.

STANDARD: Schwierig in einem Alltag, der einen bis zur Erschöpfung der vermessbaren Welt unterwirft – vor allem im Arbeitsleben.

Gatterer: Deswegen fällt es uns ja so schwer, in den Kontrast zu gehen. Es ist aber nötig, damit wir Möglichkeitsräume wahrnehmen und erkunden können – mit dem Tunnelblick geht das nicht. Der Weg zu Gelassenheit sind immer die eigenen Gedanken: Wer speist sie? Worum drehen sie sich? Erforsche deine Gedanken und nimm dich selbst ernst. Ob das über philosophische Literatur, über Meditation oder über Spaziergänge möglich wird, muss man ausprobieren. Jedenfalls geht es darum, sich vom aufgeregten Umfeld nicht anstecken zu lassen, bei sich zu bleiben. Das hat nichts mit den üblichen Zuschreibungen an Egoismus zu tun. Sondern es ermöglicht, auf andere absichtslos zuzugehen, in einen Dialog zu treten, der nicht von vorneherein auf Haben, Überzeugen, Gewinnen ausgelegt ist. Wer immer nur absichtsvoll ein Ziel verfolgt, sieht so vieles rundherum nicht und beraubt sich letztlich der Möglichkeiten. (Karin Bauer, 3.8.2017)