Oliver Stokowski, Nina Petri, Roland Koch, Andrea Wenzl und Max Simonischek in Harold Pinter "Die Geburtstagsfeier".

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Salzburg – Die Urlaubspension in Harold Pinters "Die Geburtstagsfeier" würde den Schandfleck in jeder Fremdenverkehrsbroschüre bilden. Vor dem Terrassenfenster verrottet stumm und ungerührt ein aschgraues Boot. Drinnen, in der guten Küchenstube von Meg und Petey, behauptet die Natur ungeniert ihr Recht.

Sanddünen zieren den Holzboden der Badepension, die Martin Zehetgruber in das Salzburger Landestheater geklotzt hat. Grasfächer klettern sogar aus dem stillgelegten Kamin. Nur dass hier eben alles mondän verschmutzt ist und abgehaust, ein einziges Hochglanzelend, das Regisseurin Andrea Breth und ihr Festspielteam im Deluxe-Format zelebrieren.

Hausfrauliche Inkompetenz

Und so fragt man sich, ob hier die Krimiabteilung des süddeutschen Rundfunks eine englische Zweigstelle unterhält. Schwer raschelnd blättert der Liegestuhlvermieter Petey (Pierre Siegenthaler) in seiner vermutlich Monate alten Morgenzeitung. Seine bessere Hälfte Meg (Nina Petri) lehnt flötend am Türrahmen. Sie vergällt ihren Mitbewohnern ein ohnehin auf Verzicht angelegtes Leben mit Proben ihrer umfassenden hausfraulichen Inkompetenz: Röstbrot, Cornflakes mit Sauermilch, schwarzer Tee, den sie aus göttlicher Höhe hinab in die Tasse gießt.

Der Hauptheld in Pinters "Geburtstagsfeier" (1958), tatsächlich das Geburtstagskind, ist als Pensionsgast ein ungewaschener Tagedieb mit ausgeprägtem Schlafbedürfnis. Stanley (Max Simonischek), seit einem Jahr untätig, zehrt vom höchst ungewissen Ruhm eines emeritierten Pianisten, der in den Pierkneipen Englands zum Tanz aufgespielt hat. Simonischek wird nicht nur von Gastgeberin Meg angehimmelt. Als Parasit muss er obendrein etwas ausgefressen haben.

Schwäbischer Dialekt

Die unselige Absteige erhält Besuch von zwei Handlungsreisenden in Sachen Gewalt. Goldberg (Roland Koch) besitzt die gemütvolle Brutalität eines Mafiakillers auf Sommerfrische. Sein kauziger Assistent McCann (Oliver Stokowski) verbindet Stiernackigkeit mit ausgeprägtem Ordnungssinn. Obendrein veredelt er Pinters Dialog mit kuriosen Proben schwäbischen Dialekts.

Die beiden Herrschaften ähneln in ihren altmodischen grauen Anzügen Genussmittelvertretern. Sie könnten natürlich auch einem verschollenen Kafka-Roman entstammen, einem der heitereren Art.

Stanley, dieser Glenn Gould der verrottenden Strandbäder, wird zum Opfer des Übergriffs der beiden Eindringlinge. Er starrt ungläubig durch die Brille und sieht eine kleine, hochneurotische Welt voller Moderne-Verlierer vor die Hunde gehen. Eine junge Frau aus der Nachbarschaft (Andrea Wenzl) bildet obendrein den erotischen Einsatz in einem Spiel, dessen Regeln niemand so genau kennt. Hier grüßt, über die Mur und den Ärmelkanal hinweg, Wolfgang Bauer sehr herzlich seinen weltdramatischen Kollegen Pinter.

Auf Mutmaßungen angewiesen

Seltsamerweise belässt es Breth diesmal bei der Klimaforschung. Indem die Figuren einander wie Spielsteine berühren und voneinander abprallen, bleibt man auf allerhand Mutmaßungen angewiesen. Ganz nach Mode der metaphysischen Kreuzworträtsel, die man in Nachkriegseuropa eifrig zu lösen pflegte. Stichwörter: das Schweigen Gottes; die Allmacht überindividueller Instanzen; das ruinöse Wirken instrumenteller Vernunft.

Stanley muss ein als Geburtstagsfeier getarntes Whiskeybesäufnis über sich ergehen lassen. Er schlägt als Groß-Oskar-Matzerath eine Kindertrommel, ehe er sich – im Licht einer Taschenlampe – als Vergewaltiger und Wüstling zu erkennen gibt. Kaum einmal kommen die Figuren miteinander ins Spielen. Wie Murmeln rollen sie zwischen den Dünen hin und her. Die hübsch ausgeleuchteten Bildchen von der schäbigen Seeseite des Lebens werden mit Verdunkelungen kleingehackt.

Stanley wird, frisch rasiert und hergerichtet, wie ein renovierungsbedürftiger Gegenstand weggeschafft. Pinters Dialoge sind verhallt, das Boot ist an Land geschwappt und verrottet nun friedlich in Peteys und Megs freundlich-schmutzigem Eigenheim. Im verlöschenden Licht des Scheinwerfers kann die Frühstücksköchin ein letztes Mal behaupten, sie sei für die Dauer einer Geburtstagsfeier die "Ballkönigin" gewesen. Das ist richtig und berührend gesagt, lässt nur – wie die ganze kunstgewerbliche Unternehmung – völlig kalt. Andrea Breths Besuch im Theatermuseum, ab Herbst am Wiener Akademietheater zu sehen, wurde vom Festspielpublikum freundlich, aber nicht frenetisch aufgenommen. (Ronald Pohl, 29.7.2017)