"Rose Bernd" auf der Pernerinsel in Hallein: Gregor Bloeb spielt darin den Unsympathler Arthur Streckmann.

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STANDARD: Sie spielen in "Rose Bernd" einen totalen Unsympathler: Arthur Streckmann ist Alkoholiker, Vergewaltiger, Erpresser. Liebenswert ist an dem gar nichts. Geben Sie gern solche Böslinge?

Bloéb: Liebenswert ist er wirklich nicht. Aber ich mag keine Schwarz-Weiß-Figuren, man muss Menschen darstellen in all den Facetten und Abgründen. Und in diesem Stück ist buchstäblich jede Figur gewalttätig. Auch Rose Bernd ist nicht nur Opfer, sie tötet letztlich ihr Kind. Jeder ist nur auf den eigenen Vorteil bedacht. Das ist ein Konglomerat aus Menschen, die sich wie Tiere gegenseitig ein Stück Fleisch herausreißen. Aber es gibt auch bei Streckmann ein Warum und Wieso, eine Gefühlswelt dahinter.

STANDARD: Was ist dieses Warum und Wieso?

Bloéb: Streckmann ist vernarrt in die Rose. Als sie ihn abweist, wird er zum Tier. Im Text heißt es, dass die Männer wie Kinder funktionieren. Dieses Archaische, sich etwas zu nehmen, wenn man meint, es gehöre einem, hat tatsächlich etwas Kindliches. Es herrscht ein extrem strenges gesellschaftliches Korsett, sobald einer sich nicht innerhalb dieser Strukturen bewegt, fallen die anderen wie Piranhas über ihn her.

STANDARD: Trifft das auch auf Frau Flamm zu? Sie will Rose doch beschützen?

Bloéb: Nein, auch sie benutzt Rose nur: Nach dem Tod ihres Kindes verfällt sie in Depression und holt sich ein zwölfjähriges Mädchen als Sonnenschein ins Haus. Anfangs sagt sie noch, für Rose und das Kind werde gesorgt, dann spricht sie nur mehr vom Kind. In Wirklichkeit will sie einfach selbst wieder ein Kind haben. Auch das ist so typisch für dieses Stück und die Zeit, in der es spielt: Es wird vieles tabuisiert, nichts explizit ausgesprochen. Rose sagt nicht, dass Streckmann sie vergewaltigt hat, sondern nur: "Du hast a Verbrechen getan an mir." Und über Roses Schwangerschaft sagt Frau Flamm zu ihrem Mann nur: "Die Rose ist ja nicht allein, da ist noch was da." Also: Man spricht, aber spricht nicht aus; man sieht, aber schaut nicht hin.

STANDARD: Nicht so unähnlich zu heute?

Bloéb: Ja, es herrscht einerseits nach wie vor Angst, Wahrheiten auszusprechen, vor allem auch, weil die Gegenseite oft hysterisch damit umging. Zum Beispiel war die Mittelmeersperre ein Tabu, mittlerweile fordert sie wirklich jeder, nur sagt es jeder anders. Andererseits haben wir mit den Postings und Onlineforen ein gesellschaftliches Novum. Deswegen kann man auch nicht sagen, heute würde nicht geredet. Im Gegenteil: Unter dem Deckmantel der Anonymität reden zu viele Menschen über alles. Ich lese Postings selten bis nie, wenn doch, kriege ich jedes Mal wirklich großen Weltschmerz.

STANDARD: Wie berechtigt sind Ängste und Warnungen vor dem Rückfall in archaische, apodiktische Lebenswelten wie in diesem Stück, Stichwort: Parallelgesellschaften?

Bloéb: Das Stück, und darüber reden wir auch viel in den Regiebesprechungen, hat etwas von einer Zukunftsvision: Achtung, so kann es wieder werden! Hauptmann hat Rose Bernd vor dem Ersten Weltkrieg geschrieben, damals hat sich eine autoritative Gesellschaft aus Angst immer mehr Regeln aufoktroyiert. Wozu das führt, kann man heute unter anderem im streng ausgelegten Islam sehen.

STANDARD: Können Sie diese Ängste nachvollziehen?

Bloéb: Natürlich! Ich merke an mir, dass ich immer konservativer werde. Ich bin ja nur froh, dass ich als Kommunist begonnen habe! Ein Leben lang habe ich mich für Menschen- und Frauenrechte eingesetzt, da war ich links. Wenn ich mich jetzt dafür einsetze und sage, vielleicht überprüfen wir einmal den Islam auf ebendiese Menschen- und Frauenrechte, bin ich auf einmal rechts. Das Links-rechts-Schema ist offensichtlich obsolet geworden. Aber ich fürchte mich nicht so sehr vor den Afrikanern, die kommen, ich habe große Angst davor, was es auslöst, wenn man das nicht in ordentliche Bahnen lenkt: nämlich einen ganz großen Rechtsschwung. Andererseits, und das hat sich auch niemand gedacht, ist durch Brexit und die Trump-Gschichtln erstmals ein Europagefühl aufgekommen, das hatte ich bis dahin überhaupt nicht.

STANDARD: Weil Sie sich hauptsächlich als Tiroler fühlen?

Bloéb: Ich habe mich nicht als Europäer gefühlt. Das Einzige, was ich mitbekommen habe, waren Gurkenkrümmungsverordnung und Glühbirnenverbot. Das hat sich durch den Brexit geändert.

STANDARD: Gerhard Hauptmann hat das Stück im schlesischen Dialekt geschrieben. Welcher Dialekt wird auf der Bühne gesprochen?

Bloéb: Natürlich Schlesisch, das war von vornherein eine Vorgabe von Regisseurin Karin Henkel und Schauspielchefin Bettina Hering. Das ist auch absolut richtig, denn über den Sound kriegt man den Charakter heraus, die Gesellschaftsschichten sind sprachlich klar zuordenbar: Streckmann und Rose gehören eher der untersten sozialen Schicht an, beide reden viel mehr Dialekt als das gesellschaftlich besser gestellte Ehepaar Flamm. Ich habe diesen Dialekt Silbe für Silbe einstudiert. Vielleicht tu ich mir als Tiroler sogar leichter, weil das Hochdeutsche für mich gewissermaßen auch eine Fremdsprache war. Ich spreche auch am Probenanfang ganz oft tirolerisch, egal ob bei Kleist oder Hauptmann, denn da geht es mir zunächst darum, meine Gefühlswelten quasi rauszuhauen.

STANDARD:Wie bereiten Sie sich auf Rollen vor? Lesen Sie viel drum herum oder gehen Sie intuitiv an die Sache heran?

Bloéb: Es kommt natürlich aufs Stück und die Regie an. Aber im Prinzip habe ich einen intuitiven, unvoreingenommenen Zugang. Ich möchte zuerst mein eigenes Gefühl entdecken, meine eigenen Bilder im Kopf haben, auch wenn die dann oft nicht passen und verworfen werden. Erst im Laufe der Proben hole ich mir zusätzliche Informationen und Material.

STANDARD: Sie drehen viele Kino- und Fernsehfilme, spielen vor allem in den letzten Jahren auch viel Theater. Wo liegt Ihr Herzblut?

Bloéb: Na ja, das Theater ist schon unser Fundament. Und es ist superlässig, sich zwei Monate exklusiv mit etwas auseinandersetzen zu dürfen. Ich weiß diese Kostbarkeit immer mehr zu schätzen. Denn in einer Welt, in der Effizienz offenbar das Wichtigste ist, erscheint Theater ja das Überflüssigste überhaupt zu sein. So viel Geld, das dafür ausgegeben wird; so viel Menschen, die sich den Kopf zerbrechen, basteln, bauen und üben – und nach fünfzig Vorstellungen ist alles wieder vorbei: welch ein Luxus. Und gleichzeitig ist diese flüchtige Vergänglichkeit auch eine wunderbare Lebensparabel, für Effizienzfanatiker allerdings etwas völlig Sinnloses. Umso mehr genieße ich es. Und auch wenn ich öfter Weltschmerz bekomme, so habe ich doch die Menschen wahnsinnig gern. Zu wissen, dass das Publikum wartet, bis der Vorhang aufgeht, erzeugt bei mir ein unbeschreiblich schönes Gefühl, eine große Spiellust. Ich liebe es, mein Herz zu geben.

STANDARD: Manche Regisseure und Schauspieler sagen, die ersten Probentage seien zunächst nur schrecklich, weil man Angst habe, peinlich zu sein.

Bloéb: Mir ist nichts peinlich. Und bei den Proben ist alles erlaubt, da gibt es sowieso keine Peinlichkeit. Das Schöne am Probenprozess ist ja der absolute Freiraum, in dem man sich ausprobieren kann. Ich habe keine Angst vor Regisseuren, auch vor mir braucht sich kein Regisseur oder Kollege zu fürchten. (Interview: Andrea Schurian, 29.7.2017)