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Trump und May im Jänner in DC. Heute tätschelt der Präsident lieber seinen Amtskollegen in Paris.

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Sie müssen aus England sein", sagt der Drogerieverkäufer in Menlo-Park, Kalifornien. Als ich Präsident Donald Trump erwähne, erwidert er: "Ich will gar nicht über die Angelegenheiten auf Ihrer Seite des Atlantiks reden. Ihre Frau May dort in der Downing Street wird von den Bürokraten in Brüssel (Schimpfwort gelöscht) ..."

Dem kann ich nur zustimmen. Aus der Brexit-Bratpfanne ins Trump-Feuer gesprungen, finde ich mich selbst beim Vergleichen beider Umstände wieder – und wundere mich, was denn schlimmer sei. Der transatlantische Unterschied ist, dass die Briten über eine Sache den Verstand verloren haben und die Amerikaner über einen Mann.

Großbritannien wird noch immer von relativ geistesgesunden und seriösen Menschen regiert. Theresa May mag hölzern sein, rigide und überfordert, aber verglichen mit Trump erscheint sie wie Mutter Teresa. Die Sache an sich, der Brexit, ist ein Akt kollektiven Irrsinns und nationaler Selbstzerstörung. Jede weitere Woche bringt Beweise dafür ans Tageslicht, wie schädlich dieser in beinahe jedem Bereich des nationalen Lebens ist und vor allem wie sehr er den "vergessenen" Brexit-Wähler aus der Arbeiterklasse schadet. Vom Absinken der Realeinkommen werden sie am schlimmsten betroffen sein.

Trump war einer der wenigen bekannten Ausländer, die den Brexit unterstützt haben. Heute allerdings hält er lieber Händchen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron statt mit der britischen Premierministerin. Und er ist ganz leise geworden, wenn es um die zu erwartende Glorie des Brexit geht.

Erratischer Schlägertyp

Das bedeutet nicht, dass er auch in allen anderen Bereichen zurückhaltender oder verantwortungsvoller agieren würde. Der Mann, den wir in der Wahlauseinandersetzung gesehen haben, war ein narzisstischer, frauenfeindlicher, undisziplinierter und erratischer Schlägertyp. In seinen ersten sechs Monaten als Präsident hat er sich an alle diese Beschreibungen gehalten. Wie es sein neuer Kommunikationsdirektor Anthony Scaramucci unlängst ausdrückte, sollte man nicht erwarten, dass sich ein 71-jähriger Mann noch ändert.

Er kann seinen Twitter-Reißverschluss noch immer nicht zubehalten. In seiner Kampagne gegen die MSNBC-Moderatorin Mika Brzezinski beschrieb er diese als "low IQ Crazy Mika". Und er behauptete, dass sie "um Neujahr für drei Nächte nach Mar-a-Lago gekommen ist und mich unbedingt treffen wollte. Sie hat nach einer Schönheits-OP schlimm geblutet. Ich habe nein gesagt!" Das bewegte den neokonservativen Kommentator Bill Kristol zu einem eloquenten Gegen-Tweet: "Lieber @realDonaldTrump, Sie sind ein Schwein. Sincerely, Bill Kristol". (Ich mag das "Sincerely".)

Das Transcript von Trumps jüngstem Interview mit der "versagenden" New York Times belegt die egozentrische Störung seines oberflächlichen Geistes. Es ist eine Mischung aus James Joyce' Leopold Bloom und dem National Enquirer. Gefragt, ob er nach Großbritannien reisen werde, antwortet er nur: "Ah, sie haben mich gefragt, ja." Dann erzählt er lieber Geschichten von seiner Reise nach Paris. So viel zur "post-Brexit special relationship". Und nach einer Erwähnung seines Besuches am Grab Napoleons sagt er meinen Lieblingssatz in dem ganzen Interview: "Na ja, Napoleon hat es eher mies zu Ende gebracht."

Zuletzt hat er den eigenen Justizminister Jeff Sessions, einen seiner frühesten prominenten Unterstützer, als Clintonianer denunziert. Jeden Tag wacht man also auf und fragt sich: Wie kann so ein übler Marktschreier Präsident der Vereinigten Staaten sein? Der Charakter des Mannes ist hier das fundamentale Problem. Viel mehr als es seine Ideologie oder seine Politik sind. Es ist surreal, dass es eine Debatte darüber gibt, ob sich ein Präsident selber begnadigen könne.

Mag der Irrsinn des Mannes auf der einen Seite des Atlantiks und der Irrsinn der Sache auf der anderen sein, die Symptome sind ähnlich – genauso wie es manche der Gründe dafür sind. Das Niveau verbaler Vergiftung ist unerhört. Sowohl London als auch Washington – eigentlich Hauptstädte, die üblicherweise für einigermaßen stabiles und effizientes Regieren bekannt sind – werden nun Zeugen einer einzigartigen Verwirrung. Wichtigste Posten etwa im US-Außenministerium sind immer noch vakant. Scaramucci hat Trumps Stabschef derweil de facto des Geheimnisverrates bezichtigt. Mitglieder der britischen Regierung widersprechen einander öffentlich. An Themse und Potomac gibt es mehr Leaks, Fettnäpfchen und Kehrtwenden als in jeder Farce auf der Bühne.

Wundert's, dass etwa die deutsche Kanzlerin sagt, die Kontinentaleuropäer könnten sich nicht mehr länger auf ihre Aliierten jenseits des Ärmelkanals und des Atlantiks verlassen? Russen und Chinesen lachten sich auf dem Weg zum G20-Gipfel in Hamburg kaputt. Vor dem Gipfel hatte China Daily eine Titelseite, auf der zu lesen stand: "Wegen der Sorgen über den US-Protektionismus und den Brexit wird von China und Deutschland erwartet, dass sie an der Spitze von Globalisierung und Freihandel stünden."

Ist das also nun das Ende des Westens? Oder wenigstens jenes des angelsächsischen Westens? Als Erstes habe ich dieses Argument, dass der Zusammenfall von Trumps Wahl und des Brexits den Abstieg der Angelsachsen bedeute, von einem ehemaligen finnischen Premier gehört und später von weiteren Beobachtern. Das 19. Jahrhundert gehörte den Briten, das 20. (zumindest nach 1945) den Vereinigten Staaten.

Der Neoliberalismus, der zwischen dem Ende der Sowjetunion 1991 und der Finanzkrise 2008 eine Art globale ideologische Dominanz innehatte, war ein charakteristisches angelsächsisches Produkt. Er selbst ist Wurzel und Ursache jenes genuinen und weitverbreiteten Missvergnügens, das Populisten sowohl in Großbritannien als auch in den USA ausgenützt haben. So wird – nicht ohne Schadenfreude – argumentiert, und zwar speziell in Frankreich.

Aber, chers amis, seid vorsichtig mit dem, was Ihr euch wünscht. Ihr mögt euch ein post-angelsächsisches 21. Jahrhundert vorstellen, das glorios erleuchtet ist von der aufgeklärten Politik von Emmanuel Macron und Justin Trudeau. Dennoch dürfte der Fortinbras, der nach der Selbstzerstörung des angelsächsischen Hamlet die Bühne beherrscht, eher das Gesicht eines Xi Jinping, Wladimir Putin oder Recep Tayyip Erdogan haben.

Außerdem ist das ein klarer Fall von VÜI (vorzeitiger überdramatischer Interpretation), die umgangssprachlich als Expertenkrankheit bekannt ist. Eine andere Zukunft ist noch immer möglich. Vergangenen Sommer fragte ich einen sehr erfahrenen amerikanischen Politikwissenschafter, wie er auf Trump reagieren würde. Er sagte, das wäre ein sehr interessanter Test für das politische System der USA. Vergangene Woche haben wir auf dem Campus der Stanford University wieder gesprochen und beide festgestellt, dass die verfassungsmäßigen "checks and balances" bis auf Weiteres zu funktionieren scheinen.

Das System funktioniert

Gerichte haben Trumps Einreisebann zweimal blockiert. Es ist unvorstellbar, dass die unabhängige Gerichtsbarkeit hier auf eine Art und Weise gefährdet werden könnte, wie sie gegenwärtig in Polen gefährdet ist. Geschützt durch das First Amendment tut die freie Presse genau das, was die Gründerväter für sie vorgesehen haben. Die Kontrolle ist schwächer, was die Außenpolitik betrifft. Aber ein von den Republikanern dominierter Kongress hat erst schärfere Sanktionen gegen Russland, Nordkorea und Iran beschlossen und es zugleich schwieriger für den Präsidenten gemacht, diese wieder aufzuheben.

Solange Trump keinen Krieg mit Nordkorea anfängt, könnten die USA nach vier Jahren einer üblen Präsidentschaft zwar mit Schäden für Demokratie und internationale Reputation herauskommen, diese wären aber nicht irreparabel. Auch die britische Demokratie kann eine reale Chance erzeugen, dass wir Briten uns von dem Irrsinn der Sache erholen können und entweder einen Soft-Brexit oder – wie wir es sollten – einen Exit vom Brexit zustande bringen. Ja, die Angelsachsen mögen derzeit auf dem Boden liegen, vor allem durch ihren eigenen Wahnsinn. Aber noch ist es zu früh, um sie auszuzählen. (Timothy Garton Ash, 28.7.2017)