Flüchtlinge im Hafen von Tripolis. Frankreich will im August die Machbarkeit von Hotspots prüfen.

Foto: APA/AFP/MAHMUD TURKIA

Emmanuel Macron mag es bonapartistisch: Zuerst angreifen, dann überlegen. Und gegebenenfalls zurückrudern. Beim Besuch eines Flüchtlingslagers in Orléans überraschte der seit zwei Monaten amtierende Präsident Freund und Feind mit seiner Ankündigung, Frankreich werde mit oder ohne EU sogenannte Hotspots (Auffangzentren) für Flüchtlinge und Migranten in Libyen einrichten.

Zwei Tage zuvor hatte er die beiden Hauptexponenten des libyschen Bürgerkriegs in Paris empfangen und ihnen das Versprechen abgerungen, den Wüstenstaat am Mittelmeer zu "stabilisieren". Der Präsident strebe eben eine "umfassende Lösung" des libyschen Knotens an, schickten seine Berater nach.

"Aus Sicherheitsgründen"

Dann leiteten sie den Rückzug ein. Aus "Sicherheitsgründen" sei eine Einrichtung solcher Hotspots "heute nicht möglich", verlautete es abends, als Macron bereits wieder bei einem anderen Thema war, aus dem Élysée-Palast.

In Brüssel, Berlin oder Rom, wo man die Ankündigung des Franzosen wenig goutiert hatte, wunderte man sich nicht wenig. In Paris erschienen Kommentare, der Präsident suche mit seinem Vorpreschen wohl, von seinen zunehmenden innenpolitischen Schwierigkeiten abzulenken.

In zahlreichen Ländern aktiv

Der Sarkasmus und die europäische Kritik sind nur zum Teil berechtigt. Macrons Initiative ist nicht nur heiße Luft. Die Hotspots in Libyen will er dem Französischen Amt für den Schutz von Flüchtlingen und Staatenlosen (Ofpra) unterstellen. Es ist bereits in zahlreichen Ländern aktiv; im Libanon, in Jordanien, der Türkei oder Ägypten hat es 10.000 Asylgesuche behandelt, wie Vorsteher Pascal Brice am Freitag erklärte.

Machbarkeit prüfen

Im frankofonen West- und Nordafrika hat das Ofpra fundierte Erfahrung im Umgang mit Krisenherden. "Ende August", wie es im Élysée heißt, soll eine Ofpra-Mission die Machbarkeit von Hotspots in Libyen, aber auch in den Sahelstaaten Niger und Tschad abklären.

Zugleich bleibt Macron in Kontakt mit den libyschen Bürgerkriegsparteien, darunter dem starken Mann Chalifa Haftar, ein Warlord, dessen Legitimation vor allem militärischer Natur ist.

Italien unterstützt Küstenwache

Man kann diese französische Realpolitik kritisieren, doch verspricht sie derzeit mehr Erfolg als der italienische – und zum Teil auch deutsche – Ansatz, der sich auf den international anerkannten, aber faktisch machtlosen Übergangspremier Fajes al-Sarradsch im Landeswesten stützt. Die italienische Regierung hat am Freitag beschlossen, Schiffe vor Libyens Küste zu entsenden, um die dortige Küstenwache zu unterstützen.

Über 2.000 in Libyen gestartete Bootsinsassen sind laut offiziellen Schätzungen seit Jahresbeginn ertrunken. Laut dem französischen Präsidenten warten in Libyen bis zu eine Million Menschen unter unwürdigen Bedingungen darauf, nach Europa zu gelangen. Macron wiederholte mehrfach, nur ein Teil könne Asyl beanspruchen. In Frankreich selbst will er das Asylverfahren von neun Monaten im Jahr 2015 und heute fünf Monaten weiter auf zwei Monate verkürzen. In Calais greift die Polizei hart durch, um einen neuen "Dschungel" zu verhindern.

Macron entpuppt sich damit als vorauseilender Realpolitiker, der die Lage nüchtern beurteilt – und dabei höchstens seine eigenen Kapazitäten überschätzt. (Stefan Brändle aus Paris, 28.7.2017)