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Beim Abgasskandal hat alles versagt, worauf Bürgerinnen und Bürger üblicherweise vertrauen: Europa hat bei der Typisierung von Autos großzügig liberalisiert, schwammige Gesetze akzeptiert und auf Kontrollen gepfiffen. Die Nationalstaaten haben die Interessen der mächtigen Autoindustrie bevorzugt und den Schutz der Verbraucher, Gesundheit und Umwelt sträflich vernachlässigt.

Als die Manipulationen aufgeflogen sind (auch dank der US-Justiz) ließen Europas Politiker die Konsumentinnen neuerlich hängen – dank löchriger und fehlender einheitlicher Konsumentenschutzbestimmungen.

Massiver Verlust droht

Doch das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange: In Zukunft droht allen Dieselhaltern ein massiver Verlust. Infolge des Abgasskandals soll es Fahrverbote in vielen Städten Europas geben und damit eine Entwertung aller Dieselautos, auch der nichtmanipulierten.

Halten wir fest: Statt die Täter zur Wiedergutmachung zu zwingen und das Übel an der Wurzel zu packen, sollen die Opfer noch eines draufkriegen.

Sachlich betrachtet: Beim VW-Abgasskandal geht es um Autos, bei denen eine illegale Abschalteinrichtung dafür sorgt, dass sie auf dem Prüfstand viel weniger Stickoxid ausstoßen als auf der Straße. Stickoxid ist nicht irgendein Abgas, sondern nachweislich gesundheitsgefährdend für Menschen – vor allem für Kinder und für Kranke – und schädlich für die Umwelt.

Obwohl der VW-Konzern dazu gezwungen wurde, weltweit elf Millionen Fahrzeuge zurückzurufen, war die zu erwartende Senkung der Stickoxidemissionen auf der Straße nie ein Thema. Weder bei der deutschen Behörde (Kraftfahrt-Bundesamt) noch beim deutschen Verkehrsminister und schon gar nicht bei VW. Es war nur davon die Rede, die illegale Software zu entfernen, und zwar so, dass die Autos nachher ungefähr gleich viel Sprit verbrauchen (und CO2 emittieren) – bei unveränderter Motorleistung und Geräuschen. Nie wurde offengelegt, ob und um wie viel der Stickoxidausstoß auf der Straße durch den Rückruf gesenkt wird.

So ist es mir als Betroffener erst nach monatelangen Bemühungen gelungen zu erfahren, dass mein VW Tiguan auf der Straße bis zum Vierfachen dessen ausstößt, was der gesetzliche Grenzwert an Stickoxiden erlaubt: also bis zu 720 Milligramm pro Kilometer (mg/km) statt 180 mg/km. (Dass in meinem Zulassungspapier 119,8 mg/km stehen, ein Drittel weniger als der Grenzwert, ist ein Betrug, der niemanden interessiert.)

Widersprüchliche Testergebnisse

Bis heute konnte und wollte mir niemand sagen, ob und um wie viel die Stickoxidemissionen nach dem Rückruf in die Werkstätte (Update) sinken. Einzelne Testergebnisse sind sehr widersprüchlich, und bei manchen Fahrzeugen gibt es nach dem Update plötzlich Probleme, die es vorher nie gegeben hat. Solange ich das nicht weiß und VW für etwaige Probleme nicht geradesteht, fahre ich auch nicht in die Werkstätte.

Auch beim Daimler-Mercedes-Skandal geht es um Stickoxid, aber um andere Versionen von Abschalteinrichtungen. Eine Variante sind die "Thermofenster": Dabei wird das Abgasrückführungssystem auf der Straße bei niedrigeren Außentemperaturen abgeschaltet, sodass die Stickoxide ungehindert in die Luft geschleudert werden.

Laut schwammigen EU-Gesetzen ist so ein zeitweises Abschalten zum Schutze der Motorbauteile auch erlaubt. Aber nur ausnahmsweise. Daimler hat – ebenso wie andere, nicht nur deutsche Hersteller – die Ausnahme zur Regel gemacht. In unseren Breitengraden wurden Stickoxide auf diese Weise von Herbst bis Sommer munter in die Umwelt gepfeffert.

Sauber durch Harnstoff

Eine neue Facette von Abschalteinrichtungen ist jetzt bei den ganz modernen und angeblich sauberen Autos der Abgasklasse Euro sechs aufgeflogen, die seit 2016 verkauft wurden. Diese Fahrzeuge, die ja viel strengere Grenzwerte für Stickoxide einhalten müssen, haben ein zusätzliches Abgasreinigungssystem eingebaut, das aus drei Teilen besteht und durch Einspritzen von Harnstoff für echt saubere Motoren sorgt.

Daimler hat aber die Einspritzung dieses Harnstoffes offenbar künstlich reduziert, damit die Fahrer nicht so oft den Harnstofftank nachfüllen müssen. Dasselbe hat der VW-Konzern in den USA bei seinen großen Autos auch praktiziert. Ganz schön widersinnig: Aus reinen Marketinggründen wurde ein an und für sich funktionstüchtiges Reinigungssystem im Echtbetrieb außer Kraft gesetzt, das man eigens entwickelt, eingebaut und massiv beworben hatte!

Was passiert beim Update?

Die zentrale Forderung aus Umwelt- und Konsumentensicht: Schluss mit der Geheimniskrämerei! Volle Transparenz, Offenlegung der Software und hieb- und stichfeste Garantien für die Verbraucher! Was genau wird bei all diesen Rückrufen geändert, was passiert beim Update im Auto? Wie viel Stickoxidemissionen werden wirklich eingespart?

Hinzu kommt: Solche Upgrades müssen auf Kosten jener erfolgen, die betrogen und zugeschaut haben. Autohersteller und Regierungen sollen für eine reibungslose Wiedergutmachung sorgen. Schließlich vermeiden sie dadurch massive Strafzahlungen wegen der Verletzung von Umweltgesetzen. (Lydia Ninz, 30.7.2017)