Regierungsgegner auf den Straßen von Caracas am Sonntag.

Foto: APA/AFP/JUAN BARRETO

Venezuela befindet sich schon seit Jahren in der Krise.

Foto: APA

Caracas – Bei Auseinandersetzungen um die Wahl einer verfassunggebenden Versammlung in Venezuela sind am Sonntag laut Oppositionsführer Henrique Capriles mindestens 15 Menschen getötet worden. Es gab bürgerkriegsähnliche Zustände in vielen Städten – Schüsse, Tränengaswolken und Schlägerbanden, die auf Motorrädern Schrecken verbreiteten. Auch die Polizei wurde angegriffen. Ein Kandidat der Sozialisten wurde im Bundesstaat Bolívar von Unbekannten erschossen.

In der Hauptstadt Caracas wurden mindestens sieben Nationalgardisten bei einem Anschlag verletzt, den vermutlich Gegner des sozialistischen Präsidenten Nicolás Maduro verübt hatten. Dabei war im Viertel Altamira, wo die Ober- und Mittelschicht wohnt, ein großer Feuerball zu sehen.

Bürgermeister von Caracas dementiert Tote

Caracas' Bürgermeisters Jorge Rodríguez bezeichnete Berichte über gewaltsame Todesfälle während der Wahl als komplett erfunden. Obwohl die Generalstaatsanwaltschaft zunächst acht Tote bestätigt hatte, sagte der Sozialist: "Das ist eine Lüge. (...) Es gab nicht einen Toten im Zusammenhang mit dem heutigen Wahlereignis."

Die Opposition hatte die Wahl boykottiert, da die geplante Zusammensetzung von Maduro so geplant worden war, dass die Sozialisten eine Mehrheit haben werden. Befürchtet wird, dass die Verfassungsversammlung, die spätestens am Mittwoch ihre Arbeit aufnehmen soll, einfach das Parlament, in dem die Opposition eine Mehrheit hat, ersetzen soll. Dann wäre Venezuela de facto eine Diktatur ohne Gewaltenteilung.

Kritik an Maduro in sozialen Netzwerken

Maduro wertete die Abstimmung als Erfolg. "Wir haben eine verfassunggebende Versammlung", sagte er in der Nacht auf Montag vor hunderten Anhängern in Caracas. Es sei die "größte Abstimmung für die Revolution".

Für Empörung in sozialen Netzwerken sorgte, dass Maduro bei der Frage nach den Toten lachte. Er sprach von einer Wahl des Friedens, laut Regierung verlief sie völlig ruhig.

Weitere Proteste für Montag angekündigt

Die Opposition rief für Montag zu neuen Protesten gegen die verfassunggebende Versammlung auf. "Wir erkennen diesen betrügerischen Prozess nicht an, für uns ist er nichtig, er existiert nicht", sagte Oppositionsführer Capriles. Er rief für Montag und Mittwoch zu einem Protestmarsch und Kundgebungen gegen das "Massaker" und den "Betrug" auf.

Die Opposition läuft seit Wochen Sturm gegen das Projekt, konnte Maduro mit ihren Massenprotesten und zwei Generalstreiks aber nicht zum Einlenken bewegen. Bei Protesten kamen bisher mehr als 120 Menschen ums Leben.

USA verurteilen Wahl als Betrug

Die argentinische Regierung von Präsident Mauricio Macri nannte die Wahl "illegal". Auch Peru, Chile, Brasilien und Kolumbien werden die Wahl nicht anerkennen.

Die USA bezeichneten die Wahl als Betrug und erwägen weitere Sanktionen auch gegen den Ölsektor des Landes. Die amerikanische UN-Botschafterin Nikki Haley sprach am Sonntag von "einem Schritt in Richtung Diktatur". Die US-Regierung werde das Ergebnis nicht anerkennen.

Möglicherweise bereits am Montag sollten weitere Sanktionen verkündet werden, erfuhr die Nachrichtenagentur Reuters aus US-Regierungskreisen. Es sollen zwar keine venezolanischen Öllieferungen in die USA verboten werden, hieß es, möglich sei aber, dass der Verkauf leichteren Rohöls aus den USA nach Venezuela gestoppt werde. Venezuela mischt dieses mit eigenem schwerem Rohöl für den Export.

EU-Kommission zeigt sich besorgt

Auch die EU hat sich tief besorgt über die gewalttätige Protestwelle in Venezuela gezeigt. Die Kommission rief zur Abkehr von Gewalt auf. Der Präsident des Europaparlaments, Antonio Tajani, sprach nach der umstrittenen Wahl von einem traurigen Tag für die Demokratie in Venezuela und der Gefahr einer Verwüstung des Landes.

Ein Kommissionssprecher erklärte am Montag, die Regierung Venezuelas trage die Verantwortung für die Einhaltung der Gesetze und der Grundrechte, ebenso wie für die Meinungsfreiheit und das Recht auf friedliche Demonstrationen. Das südamerikanische Land habe legitime Institutionen, um zusammenzuarbeiten und auf dem Verhandlungsweg eine Lösung der gegenwärtigen Krise zu finden.

Die Pläne zur Schaffung einer neuen Verfassung seien aber nicht Teil der Lösung. Sie hätten zu wachsender Spannungen und Spaltungen geführt und könnten die demokratisch gewählten Institutionen Venezuelas delegitimieren. Es dürfe keine "Parallel-Institutionen" geben, betonte der Sprecher. Das Schicksal der Demokratie in Venezuela löse Sorge in den anderen Staaten der Region aus.

Uneinigkeit über Wahlbeteiligung

Nach Angaben der nationalen Wahlbehörde haben 8,1 Millionen Menschen an der umstrittenen Wahl beteiligt. Das entspreche einer Beteiligung von 41,53 Prozent, sagte die Präsidentin der Wahlbehörde, Tibisay Lucena, Montagfrüh.

Die Opposition sprach von einem Wahlbetrug, da diese Zahl viel höher sei, als es den Tatsachen entspreche. Laut Augenzeugenberichten war die Beteiligung gering. Dennoch hatte die Regierung die Öffnungszeiten der Wahllokale um eine Stunde verlängert. (red, APA, 31.7.2017)