Meerforellen können bis zu einem Meter lang werden und rund zwölf Kilogramm wiegen. Im Geschmack erinnern die fische an Lachse.

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Die Steilküste am Großklützhöved an einem sonnigen Tag. Die Ostsee kann hier aber auch deutlich rauer sein.

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Wer vom Sonnenaufgang bis zum -untergang bei Boltenhagen in der Ostsee steht, ist vermutlich zum Fischen von Meerforellen gekommen. Die Tiere sind äußerst schwer zu fangen.

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Die Steine sind tückisch. Ihre Oberfläche ist von einer grünbraunen Algenschicht überzogen, glitschiger geht es kaum. Mit dicken Profilsohlen lässt sich die Rutschgefahr weitgehend bannen. Eine Wathose bietet weitere Vorteile: Die Ostsee ist ein eher kaltes Gewässer. Nur im Hochsommer erreicht ihre Temperatur Werte jenseits der 20-°C-Marke, und sogar dann sollte man nicht stundenlang mit nackten Beinen darin herumstehen. Die Suche nach Salmo trutta trutta erfordert aber genau das. Wer eine Meerforelle fangen will, braucht Zeit. Ohne Geduld hat man kaum eine Chance.

Der Tag hat gut angefangen. Über Nacht sind die Wolkenfelder abgezogen, der Himmel strahlt in glattem Blau. Ein leichter Ostwind rauscht durch die Baumkronen. Die Steilküste am Großklützhöved bei Boltenhagen liegt noch verlassen unter der Morgensonne. Das ganze Ufer ist von Geröll übersät – ein Erbe der letzten Eiszeit, als Gletscher Gestein aus Skandinavien gen Süden schoben. Für Badegäste ist der Strand deshalb uninteressant, Angler dagegen kommen gerne hierher. Nur der silbernen Raubfische wegen.

Ein Leben wie ein Lachs

Die Meerforelle ist ein faszinierendes Geschöpf. Sowohl äußerlich wie auch in ihrer Lebensweise ähnelt sie stark dem Lachs. Ihre ersten Lebensjahre verbringen die Tiere in den Bächen und kleinen Flüssen, wo sie geboren wurden. Danach zieht es sie in die Ferne. Im Meer lockt ein viel größeres Nahrungsangebot. In der Ostsee besteht dieses nicht nur aus Kleinkrebsen, sondern auch aus Heringen und anderen Fischarten. Die abgewanderten Forellen wachsen schnell und können bis zu einem Meter lang werden, bei einem Gewicht von mehr als zwölf Kilo. Solche Brocken sind natürlich selten, aber auch ein durchschnittliches Exemplar mit etwa 50 Zentimeter Länge ist schon ein prächtiger Fang. Vom Geschmack ist die Meerforelle dem Lachs ebenfalls ebenbürtig. Kein Wunder also, dass sie unter Anglern eine wachsende Fangemeinde hat.

Geduld und Können

Noch vor dreißig Jahren sah es nicht gut aus für Salmo trutta trutta. Viele ihrer Heimatflüsse waren verschmutzt, die Laichplätze verschlammt oder durch Baumaßnahmen zerstört. Dämme versperrten den Fischen den Weg zurück in ihre Kinderstuben. Die Folge: Meerforellen wurden rar. Die an den deutschen Küsten auftauchenden Tiere stammten meistens aus Schweden oder Dänemark. Inzwischen hat sich das Blatt gewendet. Zahlreiche Bäche wurden saniert und Wehre mit Fischtreppen ausgestattet. Wiederansiedlungsprojekte hatten Erfolg. Früher nannten Angler die Meerforelle den "Fisch der tausend Würfe". So oft musste man angeblich den Köder auswerfen, bis einer anbiss. Die Zeiten sind vorbei, aber Geduld und Können braucht es nach wie vor.

Zurück ans Wasser. Boltenhagen ist ein beliebtes Seebad mit einem schönen Sandstrand direkt vor der Tür. Ideal für Familienurlaube, wenn das Wetter mitspielt. Nordwestlich des Ortes ist die Landschaft deutlich rauer. Die Steilküste erstreckt sich vom Kap Großklützhöved über knapp 20 Kilometer bis kurz vor Travemünde – ein echtes Naturparadies. Nur wenige Pfade führen die Kliffe hinunter bis ans Wasser. Die Brandung ist relativ stark. Sie wirbelt den Boden auf und trübt so das Wasser. Die Köderwahl muss entsprechend ausfallen. An die Spinnrute kommt ein schlanker, silberner Blinker. Das Metallteil soll einen kleinen Hering imitieren und – hoffentlich – eine Meerforelle zum Anbeißen verleiten.

Weitwurf mit dem Blinker

Man watet zwischen zwei Findlingen hindurch und findet festen Stand auf einer Minisandbank. Der erste Wurf. Der Blinker fliegt gut fünfzig Meter weit, bis er deutlich sichtbar in die Wellen klatscht. Er darf nicht lange absinken, sonst bleibt er leicht zwischen Tang und Steinen stecken. Die Forellen mögen solche Obstakel. Allerlei Getier lebt darauf, die Raubfische finden dort einen reich gedeckten Tisch vor.

Mecklenburg-Vorpommern ist gewissermaßen Europas heimliches Angelparadies. Viele Fischer pilgern zum Hechtfang nach Irland oder zum Meeresfischen an Norwegens Fjorde, doch Deutschlands Nordosten kennen erstaunlich wenige. Zu Unrecht. Das Land verfügt über eine schier unend liche Vielfalt an fischreichen Gewässern. Angelscheine kosten nicht viel und sind auch für Touristen leicht zu bekommen. Besonders anziehend ist allerdings die noch weitgehend intakte Natur. Ganze Landstriche sind nur spärlich besiedelt. Nicht selten kann man den ganzen Tag draußen verbringen, ohne einem Menschen zu begegnen.

Silberner Leib in der Sonne

Die Sonne steht schon tiefer, und noch immer ist nichts passiert. Wie viele Würfe dürften es mittlerweile wohl sein? Plötzlich bleibt der Köder an etwas hängen. Eingeklemmt. Oder nein, doch nicht. Die Rute biegt sich ruckartig. Fisch! Das Tier zerrt wild an der Leine. Man hat es kaum noch zu glauben gewagt, aber es gibt sie tatsächlich. Jetzt bloß keinen Fehler machen. Sekunden später schießt die Meerforelle mit einem atemberaubenden Sprung aus dem Wasser. Ihr silberner Leib glänzt kurz in der Sonne. Sie schüttelt den Kopf, und der Gummifisch fliegt in einem eleganten Bogen aus ihrem Maul. Weg.

Es ist Zeit zum Aufbruch. Die letzten Wanderer sind in ihre Pensionen zurückgekehrt, am Himmel dämmert es bereits. Den Rückweg über den steilen Pfad möchte man nicht im Dunkeln antreten, die Taschenlampe liegt im Auto. Der Wind hat sich derweil gelegt. Auf einem Felsblock im Wasser steht ein Graureiher und hält Ausschau nach Futter. Irgendwo da draußen schwimmt sie, die Entkommene. Ob Fische lachen können? (Kurt de Swaaf, 31.7.2017)