Bild: TheHunter: Call of the Wild
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Die Laubbäume wiegen sich sanft im Wind, die Abendsonne taucht den Wald in oranges Licht. Bis auf die Vogelstimmen ist es völlig ruhig, und auch ich bemühe mich um absolute Geräuschlosigkeit, während ich mich langsam im Unterholz vorantaste. Am Rand der Lichtung angekommen, zücke ich den Feldstecher. Tatsächlich: Weit vor mir, gut getarnt, steht das Reh, dessen Fährte ich jetzt seit einer Viertelstunde verfolgt habe. Ich nehme mein Gewehr zur Hand, ein Blick durchs Zielfernrohr, die Luft angehalten und – der Schuss kracht ohrenbetäubend, ein Treffer, doch das Reh ist nur verwundet und hetzt panisch davon.

Mit einem Seufzen packe ich das Gewehr weg und nehme wieder die Spurensuche auf – immer den kleinen Blutflecken nach. Einige Minuten später finde ich das Tier, es ist unter einem Baum zusammengebrochen. Ein Klick, und der Kadaver verschwindet. Der schlampige Abschuss bringt zwar ein wenig Geld, doch für bessere Punktewertung muss ich mich wohl noch im Zielen üben – oder größere Beute aufspüren.

Das digitale Jagdrevier

Willkommen in "The Hunter: Call of the Wild" (Windows, 29,99 Euro). Das im Frühjahr veröffentlichte Spiel des schwedischen Entwicklers Expansive Worlds, das unter dem Dach von Avalanche Studios vertrieben wird, ist eine Open-World-Jagdsimulation, in der Spielerinnen und Spieler allein oder in Begleitung in virtuellen Wäldern in Europa und Nordamerika auf die Pirsch nach zwölf verschiedenen großen Beutetieren gehen können, darunter Hirsche, Elche und mächtige Wisente.

"The Hunter: Call of the Wild" bietet über 120 Quadratkilometer Spielfläche und rühmt sich, das "ultimative Jagderlebnis" am Computer zu bieten – den größten Anspruch an Realismus stellt allerdings der Vorgänger, der unter dem Namen "The Hunter Classic" in acht Jahren über sieben Millionen Spielerinnen und Spieler in 190 Ländern gefunden hat. Der Titel ist kostenlos per Steam verfügbar und finanziert sich durch Verkauf von DLC.

Tiere töten – auch digital kontrovers

Wenn in Computerspielen auf Tiere geschossen wird, sind heiße Diskussionen vorprogrammiert. Auch in einem Medium, in dem der gewaltsame Kampf gegen virtuelle Menschen allgegenwärtig ist, bleibt das Töten simulierter Tiere zumindest für manche ein Skandal – die Kampagnen der Aktivisten von PETA gegen die "Far Cry"-Reihe, "Battlefield 3" oder "Assassin’s Creed 4" sind Spielerinnen und Spielern noch im Gedächtnis. Dass die Tierwelt quasi von Anbeginn der Spielegeschichte zur Standardgegnerschaft in Computerspielen gehört, ist für die Kritiker dabei weniger das Problem, denn es geht nicht um den Schutz "digitaler Lebewesen", sondern um die Glorifizierung einer real blutigen und, im Fall der Trophäenjagd, kaum rational rechtfertigbaren Jagdkultur.

In Spielen wie jenen der "Cabela Big Game"-Reihe werden etwa auch Löwen oder andere vom Aussterben bedrohte Tierarten actionreich erlegt – das macht de facto die weltweit gefährdete Arten ausrottenden Wilderer zu Spielehelden und inszeniert das Erschießen exotischen Großwilds unkritisch als spektakuläres Abenteuer. In einem Medium, mit dem man seine Jagdlust technisch genauso gut mit der Jagd auf Fantasiemonster stillen könnte, ist das ein legitimer Einwand.

Trailer zu "TheHunter: Call of the Wild"
Expansive Worlds

Real im Wald

Für Jagdsimulationen ist dieses Ausweichen auf Fantasie-Reviere und -Wild allerdings kein Thema, denn Realismus ist der Dreh- und Angelpunkt der kleinen Nische, in der sich neben "The Hunter" seit kurzem auch das belgische Studio Neopica mit seinem Spiel "Hunting Simulator" (Windows, PS4, Xbox One, 34,99 Euro) einen Namen machen will.

Bei Jagdsimulationen geht es im Gegensatz zu anderen Spielen, in denen man der Tierwelt mit einer Waffe gegenübertritt, nicht um Action oder darum, möglichst schnell möglichst viele Tiere abzuknallen. "Jagdsimulationen, so wie wir sie machen, sind eigentlich ziemlich langsam, fast meditativ", sagt Alena Rybik, Produzentin bei Avalanche. "Wie bei der echten Jagd braucht man im Spiel Geduld und einen kühlen Kopf. Der Reiz liegt darin, ein Tier aufzuspüren, es vorsichtig im Wald zu verfolgen – das kann schon mal länger dauern – und schlussendlich möglichst perfekt zum Schuss zu kommen."

Um das Spielerlebnis möglichst realistisch zu gestalten, konsultieren die Spielemacher nicht nur echte Jäger, sondern ziehen auch Biologen und andere Experten hinzu. Im Fall von "The Hunter Classic" geht dieser Realismus sogar so weit, das komplexe Scoring-System großer Jagd- und Naturvereine wie des Boone & Crockett Club oder des International Council for Game and Wildlife Conservation CIC im Spiel abzubilden und für die Gestaltung der Jagdwaffen mit realen Waffenherstellern wie Blaser oder Anschütz zusammenzuarbeiten.

Trailer zu "Hunting Simulator"
Bigben Games

"Ethische Jagd"

Eine besondere Herausforderung ist dabei die Entwicklung der KI der Tiere, die besonders "natürlich" und lebensnah ausfallen muss – vor allem, weil die Spielerinnen und Spieler ihre Beute für ein Spiel unüblich lange beobachten. Karin Skoog, die an der Entwicklung dieser KI federführend beteiligt war, führt die faszinierende Aufgabe in einem detaillierten Blog-Post genauer aus.

Dass sich die virtuellen Tiere in "The Hunter: Call of the Wild" so lebensnah wie möglich verhalten, macht die Jagd auf sie aber für manche Kritiker noch problematischer. Wenn einer der Entwickler im "Behind the Scenes"-Trailer zu "Call of the Wild" zuerst begeistert von der täuschend echten Tierwelt schwärmt und dann vom "magischen Moment" spricht, in dem man das Gewehr anlegt und schießt, stellt sich fast automatisch die Frage, warum dieses Naturerlebnis ausgerechnet durch das Auslöschen eines – wenn auch nur virtuellen – Lebens bereichert wird. Dem oben erwähnten Vorwurf, schlicht das Töten von Tieren zu glorifizieren, müssen sich auch Jagdsimulationen stellen.

"Wenn diese Kritik kommt, antworten wird, dass wir mit unseren Spielen ausschließlich eine ethisch vertretbare, verantwortungsvolle Form der Jagd darstellen wollen. Jede Designentscheidung wird unter diesem Gesichtspunkt gefällt", so Alena Rybik. "Wir bemühen uns, die Tiere und die Jagd auf sie respektvoll darzustellen, etwa indem wir ausschließlich reale Jagdwaffen und passende Munition zur Verfügung stellen. Von der Jagd auf gefährdete Tiere oder Features, die uns unethisch erscheinen, wie etwa Waffen mit Schalldämpfern, automatische Waffen oder Köder, nehmen wir auch dann Abstand, wenn die Community sie fordern würde. Zum Glück haben wir aber eine sehr reife Spielerschaft, die unseren ethischen Zugang unterstützt."

"Behind the Scenes"-Trailer zu "Call of the Wild"
Expansive Worlds

Jagdspiele als Jagdersatz

Diese Spielerschaft legt wohl auch deshalb Wert auf realistische Darstellung, weil sie zu einem großen Teil aus echten Jägern besteht, wie Rybik bestätigt. "Zu Beginn bestand das Publikum von ‘The Hunter Classic’ sogar fast ausschließlich aus echten Jägern, inzwischen ist der Anteil wohl auf unter zwei Drittel gesunken", sagt sie. "Viele Jäger spielen unser Spiel, weil sie außerhalb der Saison zumindest virtuell auf die Pirsch gehen wollen, oder aus anderen Gründen nicht mehr jagen können." Es sind diese echten Jäger in der Community, die am vehementesten auf größtmöglichem Realismus bestehen; den Spielerinnen und Spielern, die "theHunter" ohne diesen Anspruch spielen, kommt Avalanche auch mit "Call of the Wild" entgegen, das sich etwas mehr an ein "normales" Spielepublikum richtet.

"Es ist der ewige Kampf in unserer Community: Was ist wichtiger – Spaß oder Realismus?", so Rybik. "Unsere Herausforderung ist es, eine Balance zu finden. Der Realismusaspekt macht die ‘The Hunter’-Spiele einzigartig und attraktiv für unsere Spieler, aber die in der Realität stunden- oder oft tagelange Jagd auf ein Tier würde wohl nur ein paar Puristen Spaß machen und den Rest abschrecken." Die meisten Spieler, sagt Rybik, schätzen am Genre die Immersion in eine simulierte Natur – die spielmechanischen Aspekte, wie Highscores, Missionen oder Wettbewerb, kommen an zweiter Stelle.

Das mag auch der Grund sein, warum die kleine Nische der Jagdsimulationen bisher von großen, öffentlichen Kontroversen oder Kampagnen vonseiten prominenter Tierschützer verschont geblieben ist: Zum Ausleben unkomplizierter, actionreicher Safarifantasien sind diese Spiele allein wegen ihrer Langsamkeit nicht geeignet. Und außerdem: Zum Betätigen des Abzugs ist niemand in "The Hunter", im "Hunting Simulator" oder in den anderen Spielen dieser speziellen Nische gezwungen. Alternativ kann man auch einfach staunend durch die fast fotorealistische Wildnis wandern – und sich am virtuellen Leben in den Wäldern erfreuen. (Rainer Sigl, 6.8.2017)