Berichtet über die sexuelle Ausbeutung von Flüchtlingen: das Magazin "Biber"

Foto: Biber Magazin

Es gibt also ein Problem. Das mit Migration und Sexualität zu tun hat. Das ist nicht neu. Seit Jahrzehnten hören wir von Problemen mit Migranten und Geflüchteten und viele dieser Probleme kommen angeblich aus ihrem Verhältnis zu Frauen, das sich aus kulturellen Unterschieden und der sexuellen Hyperaktivität von Migranten erklärt. Wobei mit kulturellen Unterschieden die Unterschiede zu "unserer Kultur" gemeint sind – die Zuschreibungen zu Männern vom Balkan in den 1990er Jahren und solchen aus dem Maghreb heutzutage sind austauschbar.

Aber jetzt gibt es auch ein Problem mit Europäerinnen. Das ist neu. Normalerweise haben Europäerinnen ein Problem – und zwar mit Migranten. Die sie – im Unterschied zu "unseren" angeblich durchwegs gendergeschulten Männern – nicht gleichberechtigt behandeln und sexuell belästigen.

Debatte aus Versatzstücken

Der letzte große Skandal in Bezug auf das Verhalten männlicher Migranten fand in Köln zu Silvester 2015 statt, als zahlreiche Belästigungen junger Frauen durch "ausländische" Männer angezeigt und polizeilich verfolgt wurden. Das führte zu einer Debatte mit den üblichen Versatzstücken von Schutz der eigenen Kultur, Grenzschließung, Ausweisung et cetera.

Und nun gibt es also in Österreich und darüber hinaus eine breite Mediendebatte über einen Skandal, der in einem Artikel in der Zeitschrift "Biber" aufgedeckt wurde: Ältere österreichische Frauen nützen die rechtliche und/oder ökonomische Notlage von jüngeren geflüchteten Männern aus, um sie in eine Beziehung und/oder zu sexuellen Dienstleistungen zu zwingen.

Es geht hier nicht um die Frage, ob beide Debatten auf Tatsachen beruhen; davon gehe ich ebenso aus, wie davon, dass diese Tatsachen quantitativ überschätzt werden. Es geht auch nicht um die Frage, ob beide Phänomene problematisch sind; ich halte sie für hochproblematisch.

Welches politische Kapital wird gewonnen?

Es geht darum, was hier wie, mit welchen Vorannahmen und welchen Konsequenzen erzählt wird. Wir sprechen also einerseits von sexueller Belästigung von jungen europäischen Frauen durch junge migrantische Männer und andererseits von sexueller Ausbeutung junger geflüchteter Männer durch ältere europäische Frauen. Auf den ersten Blick zwei geradezu spiegelbildlich gegensätzliche Geschichten, die allerdings einige Gemeinsamkeiten haben.

Offensichtlich ist das politische Kapital, das aus beiden Ereignissen gezogen werden kann. Wussten wir nach Köln 2015, dass Geflüchtete böse sind, so wissen wir jetzt, dass auch diejenigen böse sind, die Geflüchtete unterstützen. Das ist neu in der Debatte – bisher bestand die zweite Gruppe aus naiven Gutmenschen.

Es wird Angst geschürt

Dabei handelt es sich jeweils um "migrantische" Männer und "einheimische" Frauen. Wobei der Ordnung halber hinzuzufügen ist, dass auch Migrantinnen negativ im Diskurs vorkommen, etwa wenn sie Körperteile verdecken, die von "unseren" Frauen nicht bedeckt werden. Nur weiße Männer scheinen keine Probleme zu machen – was in Bezug auf das Thema sexuelle Ausbeutung tatsächlich ein interessanter Befund wäre. Aber diese Ausbeutung – soweit sie nicht gewerblich, sondern individuell stattfindet – bezieht sich im Regelfall nicht auf Geflüchtete und ist daher für die politische Agenda, um die es gerade geht, nicht recht brauchbar.

Denn es geht hier in erster Linie um Flucht und Migration, um die angeblich unvermeidlichen Probleme, die Immigration jeglicher Art mit sich bringt, und die Notwendigkeit, diese daher zu verhindern. Dafür sind alle Mittel recht und eines der besten Mittel ist immer noch, Angst zu schüren. Sexualität und Paarbeziehungen eignen sich dafür gut, geht es hier doch um das ganz Individuelle, um den eigenen Körper und das eigene Begehren, um das, was uns zu einzigartigen, unverwechselbaren Personen macht und deshalb mit allen Mitteln geschützt werden muss.

Allerdings sind wir gerade in unseren Vorstellungen von Partnerschaft und Sexualität stark von Gesellschaft und Tradition geprägt und setzen diese Vorstellungen als gesellschaftlichen Maßstab an. So dass gewisse Formen der Anmache in Ordnung sind und andere nicht. So dass ältere Männer Partnerschaften mit jüngeren Frauen haben können, aber nicht umgekehrt. So dass sexuelles Begehren von älteren Frauen insgesamt etwas eher Anrüchiges hat.

Schuldzuweisung statt Bekämpfung struktureller Ursachen

Was hier – wieder einmal und ganz im Einklang mit dem neoliberalen Paradigma der Eigenverantwortung – völlig ausgeblendet bleibt, sind die strukturellen Ursachen individuellen Verhaltens. Die auf der Hand liegen: Asylwerber wie auch viele Migranten leben rechtlich und ökonomisch höchst prekäre Leben und werden in extreme Lebensumstände gezwungen. Der Historiker Massimo Perinelli hat dies in Bezug auf die Kölner Silvesternacht ausgeführt: Einerseits sind Männerbünde stets für Frauen (und auch für Männer, die dem Bund nicht angehören) gefährlich – und viele Asylwerber leben in erzwungenen Männerbünden in Asylheimen. Und andererseits verhindern die Lebensbedingungen dieser Männer die meisten Formen gesellschaftlich akzeptierter Anmache – auf einen Drink einladen, gemeinsam nach Hause gehen ...

Bei den Beziehungen zwischen europäischen Frauen und geflüchteten Männern ist der Zusammenhang noch offensichtlicher – jegliche Form von Ausbeutung und Zwang wäre unmöglich, wenn Geflüchteten akzeptable Lebensumstände geboten würden.

Selbstverständlich gibt es auch den Aspekt der persönlichen Verantwortung, die besonders ernst genommen werden muss, wenn Durchsetzungschancen zwischen handelnden Personen extrem ungleich verteilt sind – weil die einen, insbesondere in der Gruppe, körperlich überlegen sind, oder weil die anderen alle rechtlichen und ökonomischen Trümpfe in der Hand haben. Aber dahinter stehen die strukturellen Ursachen dieser Ungleichverteilung – und denen war mit Moralisierung noch nie beizukommen. (Monika Mokre, 1.8.2017)