Maria Anna von Innerösterreich (1551 bis 1608), hier auf einem Gemälde von Bartolomé González y Serrano, übte durch ihre zahlreichen Kontakte großen Einfluss auf Politik und Familie aus. Die Rolle der Frauen im "System Hof" wurde lange unterschätzt.

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Wien – Als ihr Gatte 1590 stirbt, ist sie 39 Jahre alt und erwartet ihr 15. Kind. Die adelige Verwandtschaft will ihr sogleich einen männlichen Vormund für die Halbwaisen aufdrängen. Diese Verantwortung überlässt man im Hause Habsburg nämlich nur ungern einer Frau – auch wenn es sich um die Witwe Erzherzog Karls II. von Innerösterreich-Steiermark handelt. Aber Maria hat sich weder aus der Erziehung ihrer Kinder noch aus der Politik herausgehalten und beeinflusste auch als Witwe noch die Geschicke Innerösterreichs: nun eben nicht mehr im Zusammenspiel mit ihrem Mann, sondern vor allem mit ihrem ältesten Sohn, dem späteren Kaiser Ferdinand II.

Briefe als historische Quelle

Obwohl die Rolle der Frauen in der höfischen Welt bislang wenig erforscht wurde, weiß man über die Erzherzogin Maria von Innerösterreich erstaunlich viel: dass sie zum Beispiel nicht nur eine große Musikliebhaberin war, sondern auch eine sehr erfolgreiche Netzwerkerin. So hat sie alle ihre Töchter strategisch gut verheiratet und mit ihrer neuen Verwandtschaft – darunter die Könige von Polen und Spanien – enge politische Verbindungen zugunsten ihres Sohnes Ferdinand geknüpft.

Das meiste, was man heute über das Leben und Wirken dieser einflussreichen Frau weiß, wurde von der Historikerin Katrin Keller durch aufwendige Quellenarbeit zutage gefördert. "Da Nachlässe von Frauen auch in den großen Adelsfamilien nicht sehr wertgeschätzt wurden, ist die Quellenlage bei ihnen allerdings viel schlechter als bei ihren männlichen Verwandten", sagt die neue Direktorin des Instituts für Neuzeit- und Zeitgeschichtsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Deshalb sind es auch weniger die offiziellen Akten, aus denen man etwas über die politische Einflussnahme von Frauen erfährt, sondern vor allem deren Korrespondenzen. Rund 25.000 Briefe sind etwa allein von der Kurfürstin Anna von Sachsen erhalten, zu der Katrin Keller während ihrer Jahre an der Universität Leipzig geforscht hat. "Diese Frau stand mit zahllosen Fürstinnen und Adeligen im gesamten Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation in Kontakt", berichtet die Wissenschafterin. Beim Durchforsten dieser historischen Fundgrube stieß sie auch auf Briefe von und an Maria von Innerösterreich. Als Katrin Keller dann von Leipzig an die Universität Wien wechselte, verlagerte sich ihr Forschungsinteresse vom Dresdner Hof auf die Habsburger.

Die vergessenen Kaiserinnen

"Mich hat bei allen Themen, zu denen ich gearbeitet habe, insbesondere auch die Rolle der Frauen interessiert", sagt Keller. Da Herrschaft in der Frühen Neuzeit über das "System Hof" ausgeübt wurde, spielten die Fürstenhöfe bis ins 19. Jahrhundert eine wichtige politische Rolle. "Dort konnten auch die Frauen auf Herrschaftsmechanismen zugreifen", sagt die Historikerin. "Oft waren sie begnadete Netzwerkerinnen und hatten mitunter großen Einfluss auf die Geschicke ihrer Herkunftsfamilien und ihrer Kinder." Dieser Einfluss wurde in der Geschichtsforschung lange nicht berücksichtigt – nicht zuletzt auch deshalb, weil die Quellen oft sehr schwer zu finden sind.

Aus den Briefen Marias von Innerösterreich konnte Katrin Keller eruieren, wie "weibliche" Politik damals gemacht wurde. So gibt ihre Korrespondenz etwa Aufschluss über Marias starken Einfluss auf das Vorgehen Ferdinands II. gegen die innerösterreichischen Protestanten. Auch die politischen Vorteile, die sie ihrem Sohn als dessen Vertraute und Beraterin durch ihre Kontakte verschaffen konnte, sind in den Briefen dokumentiert.

Rekonstruierte Rollen

In einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt befassen sich Keller und ihre Mitarbeiter mit den habsburgischen Kaiserinnen der Neuzeit. Dass den meisten Österreichern dazu außer Maria Theresia und "Sisi" meist niemand mehr einfällt, überrascht die Historikerin nicht: "Bislang hat sich die Forschung kaum mit den vielen Frauen beschäftigt, die seit dem Mittelalter diesen Titel trugen."

Kellers Interesse gilt sozusagen dem "Normalfall" einer Kaiserin – jenen Frauen also, die mit einem Kaiser verheiratet waren und von denen die Nachwelt meist nicht einmal mehr die Namen kennt. "Ich möchte herausfinden, welche Bedeutung diese Frauen für das Reich hatten, selbst wenn ihnen offiziell keine großen Rechte oder Herrschaftsbefugnisse zugestanden wurden."

Die Quellensuche ist auch bei diesem Forschungsvorhaben eine zeitintensive Angelegenheit, immerhin müssen Archive in Wien, München, Dresden, Köln, Marburg, Wolfenbüttel etc. nach entsprechenden Dokumenten durchforstet werden. "Darauf aufbauend wollen wir das Bild der jeweiligen Kaiserin rekonstruieren, das von Juristen und Staatswissenschaftern, von Beamten und Diplomaten sowie in der Berichterstattung über ihre großen zeremoniellen Auftritte im Reich gezeichnet wurde."

Hofzeremoniell im Fokus

Kellers Forschungsinteresse richtet sich dabei auch auf das Hofzeremoniell, dessen große Bedeutung man lange nicht erkannt habe. "Tatsächlich handelt es sich dabei um minutiöse Inszenierungen der gesellschaftlichen Ordnung." So wurde etwa bei Krönungen durch die Reihenfolge der Stände im Festzug vom Palast zur Kirche die hierarchische Ordnung der Gesellschaft exakt abgebildet.

Wer vor, hinter oder neben wem ging, hatte deshalb enorme Bedeutung. "Einen schwachen Abglanz dessen, was das Hofzeremoniell in vormodernen Zeiten bedeutet hat, konnte man übrigens bei der ersten Vereidigung Barack Obamas erleben", sagt Keller. "Der US-Präsident musste den Eid nochmals ablegen, weil ein Wort in der Eidesformel vertauscht worden war." (Doris Griesser, 4.8.2017)