Im Jüdischen Museum geht es um Verkaufszahlen, aber der ökonomische Verlust beginnt dort, wo keine ökonomische Kalkulation hinreicht.

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Das Jüdische Museum der Stadt Wien war von Anfang an nicht mit anderen Museen hier, doch auch nicht mit Häusern zu vergleichen, die andernorts der Präsentation jüdischer Kultur gewidmet sind. Wien war einst ein jüdisches und antisemitisches Zentrum zugleich. Der Plan von Helmut Zilk, das Jüdische Museum zu gründen, stieß in der Israelitischen Kultusgemeinde zunächst auf Skepsis. Wen wundert's? Die Erfahrungen der Vergangenheit machten misstrauisch. Die erfolgreichste Ausstellung über Juden hatte hier einst 350.000 Besucher angezogen: Das war die antisemitische Schau Der ewige Jude 1938 gewesen.

Vor der Gründung des Museums im Jahr 1993 meinten deshalb manche, die Politik wolle bloß mit toten Juden touristisch punkten, um die lebenden umso besser ausblenden zu können. Das Jüdische Museum schaffte es im Laufe seines Bestehens immer wieder, diesen Argwohn zu zerstreuen, indem es in verschiedenen Ausstellungen die Klischees zu brechen wusste und dennoch ein interessiertes Publikum anzog.

Eine eigene Attraktion im Gebäude war die jüdische Buchhandlung, der Book Shop Dorothy Singer. Das Geschäft und die kulturelle Institution bereicherten einander auf besondere Weise. Deshalb wäre es unverständlich, wenn der Pachtvertrag für das erfolgreiche Geschäft nun gekündigt würde. Zugegeben: Viele, die ins Museum gehen, kaufen kein Buch, während so mancher, der nach Lektüre sucht, keine Ausstellung sehen will, doch der Laden ist mehr als irgendein Anhängsel, mehr als eine Museumsboutique. Die Buchhandlung bietet eine Perspektive der Vielseitigkeit auf das Jüdische schlechthin. Sie verführt zum Lesen jenseits aller Zuschreibung. Sie lädt ein, sich zwischen den vielen Titeln zu verlieren und in den Wörtern wiederzufinden. Hier kann ich mir einen Überblick über die Neuerscheinungen der israelischen Literatur und der Zeitgeschichte verschaffen.

Es gibt da Romane, Essaybände, religiöse Schriften, Witzbände, Lexikons der jiddischen und hebräischen Sprache, Musik-CDs, Kippoth, Channukahleuchter, Plakate, durchaus auch Museumssouvenirs und selbst die Karten für das Kantorenkonzert in der Synagoge. Aber im Zentrum steht das Erlesene. Bücher eben. Das Geschäft ist ein Treffpunkt, der Eckpfeiler des Hauses und ein Bindeglied zwischen verschiedensten Gruppen – ob aus der jüdischen Gemeinde, aus der Universität, aus dem Museum. Zuweilen scheint mir, als sei die ganze Dorotheergasse in Wirklichkeit nach Dorothy Singer benannt.

Zu wenig Kataloge

"Und die Ausstellungskataloge?", höre ich nun manche fragen, denn das Museum kündigte den Pachtvertrag mit dem Argument, es seien zu wenige Kataloge verkauft worden. Nicht genug angepriesen seien sie worden, hieß es. Dieses Argument kann kaum einer nachvollziehen, der weiß, wie zentral die Kataloge auflagen. Nicht nur das: Wer den Rechnungshofbericht studiert, auf den sich das Museum bezieht, wird ein differenzierteres Urteil vorfinden. Hier wird zwar bemängelt, es seien im Laufe zweier Jahre bloß 647 Stück, etwa ein Exemplar pro Tag, verkauft worden, wobei festgestellt wurde, die Produktionskosten wären nur auszugleichen, wenn der Umsatz verdreifacht werden könnte.

Kompromiss möglich?

Die Buchhandlung selbst wurde indes nicht angesprochen, sehr wohl jedoch angeregt, bei der Herstellung Kosten zu sparen. Das Museum antwortete, die Kataloge seien günstig erzeugt worden, doch es wolle die Werbung dafür forcieren und mit der Buchhandlung über den Vertrieb reden. Die Auflage zur Dauerausstellung lag bei ambitionierten 4000 Stück – 3000 deutsche und 1000 englische Exemplare. Keineswegs der größte Posten im Gesamtbudget. Kann hier wirklich kein Kompromiss gefunden werden? Ist die Schließung einer beliebten Buchhandlung denn wirklich die wahrhaft intelligente Lösung?

Der eigentliche Verlust liegt dort, wo keine ökonomische Kalkulation hinreicht. Ist es nicht fatal, Bücher gegen Kataloge auszuspielen? Wäre das nicht das endgültige Abstellen jüdischer Kultur für ihre bloße Ausstellung als Kult? Sicher: Das war nie der Plan. Auf beiden Seiten geht es wohl nicht um solche falschen Alternativen. Auch wer für Singers Book Shop ist, ist deshalb selbstverständlich nicht gegen das Museum.

In Wien lebte einst die größte jüdische Gemeinde im deutschsprachigen Raum. Vertrieben und ausgerottet wurde eine Kultur, die eine Wiege der Moderne gewesen war. Nach Jahrzehnten entstand wieder ein Platz, an dem jüdische Literatur erworben werden konnte. Dorothy Singer steht seit 1993 im Geschäft. Sie ist ein Garant für ein exquisites jüdisches Sortiment. Seit 1999 führt sie ihr funktionierendes Unternehmen.

Es ist ein einzigartiger Ort. Die neue Pächterin, die, wie erzählt wird, Singer angeblich nachfolgen soll, scheint bisher nicht im Buchhandel tätig und nicht auf jüdische Themen spezialisiert gewesen zu sein. Das ist zwar nicht unbedingt ein Ausschließungsgrund, aber Dorothy Singer ist und bleibt die jüdische Buchhändlerin Wiens par excellence. Singers Book Shop in der Dorotheergasse ist für unsere Stadt und ihre jüdische Gemeinde eine unersetzbare Notwendigkeit. (Doron Rabinovici, 1.8.2017)