Wien – 20 Jahre nachdem Charles Darwin in seinem Hauptwerk "On the Origin of Species" (1859) die Grundzüge der Evolutionstheorie skizziert hatte, quälten den großen britischen Naturforscher freilich noch einige offene Fragen. Eine davon war das "abscheuliche Mysterium" der Blütenpflanzen, wie er 1879 drastisch formulierte.
An anderer Stelle nannte er die Vielfalt der Blütenpflanzen ein "verblüffendes Phänomen" – und das ist es bis heute geblieben. Wie man mittlerweile weiß, gibt es heute rund 350.000 Blütenpflanzen, die rund 90 Prozent der Flora unseres Planeten ausmachen.
Suche nach der Urblüte
Noch mysteriöser wird die Sache dadurch, dass die ersten Blütenpflanzen erst vor rund 140 Millionen Jahren entstanden. Wie also kam es in so kurzer Zeit zu dieser Artenexplosion? Und welche Blütenpflanze stand eigentlich an ihrem Beginn?
Dieser Frage widmet sich ein internationales Forschungsteam, das von Jürg Schönenberger (Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien) mitkoordiniert wird. Ihr Projekt nennt sich eFLOWER, beteiligt daran sind 36 Wissenschafter aus 13 Ländern.
Im Fachblatt "Nature Communications" entwerfen die Botaniker unter der Leitung von Hervé Sauquet (Université Paris-Sud) ein neues Szenario der frühen Evolutionsgeschichte der Blüten. Grundlage dafür waren die Informationen über 27 Blütenmerkmale von knapp 800 heute vorkommenden Arten.
Die Mutter aller Blütenpflanzen
Laut den Rekonstruktionen war die Urblüte zweigeschlechtlich, was bisher umstritten war. Zudem hatte sie eine Blütenhülle von in Dreierkreisen angeordneten Organen.
Etwa 20 Prozent der heute lebenden Blütenpflanzen haben ebenfalls eine Blütenhülle aus dreizähligen Kreisen, jedoch niemals so viele wie die Urblüte, die es auf zumindest fünf brachte: Lilien haben zwei, Magnolien meist drei.
Keine spiralige Anordnung
"Dieses Ergebnis ist besonders bedeutend, weil viele Botaniker glauben, dass in der ursprünglichen Blüte alle Organe spiralig angeordnet waren", so Schönenberger. Für Sauquet eröffnen die Erkenntnisse einen völlig neuen Denkansatz, der viele Aspekte der frühen Evolution der Blüten sehr viel leichter erklärbar mache.
Zudem haben die Forscher rekonstruiert, wie die Blüten an allen anderen Schlüsselstellen im evolutiven Stammbaum der Blütenpflanzen ausgesehen haben, beispielsweise bei den Urahnen der Monokotyledonen (Orchideen, Lilien, Gräser etc.) und der Eudikotyledonen (Mohnblumen, Rosen oder Sonnenblumen).
Fehlende Fossilien
Trotzdem gibt es noch einige offene Fragen, die sich durch Rekonstruktionen nicht restlos klären lassen. So fehlen bis jetzt noch immer entsprechend alte Fossilfunde, die die Hypothesen zur frühesten Evolutionsgeschichte der Blütenpflanzen bestätigen könnten. (tasch, 1.8.2017)