Gleich geht es ans Liebemachen, aber das Glück der Zweisamkeit wird nur kurz währen: ein entfesselter Brandon Jovanovich (als Sergej) und die nicht weniger impulsive Nina Stemme (als Katerina).

Foto: APA/BARBARA GINDL

Nina Stemme in "Lady Macbeth von Mzensk".

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Salzburg – Es signalisieren die klobigen Betonbauten, die im Großen Festspielhaus die Todeszone der Ereignisse umrahmen, ökonomische Verwahrlosung und – jene daraus folgende – Rohheit des Milieus. Kollektive Gewalt tritt denn auch bald über die Opernufer des Zwischenmenschlichen; mit stilisierten Mitteln zwar, immer aber deutlich zeichnet Regisseur Andreas Kriegenburg die Misshandlungsszene einer Frau nach.

Elegant findet sich in den Riesenbau bei Lady Macbeth von Mzensk auch die mondäne Gegenwelt (Bühne: Harald B. Thor) implantiert: Die grauen Wände weiten sich, wie eine Schublade rückt ein Schlafzimmer Richtung Bühnenmitte vor, während sich das Büro von Sinowi (sehr respektabel Maxim Paster) aus der gegenüberliegenden Wand in Bewegung setzt. Der Arbeitsraum verschmilzt mit dem Schlafgemach von Sinowis Gattin, dieser Katerina, zu einer Art Ehebrücke.

Katerina ist – vom Ehemännlein mäßig entzückt und beglückt – die gelangweilte Klaustrophobe. Von Sehnsucht nach Leben, Erleben und erotischem Ausbruch durchdrungen, will sie die Wände ihres Schlafgemachs einreißen.

Die luxuriöse Enge der Kaufmannswelt zu verlassen bedeutet für Katerina also, Verlockungen zu begegnen wie auch eine Auszeit von den Demütigungen ihres Schwiegervaters Boris zu gewinnen (grandios Dmitry Ulyanov).

Die Regie bannt Katerinas Träumereien auch in Farben: Sie trägt ein blaues Kleid. Und in Blau getaucht ist bisweilen auch das ganze trostlose Milieu, das plötzlich aus herzhaft kopulierenden Arbeiterpärchen besteht. Zwischen ihnen wandernd wirkt Katarina wie eine Besucherin ihrer eigenen Erotikfantasien. Elegant changiert die Regie zwischen Traumatmosphäre und Realismus, ohne in irgendeine Richtung zu übertreiben: Auch der sich nur für kurze Zeit erfüllende Rausch der prickelnden Nähe aktiviert bei aller eruptiv ausbrechenden Begierde keinen plumpen Realismus. Der von einem Abenteuer zum nächsten flatternden Sergej ist allerdings bei Brandon Jovanovich auch in exzellenten Händen. Er verleiht dem skrupellosen Damensucher auch vokal einen delikaten Mix aus Vitalität und Impulsivität.

Kostbare Lyrik

Nina Stemme (als Katerina) ist natürlich die imposante Zentralgestalt des Abends: Als bisweilen verträumte Tragödin, der die Morde irgendwie zu passieren scheinen, stattet sie alle emotionalen Ausnahmezustände dieses Charakters mit vokaler Klarheit aus. Dabei verleiht sie (bis auf eine abgerutschte hohe Note) selbst den hoch liegenden Stellen wie den dramatischen Zuspitzungen eine kostbare lyrische Tönung.

Eine Bereicherung auch das Gesamtensemble – unter anderem: Stanislav Trofimov (als Pope) und Alexey Shishlyaev (als Polizeichef) wie auch die engagierte Konzertvereinigung Staatsopernchor. Sie alle finden sich als Charaktere genau gezeichnet oder parodiert (Polizisten stricken hier). Es wurde also eine ausgewogene Arbeit, die den Festspielen zur Ehre gereicht. Wobei: Als Katerina als Doppelmörderin im Kerker landet (Gatte tot, Schwiegervater tot) und von ihrem Sergej gedemütigt wird (er hat eine andere), wählt sie ja den Strick. Und ihr Selbstmord wird durch einen weiteren Mord (an Sergejs neuer Flamme) grässlich ergänzt.

Hier jedoch gerät die Inszenierung eher läppisch in der Umsetzung: Zwei Frauenpuppen baumeln am Strick, das Bild wirkt – gerade in diesem essenziellen Tragikaugenblick – unfreiwillig komisch. Schade. Wäre jedoch die ganze Inszenierung ein Flop (sie ist das Gegenteil) – es würden die Unmittelbarkeit des Dramas, all die Melancholie und die Drastik bei Dirigent Mariss Jansons und den Wiener Philharmoniker zu hören gewesen sein. Auch die bissige Zeichnung der Figuren und all die ironisch-makabren Phrasierungsdetails werden mit philharmonischem Luxus und der Fantasie eines genauen, kenntnisreichen Musikers lebendig. Applaus für alle – auch für die Regie. (Ljubiša Tošić, 3.8.2017)