Die kalifornischen Schwestern Alana, Danielle und Este Haim führen als Familienunternehmen Haim den alten Mainstreamradio-Pop der 1970er- und 1980er-Jahre im Stile der Softrockgötter Fleetwood Mac hinüber ins hippe FM4-Land.

Foto: XXXAP / Taylor Jewell

Wien – Bis vor zehn Jahren waren die drei Schwestern Alana, Danielle und Este Haim gemeinsam mit ihren Eltern so etwas wie die kalifornische Kelly Family, aber schöner und schlanker und mehr so mit Immobilienmaklerhintergrund im San Fernando Valley. Irgendwas muss man ja als funktionale Familie miteinander in der Freizeit außer Fernsehen oder Zeltengehen unternehmen. Die Beschallung von Baumarkteröffnungen, Shoppingmall-Jubiläen, Hochzeiten: Man kann seine Freizeit auch sinnvoll gestalten und dabei sogar noch etwas verdienen.

Wenn die Eltern nicht ganz gemein sind, bekommt man also zum Geburtstag statt einer Blockflöte eine E-Gitarre und darf statt Tatütata, die Feuerwehr ist da oder Es wird scho glei dumpa im Steine-weinen-Arrangement im Sinne einer glücklicheren Kindheit Hotel California von den Eagles, irgendeinen Schmus von Billy Joel oder eine fetzige Nummer von Santana oder diesen berühmten Motowns mit ihrem Soul aus den 1960er-Jahren nachspielen.

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2013 professionalisierten die drei Schwestern ihre frühkindliche Prägung und Liebe zu den sanfteren Varianten des Siebziger- und Achtzigerjahre-Rock und setzten ihre Eltern bei Konzerten lieber in die erste Reihe fußfrei vor der Bühne. Als Trio Haim (sprich: Hay-em) brachten sie auf dem einzig aus Eigenkompositionen bestehenden und weitgehend im Alleingang beziehungsweise mit einem Cousin am Schlagzeug eingespielten Debütalbum namens Days Are Gone in solider Handarbeit gefertigte Hits wie Falling oder The Wire zu Gehör.

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Flotter Chorgesang, manchmal im Stile alter Sixties-Girlgroups wie der Shangri-las oder didaktisch in Frage und Antwort geführt, aber mit dem Punch des aktuellen FM4-Sounds sehr gern auch auf akustischen Rhythmusgitarren gestrampft. Flotte Melodien, ein wenig Retrocharme – und keineswegs bitter, sondern eher pragmatisch gehaltene Lieder, die unter anderem von der Liebe, der Unmöglichkeit der Liebe, Beziehungskrisen, der drohenden Routine in Beziehungskisten, gebrochenen Herzen, Sehnsucht nach Liebe speziell auch im Hinblick auf konkrete Zielobjekte, schwierigem Beziehungsstatus, Betrug und bitte auch Schmusen handeln: Haim machen zeitlosen Poprock, der auch auf dem neuen Album Something to Tell You zu hören ist. Es wurde nun nach gemäß kalifornischen Maßstäben lässig verstrichenen vier Jahren und einigen Tourneen veröffentlicht.

Nachdem Haim ihr großes Vorbild Stevie Nicks, die ehemalige Sängerin und Wallekleidtänzerin von Fleetwood Mac, persönlich kennengelernt haben und davon stolz berichten, ist es auch kein Wunder, wenn sich die alten offensichtlichen Einflüsse dieser Götterband im Softrockgenre ab Mitte der 1970er-Jahre herauf von Songs wie Rhiannon und in der Folge dem Scheidungs- und Koksalbum Rumours über das spektakuläre Tusk bis zu Tango in the Night von 1987 ziehen.

Süße kleine Lügen

Auf den allerdings nicht von Nicks, sondern von Christine McVie gesungenen Song Little Lies von 1987 ("Tell me lies, tell me lies, tell me sweet little lies ...") beziehen sich nun Haim recht eindeutig mit dem "artverwandt" klingenden Nothing's Wrong. Überhaupt scheinen die Achtzigerjahre mit ihren Halleffekten und den abgedämpft gespielten Gitarren eh nie auszusterben.

Die Originalprotagonisten gibt es (im selben Sound) ja auch noch. Aktuell haben auch Christine McVie und Lindsey Buckingham, neben Nicks die Hauptsongschreiber bei Fleetwood Mac, ein Duoalbum am Start. Das entpuppt sich als geheime Bandarbeit. Immerhin ist Drummer Mick Fleetwood mit dabei. Und es stellt mit seinem zeitlosen Erwachsenenpop klar, dass Handwerk im Gegensatz zur Kunst nicht nur für kreative Faulheit stehen muss, sondern auch für Durchhaltewillen. Allerdings sollten ältere Menschen die Finger von Autotune-Effekten lassen. (Christian Schachinger, 3.8.2017)