Abgesang auf den Zeitfresser Bargeldkassa im Einzelhandel: Wie Experten die Entwicklung von der "Brückentechnologie" kontaktloses Bezahlen bis zur Vision des kassalosen Einkaufs einschätzen.

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Wien – Das Ziel ist für alle Beteiligten klar abgesteckt: Schlangen an den Kassen des Einzelhandels sollen möglichst bald der Vergangenheit angehören. Erster Schritt in diese Richtung war die Einführung der kontaktlosen Bankomatkarte, welche den Bezahlvorgang nicht nur vereinfacht, sondern vor allem auch erheblich verkürzt hat. Dabei soll es freilich nicht bleiben, längst arbeiten Unternehmen wie der Kartenanbieter Visa an weiteren Schritten in Richtung schlangenfreies Einkaufen.

Dazu wird zunächst die NFC-Technologie, auf der kontaktloses Bezahlen basiert, auf sogenannte Wearables übertragen. Im Fall von Visa handelt es sich dabei um intelligente Uhren, auch Smartwatches genannt, oder einfach Ringe, mit denen man am Bankomatterminal kontaktlos zahlen kann. Einen Vorteil hebt Kurt Tojner, Country-Manager für Visa in Österreich, besonders hervor: "Das sind Dinge, die immer dabei sind."

Karte zum Aufkleben

Auch Banken setzen auf solche Gadgets, um bargeldloses Bezahlen voranzutreiben. Die Erste Bank etwa hat einen Bankomatkartensticker, der etwa auf das Smartphone geklebt werden kann. So hat man die Geldbörse am Handy immer dabei. Auch Armbänder – anfangs nur in Schwarz, mittlerweile in mehreren Farben und Stilen – bietet die Erste an. Der Bankcardmikrochip wird in diese Bänder gesteckt und aus dem Accessoire wird eine Geldbörse am Handgelenk. Seit die PIN-Eingabe weggefallen ist, "wird jede zweite Transaktion bei Erste und Sparkassen kontaktlos durchgeführt", sagt Ertan Piskin, Leiter des Kartengeschäfts in der Erste Bank.

Da sich das Verhalten der Kunden verändert hat, müssen auch die Medien nachziehen, mit denen bezahlt werden kann.

In der Bank Austria setzt man von jeher auf das Handy und hat die Bankomatkarte in SIM-Karten inkludiert samt digitalen Lösungen für das Finanzmanagement auf dem Handy, via App. So können etwa Rechnungen per Foto in die App übernommen und automatisch überwiesen werden.

Auch in der Raiffeisen setzt man auf das Handy als mobile Geldbörse. Ab September kann Geld von Handy zu Handy ohne Eingabe von IBAN und BIC gesendet werden. Der Empfänger bekommt sein Geld sofort gutgeschrieben, dem Überweiser wird es sofort abgebucht. Das soll etwa Zahlungen unter Privatpersonen oder Gemeinschaftsrechnungen etwa im Restaurant erleichtern.

Kreative Start-ups

Für die Weiterentwicklung der Services wird oft mit externen Partnern, besonders den als Fintechs bezeichneten jungen Finanzdienstleistern, zusammengearbeitet. So auch im ersten europäischen Innovationszentrum von Visa in London. "Gerade Innovationen werden oft von Start-ups gebracht", sagt Tojner. Im Fokus bei Visa stehen auch biometrische Lösungen wie der Fingerabdruck, der die Eingabe eines PINs überflüssig machen soll. Obwohl diese Verfahren "viel einfacher und sicherer" seien, bestünden aber bei vielen Menschen noch Hemmschwellen, schränkt Tojner ein. Unter dem Strich ist ihm zufolge die Entwicklung im Zahlungsverkehr "ein Wahnsinn". Umgehend fügt der Visa-Manager hinzu: "Ich bin begeistert, was da noch alles möglich ist."

Diesbezüglich gewährt Peter Neubauer, Paymentexperte und Geschäftsführer des Wiener Bankdienstleisters Pforcards, Einblick in seine Erwartungen. Obwohl er das kontaktlose Bezahlen auf längere Sicht nur als "Brückentechnologie" ansieht, sagt er über dessen Einführung: "Kontaktloses Bezahlen ist von den Österreichern hervorragend aufgenommen worden. Es boomt." Bestätigt wird dies seiner Ansicht nach durch den seit der Einführung "signifikant gesunkenen" durchschnittlichen Zahlbetrag pro Transaktion: "Das ist ein gutes Zeichen, es zeigt, dass es in die Breite geht."

Als weiteren Schritt erwartet Neubauer etwa in Supermärkten eigene Kassen für bargeldloses Bezahlen und ausschließlich kleine Beträge, bei denen eine PIN-Eingabe entfällt. "Die Leute werden es lieben", sagt der Experte hinsichtlich des Zeitgewinns. "Es gibt niemanden, der sich gerne anstellt. Es gibt einem das Gefühl von verlorener Zeit." Kombinierbar sei dies auch mit dem Einsatz sogenannter Self-Scanning-Kassen, bei denen die Kundschaft ihre Einkäufe selbst über das Lesegerät zieht.

Vermischung der Kanäle

Das langfristige Zukunftsszenario umreißt Neubauer aber wie folgt: Im Einzelhandel nicht mehr extra zu einer Kasse gehen müssen, sondern das Bezahlen wird eingebettet in den "Checkout-Prozess". Das könne auch mobilem Payment à la Apple-Pay zum Durchbruch verhelfen, der bisher im Handel auf sich warten ließ – mangels Komfortgewinn für den Kunden, wie Neubauer anmerkt.

Zudem zeichnet sich für den Experten eine immer stärkere Vermischung der Kanäle Online und Geschäftslokal ab. Kunden kaufen einen Artikel im Geschäft, begleichen die Rechnung aber statt an der Kassa über den Onlineshop. Oder umgekehrt: Sie bestellen und bezahlen ein Produkt online und holen es anschließend in der nächstgelegenen Filiale ab. "Bezahlen ist ein Wechselspiel aus Kundenverhalten und -nutzen und technischen Möglichkeiten", erläutert Neubauer.

Egal, ob mit PIN-Eingabe oder per Fingerabdruck, eine Art der Bestätigung des Bezahlvorgangs wird aus seiner Sicht auch in Zukunft in der Regel nicht entfallen: "Ich bin überzeugt, dass beim Bezahlen aus Sicherheitsgründen ein Willensakt erforderlich ist." Auch psychologisch hält Neubauer das Gefühl für wichtig, "einen Kaufakt zu setzen". Ausnahmen davon sieht er in Abos, etwa wenn künftig der intelligente Kühlschrank selbstständig innerhalb eines Budgetrahmens Milch, Eier und Butter bestellt. (Alexander Hahn Bettina Pfluger, 5.8.2017)