Als "Begehrensräume" bezeichnet die Künstlerin Jakob Lena Knebl ihre körper- und sinnlichkeitsprallen Arrangements für die Ausstellung "Oh ..." im Mumok.

Foto: Christian Fischer

Wien – Ein Mann betritt ein Haus, in dem sich unheimliche Dinge zutragen sollen. Und wenn er dort auch keine Bewohner vorfindet, so versetzen ihn doch deren Möbelstücke in Unruhe: Ein meterlanges u-förmiges Ding etwa, das nicht näher definierbar ist, aber für ein Bett gehalten werden könnte und in diesem Fall einem monströsen Wesen gehören müsste. Irgendwann deuten Geräusche darauf hin, dass wer auch immer hier wohnt, heimkehrt. Furcht ereilt den Besucher, doch: Er "schließt die Augen nicht".

Mit diesen Worten endet die Kurzgeschichte There Are More Things, die Jorge Luis Borges 1975 schrieb. An dieser Stelle beginnt aber auch ein Funkeln in den Augen der Künstlerin Jakob Lena Knebl, die große Sympathien für diesen Ich-Erzähler hegt. Für diese Figur, die im Angesicht größter Ungewissheit die "Neugier über die Angst" siegen lässt.

Tatsächlich liegt, wie man im Gespräch mit Knebl erfährt, in Borges' Geschichte denn auch ein Schlüssel zu ihrer aktuellen Ausstellung im Wiener Mumok. Unter dem bündigen Titel Oh ... hat die 1970 in Baden geborene Künstlerin eigene Arbeiten mit Stücken aus der Mumok-Sammlung verknüpft. Auf zwei Etagen entfaltet sich eine Atmosphäre, die spielerisch zwischen Pop, Kunst, Sex, Design flottiert. Hier posiert auf einer Fotografie die Künstlerin, in Latex gepackt, mit edlen Messingobjekten des Designers Carl Auböck; dort hüllte sie eine Figur Alberto Giacomettis in roten Glitzer.

Ja, und im Sinne Knebls wäre es dabei durchaus, spürten Betrachter etwas von der Unruhe von Borges' Ich-Erzähler. Die Uneinordenbarkeit der Dinge ist ein entscheidendes Moment ihres Konzepts, etwa im Hinblick auf Genregrenzen: Ist dieses oder jenes Objekt Kunst oder Design? Dieser von Johanna Kandl gezeichnete Männerhintern etwa, der Knebl beim Durchforsten von rund 4000 Stücken der Mumok-Sammlung ins Auge stach und den sie nun in ein über Willhaben.at erstandenes Wohnzimmerensemble einband?

Was begehren wir?

Produktiv könnte es freilich auch sein, sich – wie Borges' Ich-Erzähler – die hypothetische Frage zu stellen, wer hier, in dieser Atmosphäre lebe. Ein wichtiges Thema sei für sie, so Knebl, "wie die Dinge auf unsere Identität einwirken": Welche Geschichten über uns erzählen wir über die Kleidung, die wir tragen, oder über die Kunst, mit der wir uns umgeben? Welchen Begehren verleihen wir damit Ausdruck?

Bei alldem ist Oh ... vor allem auch eine sehr intime Ausstellung. Dies nicht zuletzt deshalb, weil Knebl jene "produktiven Unsicherheiten", die sie bei ihren Betrachtern beschwören möchte, beim Komponieren der Schau auch am eigenen Leib erlebte. Etwa im Hinblick auf den Bildhauer Henry Moore, den sie immer für "fürchterlich" hielt, der sich nun aber als "mmmh, gar nicht schlecht" herausstellte, wie sie schmunzelnd sagt. Wenn eine Skulptur Moores nun, gehüllt in ein Stück aus Knebls eigener Modekollektion, in der Ausstellung steht, so erzählt dieses Arrangement auch von einer persönlichen Entwicklung Knebls: "Ich mag diesen Moment, wo dir etwas nah kommt, was weit weg war, wo du merkst, jetzt veränderst du dich."

Neue Blicke ergaben sich auch auf die Wiener Aktionisten. Der Weg führte über sinnliche, anonyme Körperinszenierungen, die der Künstlerin von einer Internetbekanntschaft zur Verfügung gestellt wurden. Fotos, die nun etwa drapiert auf einem Schaffellstuhl zu sehen sind. Nicht nur, aber auch dank dieser Aufnahmen eines jungen Mannes habe sie gelernt, die Inszenierungen der Aktionisten neu zu sehen, erzählt Knebl. Ein Rudolf Schwarzkogler oder ein am Boden liegender Günter Brus erschienen ihr nun als ganz schön fragil: "Das hat so eine eigene Verletzlichkeit, die ich berührend finde." Fotografien der Aktionisten sind in der Ausstellung nicht direkt, sondern nur in Zerrspiegeln zu sehen.

Mutmaßliche Tabubrüche

Den Begriff des "Queeren" will Knebl in ihrer Schau übrigens lieber vermeiden respektive neu besetzen, ihm "die Fenster und Türen" öffnen, wie sie sagt. Tatsächlich kann sich die Künstlerin nämlich vorstellen, dass es als Tabubruch, als allzu unkritisch empfunden wird, dass sie in ihre Schau auch Darstellungen heterosexueller Pärchen integriert hat. Oder dass die vorwurfsvolle Frage aufkommt, warum sie nicht bloß Künstlerinnen zeige. Nicht zuletzt verstehen sich einzelne Teile der Schau jedoch auch als Kritik an manchen weltanschaulichen Strömungen, die im Namen der Entgrenzung allzu oft nur neue Grenzen errichten. Sie selbst setze jedenfalls nicht auf die "moralische Keule", sondern auf "Humor und Einladungen". (Roman Gerold, Spezial, 4.8.2017)