"Große Verweiskraft einer dunklen Geschichte": Autor und Historiker Doron Rabinovici.

Foto: Heribert Corn

Doron Rabinovici
Die Außerirdischen

Suhrkamp Berlin 2017
423 Seiten, 23 Euro

cover: suhrkamp

Sie kamen über Nacht", so fängt alles an, Aliens landen auf der Erde, zumindest wird eines Morgens auf allen Sendern verbreitet, dass eine "extraterrestrische Macht" die Erde erobert habe. Chaos bricht aus, Geschäfte werden geplündert, Verschwörungstheorien kursieren, und es kommt fast zur nuklearen Katastrophe. Doch dann, als sich die Lage beruhigt, merken die Menschen: Es ist gar nicht so schlimm. Die Invasion aus dem All wird zur Sensation, zum "historischen Moment". In den Medien werden die Aliens, die man überdies nicht zu sehen bekommt, als Heilsbringer vorgestellt: Es werde nie wieder Krieg, Hunger und Krankheit geben, alles wird gut. Einen Haken hat die Sache allerdings, die Außerirdischen begehren Menschenopfer, genauer gesagt Menschenfleisch, wenn auch auf freiwilliger Basis.

Spätestens hier weiß man: Das ist kein Science-Fiction-Roman, sondern eine Politfantasy, die die Mediengeilheit einer egoistischen, neoliberalen Gesellschaft und bald auch die realen Abgründe des 20. Jahrhunderts im Visier hat. Es ist die Rückkehr des Faschismus, die Unterwerfung unter ein System, in dem die einen Opfer werden und die anderen davon profitieren. Dass jetzt die Menschheit als "untergeordnete Spezies" kolonialisiert und ausgebeutet wird, steht dem Streben nach "Spaß" und nach "Glück" trotzdem nicht im Weg.

Hier wird der Roman gnadenlos zynisch, und wer glaubte, dass Ekelshows à la RTL an Geschmacklosigkeit nicht mehr zu überbieten seien, erlebt, dass es noch tiefer geht. Denn die Menschenopfer sind das große Geschäft für die Medienbranche. Und auch abseits davon entsteht ein regelrechter Hype, die Wirtschaft boomt, man investiert jetzt in "Exobilien", Grundstücke im All, begehrte Optionen, denn es geht um den ganz großen, "kosmischen" Markt mit seinen "unbegrenzten Möglichkeiten". Wer will da nicht zur "Elite des Universums" gehören?

Brutale Unterdrückung

Rabinovici fokussiert die Geschichte auf Sol, den Gründer eines Online-Magazins, das angesichts der neuen Entwicklungen zu einer billigen Quotenshow umgewandelt und in der Folge auch zum Format für jenes "Glücksspiel" wird, mit dem die Außerirdischen zu ihrem Menschenfleisch kommen. Ein neues Geschäftsfeld mit Kick: Castingshows, Vorentscheidungen, schließlich die live übertragenen "Wettspiele", den Kandidaten wird ein Luxusleben geboten, aber nur die wenigsten gewinnen, die Verlierer werden "geschlachtet", das heißt, sie kommen auf die "Trauminsel", ihre Angehörigen werden "großzügig entschädigt".

Für die einen ein "ungeheures Geschäft", für die anderen die "reine Barbarei". Jede Form von Widerstand wird brutal unterdrückt. Schließlich kommen auch Sol und seine Frau auf "die Insel". Und hier beginnt die Problematik des Romans – in dem es eigentlich gar nicht um die Außerirdischen geht?, denn Rabinovici zeichnet mit dieser Fantasygeschichte nichts anderes als ein Bild des realen Holocaust. Die Parallelen sind frappant, vom KZ bis zur Selektion an der Rampe, dem "Aussortieren" und der Willkür der Kapos.

?"Insel" bedeutet nichts anderes als Vernichtungslager, es werden sogar die einschlägigen Vokabel bedient: Deportation, Listen, Ordner, Block, Appell usw. Die Opfer steigen nur in keine Züge mehr, sondern werden in Flugzeugen deportiert, statt Judensternen tragen sie Vinylbänder mit Strichcodes, und statt der Gaskammern gibt es den "Fleischwolf". Die bekannten Abgründe des Menschseins -? und das sind nicht mehr die Außerirdischen, das sind die Menschen als willige Helfer und Profiteure. "Was noch erzählen?", fragt am Ende Sol, der von alldem berichtet und uns ein leider bekanntes Zeugnis ablegt. Aber ist es nicht auch allzu offenkundig?

Natürlich hat diese Geschichte auch ein Danach, die psychische Last des Überlebthabens und Nichtvergessenkönnens. Und die Frage: Wer war Täter, Mitläufer, Kollaborateur oder hat bloß zu retten versucht? Da klingt auch die problematische, unglückliche Rolle Benjamin Murmelsteins durch, des "Judenältesten" von Theresienstadt, der nach 1945 aus der jüdischen Community verstoßen, von Rabinovici, der auch Historiker ist, aber mehrfach verteidigt wurde. Man braucht nicht einmal zwischen den Zeilen zu lesen, um zu begreifen, dass dieser Roman zu einem nicht geringen Teil ihm gewidmet ist. Das wird vielleicht kritische Geister auf den Plan rufen, für die Ästhetik des Romans ist es ohne Relevanz. Allerdings wird die Verweiskraft dieser dunklen Geschichte sicher zu heftigen Diskussionen führen. Und eines ist auch sicher: Der Roman wird später einmal nicht nur die Literaturwissenschaft kontrovers beschäftigen.

In wenigen Wochen wird sich auch zeigen, wie sehr sich der Roman als tauglich für den Deutschen Buchpreis erweisen wird, ob und wie sehr sich die Meinungen der Kritiker daran scheiden werden. Der Einwand, dass diese Geschichte zu direkt, zu glatt erzählt ist, wird jedenfalls kommen, denn für den Leser ist früh absehbar, worauf der Autor hinauswill. Man hätte sich dann einen hintergründigeren Roman gewünscht, so gekonnt gemacht, so spannend und leserfreundlich er auch ist. (Gerhard Zeillinger, Album, 7.8.2017)